Schlagwort-Archiv Dr. Reinhard Popp

Entgeltfortzahlung während ambulanter Kur

Gesetzlich Versicherte haben während einer ambulanten Vorsorgekur gegen ihren Arbeit­geber ausschließlich dann Anspruch auf Ent­gelt­fortzahlung, wenn die vom Sozialleistungsträger (zB Krankenkasse) bewilligte Maßnahme in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation iSd. § 107 Abs. 2 SGB V* durchgeführt wird und keinen urlaubsmäßigen Zuschnitt hat.

15Die Klägerin ist seit 2002 beim beklagten Land als Köchin be­schäf­tigt. Vom 4. bis zum 24. Oktober 2013 unterzog sie sich einer von der AOK Niedersachsen bezuschussten ambulanten Kur auf der Insel Langeoog. Im dortigen Kur- und Wellnesscenter erhielt sie nach ihrem Vorbingen insgesamt 30 Anwendungen, nämlich je sechs Meerwasserwarmbäder, Bewegungsbäder, Massagen, Schlickpackungen und Lymphdrainagen. Außerdem sollte sie täglich in der Brandungszone inhalieren. Das beklagte Land weigerte sich im Vorfeld, die Klägerin für die Dauer der Kur unter Fortzahlung ihrer Vergütung freizustellen. Daraufhin beantragte die Klägerin Urlaub, der ihr bewilligt wurde. Mit ihrer Klage hat sie geltend gemacht, der genommene Urlaub dürfe nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landes­arbeits­gericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Besteht – wie im Streitfall – keine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, dürfen Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nach § 10 Bundesurlaubsgesetz nicht auf den Urlaub angerechnet werden, wenn ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht. Ein solcher Anspruch setzt bei gesetzlich Versicherten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG voraus, dass die vom Träger der Sozialversicherung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger bewilligte ambulante Vorsorgekur in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. Das sind nur Einrichtungen, die den Anforderungen des § 107 Abs. 2 SGB V genügen.

*§ 107 Abs. 2 SGB V lautet:
„(2) Vorsorge oder Rehabilitationseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzbuchs sind Einrichtungen, die

1. der stationären Behandlung der Patienten dienen, um

a) eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder eine Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegen zu wirken (Vorsorge) oder

b) eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen, auch mit dem Ziel eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Rehabilitation), wobei Leistungen der aktivierenden Pflege nicht von den Krankenkassen übernommen werden dürfen.

2. fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen,

und in denen
3. die Patienten untergebracht und verpflegt werden können.“

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 25/16 vom 25.05.2016
Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 298/15 –

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Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns

Der Arbeitgeber schuldet den gesetzlichen Min­destlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeits­stunde. Er erfüllt den Anspruch durch die im arbeits­vertrag­lichen Austauschverhältnis als Gegenleistung für Arbeit erbrachten Ent­geltzahlungen, soweit diese dem Arbeit­nehmer endgültig verblei­ben. Die Erfüllungswirkung fehlt nur solchen Zahlungen, die der Arbeit­geber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeit­nehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweck­bestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen.

Das Arbeitsverhältnis der in Vollzeit beschäftigten Klägerin bestimmt sich nach einem schriftlichen Arbeitsvertrag, der neben einem Monatsgehalt besondere Lohnzuschläge sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld vorsieht. Im Dezember 2014 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebs­ver­ein­barung über die Auszahlung der Jahressonderzahlungen. Seit Januar 2015 zahlt die Beklagte der Klägerin allmonatlich neben dem Bruttogehalt iHv. 1.391,36 Euro je 1/12 des Urlaubs- und des Weihnachtsgelds, in der Summe 1.507,30 Euro brutto.

Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr Monatsgehalt und die Jahressonderzahlungen müssten ebenso wie die vertraglich zugesagten Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feier­tags­arbeit auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns iHv. 8,50 Euro brutto/Stunde geleistet werden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin Nacht­arbeitszuschläge iHv. 0,80 Euro brutto zugesprochen und im Übrigen die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Die Klägerin hat aufgrund des Mindestlohngesetzes keinen Anspruch auf erhöhtes Monatsgehalt, erhöhte Jahressonderzahlungen sowie erhöhte Lohnzuschläge. Der gesetzliche Mindestlohn tritt als eigen­stän­diger Anspruch neben die bisherigen Anspruchsgrundlagen, verändert diese aber nicht. Der nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch der Klägerin für den Zeitraum Januar bis November 2015 ist erfüllt, denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen kommt Erfüllungs­wirkung zu.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 24/16 vom 25.05.2016
Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 –

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Betriebsrentenanwartschaft – beitragsbezogene Leistungszusage

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Betriebs­ren­ten­gesetzes (BetrAVG) liegt eine beitragsorientierte Leistungszusage vor, wenn der Arbeitgeber sich verpflichtet, bestimmte Beiträge in eine Betriebsrenten­anwart­schaft umzuwandeln. Das Gesetz verlangt, dass in der Ver­sor­gungsordnung die Mindesthöhe der Anwartschaft zum Zeit­punkt der Umwandlung bezogen auf diese Beiträge festgelegt wird.

Nach der bei der beklagten Arbeitgeberin geltenden Gesamt­betriebsvereinbarung (GBV) steht dem Kläger ein jährlicher Basisanspruch auf eine Betriebsrente von 0,4 vH der Summe seiner monatlichen pensionsfähigen Bezüge während seiner Beschäftigungszeit zu. Auf der Grundlage der GBV zahlt die Arbeitgeberin in einen Anlagefonds, der kein Pensionsfonds im Sinne des Betriebsrentengesetzes ist, Beiträge in Höhe von monatlich 5 vH der pensionsfähigen Bezüge aller der GBV unterfallenden Arbeitnehmer ein. Aus diesem Anlagefonds werden auch die laufenden Betriebsrenten gezahlt. Am Ende jedes Wirtschaftsjahres ist der Wert der Fondsanteile zu er­mitteln. Gleichzeitig wird die Summe der Barwerte der An­wart­schaften der der GBV unterfallenden Arbeitnehmer und der gezahlten Betriebsrenten ermittelt. Weichen die Werte von­einander ab, sind die Barwerte der Anwartschaften und der Betriebsrenten gleichmäßig so zu korrigieren, dass sie dem Wert der Fondsanteile entsprechen. Die so korrigierten Anwartschaften dürfen sich auch verringern, den Basisanspruch aber nicht unterschreiten.

Diese Berechnungsweise entspricht nicht vollständig den gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG. Die GBV stellt nicht sicher, dass die auf den Kläger entfallenden und an den Anlagefonds gezahlten Beiträge unmittelbar in eine Betriebsrentenanwartschaft umgewandelt werden.

Dennoch hatte die Klage – ebenso wie in den Vorinstanzen – vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die korrigierte Anwartschaft des Klägers betrug im Jahr 2009 nach Mitteilung der Beklagten jährlich 3.900,00 Euro. Im Jahr 2011 sollte sie sich nur noch auf jährlich 3.295,00 Euro belaufen. Der Kläger wollte die Beklagte an der Höhe der korrigierten Anwart­schaft aus dem Jahr 2009 festhalten. Für dieses Klageziel besteht keine Rechtsgrundlage.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 46/16 vom 30.08.2016
Urteil vom 30. August 2016 – 3 AZR 228/15 –

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Anspruch auf tabakrauchfreien Arbeitsplatz

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV hat der Arbeit­geber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten wirk­sam vor den Gesund­heits­gefahren durch Tabakrauch geschützt werden. Die ArbStättV geht damit davon aus, dass Passivrauchen die Gesundheit gefährdet. Bei Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der Arbeitgeber nach § 5 Abs. 2 ArbStättV nur insoweit Schutzmaßnahmen zu treffen, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulas­sen.

Der Kläger arbeitet in dem von der Beklagten in Hessen betrie­benen Spielcasino als Croupier. Er hat hierzu im Durchschnitt wöchentlich zwei Dienste (jeweils sechs bis zehn Stunden) in einem abgetrennten Raucher­raum zu arbeiten. Nur dort und im Barbereich ist den Gästen das Rauchen gestattet. Der Raucher­raum ist mit einer Klimaanlage sowie einer Be- und Entlüftungs­anlage ausgestattet.

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm ausschließlich einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeits­gericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurück­gewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar hat der Kläger nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV grundsätzlich Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz. Die Beklagte macht in ihrem Spielcasino jedoch von der Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 5 Nr. 5 des Hessischen Nichtraucherschutzgesetzes (HessNRSG) Gebrauch, die das Rauchen in Spielbanken ermöglicht. Sie muss deshalb Schutzmaßnahmen nur insoweit treffen, als die Natur ihres Betriebs und die Art der Beschäftigung dies zulassen. § 5 Abs. 2 ArbStättV verpflichtet sie allerdings, die Gesundheits­gefähr­dung zu minimieren. Diese Verpflichtung hat sie mit der baulichen Trennung des Raucherraums, seiner Be- und Ent­lüftung sowie der zeitlichen Begrenzung der Tätigkeit des Klägers im Raucherraum erfüllt.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 22/16 vom 10.05.2016
Urteil vom 10. Mai 2016 – 9 AZR 347/15 –

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Zugang zum Internet und Telefonanschluss für den Betriebsrat

Der Arbeitgeber ist grundsätzlich weder dazu verpflichtet, dem Betriebsrat unabhängig von seinem Netzwerk einen Zugang zum Internet zur Verfügung zu stellen, noch muss er für den Betriebsrat einen von seiner Telefonanlage unabhängigen Telefonanschluss einrichten.

Nach § 40 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat in erforderlichem Umfang ua. Informations- und Kommunikations­technik zur Verfügung zu stellen. Der Betriebsrat kann einen Telefonanschluss und, sofern berechtigte Belange des Arbeit­gebers nicht entgegenstehen, die Eröffnung eines Internet­zugangs und die Einrichtung eigener E-Mail-Adressen verlangen, ohne deren Erforderlichkeit zur Wahrnehmung konkret an­ste­hen­der betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben darlegen zu müs­sen. Diese Ansprüche kann der Arbeitgeber dadurch erfüllen, dass er dem Betriebsrat im Rahmen des im Betrieb be­ste­hen­den Informations- und Kommunikationssystems einen Telefon­anschluss zur Verfügung stellt sowie einen Internetzugang und E-Mail-Verkehr über ein Netzwerk vermittelt, das für alle Arbeitsplätze des Unternehmens einheitlich genutzt wird. Allein wegen der abstrakten Gefahr einer missbräuchlichen Aus­nut­zung der technischen Kontrollmöglichkeiten durch den Arbeit­geber darf der Betriebsrat einen separaten Telefonanschluss sowie Internetzugang nicht für erforderlich halten.

Wie in den Vorinstanzen blieben die Anträge des Betriebsrats auf Einrichtung eines vom Proxy-Server des Arbeitgebers un­ab­hän­gi­gen Internetzugangs sowie auf einen von seiner Telefon­anlage unabhängigen Telefonanschluss beim Siebten Senat des Bundes­arbeitsgerichts erfolglos.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 18/16 vom 20.04.2016
Beschluss vom 20. April 2016 – 7 ABR 50/14 –

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Berücksichtigung der Konfession bei der Einstellung?

Der Beklagte ist ein Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für ihn gilt die Richtlinie des Rates der EKD nach Art. 9 Buchst. b Grundordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes vom 1. Juli 2005. Im November 2012 schrieb der Beklagte eine befristete Referentenstelle für das Projekt „Parallelbericht­erstat­tung zur UN-Antirassismuskonvention“ aus. Die Aus­schrei­bung enthielt ua. folgende Angabe: „Die Mitgliedschaft in einer evan­ge­li­schen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“

Die konfessionslose Klägerin, deren Bewerbung nach einer ersten Bewerbungssichtung des Beklagten noch im Auswahlverfahren verblieben war, wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein­ge­la­den. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von dem Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. mindestens 9.788,65 Euro. Sie ist der Auffassung, sie habe die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht erhalten. Dies sei jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht mit dem Diskrimi­nie­rungs­verbot des AGG vereinbar.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren nach Zahlung einer ange­mes­se­nen Entschädigung weiter.

Im Hinblick auf das grundsätzliche Erfordernis einer unions­rechts­konformen Auslegung des AGG hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unions­rechts vorgelegt:

1. Ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber, wie der Beklagte im vorliegenden Ver­fah­ren, bzw. die Kirche für ihn – verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung an­ge­sichts seines/ihres Ethos darstellt?

2. Sofern die erste Frage verneint wird:
Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts wie hier § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religions­gemein­schaf­ten und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zu­läs­sig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbst­verständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche An­for­de­rung darstellt, in einem Rechtsstreit wie hier unangewendet bleiben?

3. Sofern die erste Frage verneint wird, zudem:
Welche Anforderungen sind an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG zu stellen?

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 15/16 vom 17.03.2016
Beschluss vom 17. März 2016 – 8 AZR 501/14 (A) -21

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Ruhen des Arbeitsverhältnisses bei Bezug einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit

Nach § 33 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) ruht das Arbeitsverhältnis ab dem Monat nach Zustellung des Rentenbescheids, wenn dem Beschäftigten Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit bewilligt wird. Dabei kommt es nicht auf die Höhe der Rente an. Liegt nur eine teilweise Erwerbs­minderung vor, d.h. ist der Beschäftigte unter den üblichen Bedin­gungen des allgemeinen Arbeitsmarkts noch in der Lage, zwischen drei und sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, kann der Be­schäftigte nach § 33 Abs. 3 TVöD zur Vermeidung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses seine Weiterbeschäftigung beantragen. Dies muss schriftlich und innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids erfolgen.

Der Arbeitgeber kann den Antrag ablehnen, wenn dringende betriebliche Gründe der Weiterbeschäftigung entgegenstehen. § 33 TVöD kann aber die gesetzlich garantierten Rechte schwer­behinderter Menschen nicht verkürzen. Dieser Personenkreis kann darum unabhängig von der in § 33 TVöD angeordneten Form und Frist gem. § 81 Abs. 4, Abs. 5 Satz 3 SGB IX eine be­hinderungsgerechte Beschäftigung verlangen. Darüber hinaus kann jeder Beschäftigte auch während des Ruhens des Arbeits­verhältnisses nach § 241 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber die Prü­fung der Möglichkeit der Beschäftigung unter Berücksichtigung seines verbliebenen Leistungsvermögens verlangen. Damit schränkt § 33 TVöD die Möglichkeit des Beschäftigten, der eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht, durch die Fortsetzung des aktiven Arbeitsverhältnisses sein Einkommen zu sichern, nicht so stark ein, dass die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit verletzt ist.

Die Klägerin ist als Schulhausmeisterin bei der beklagten Stadt beschäftigt. Sie war zuletzt in Teilzeit bei einer täglichen Ar­beits­zeit von 4,7 Stunden gegen ein durchschnittliches monat­liches Bruttoentgelt von 1.600,00 Euro tätig. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 11. Juni 2013 eine Rente wegen teilweiser Er­werbsminderung von 364,24 Euro monatlich bewilligt, die bis zum 30. Juni 2015 befristet war. Die Klägerin stellte innerhalb der Frist des § 33 Abs. 3 TVöD keinen schriftlichen Antrag auf Weiterbeschäftigung. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1. Juli 2013 bis 30. Juni 2015 nicht geruht habe.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeits­gerichts keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen fristgerechten Antrag nach § 33 Abs. 3 TVöD gestellt. Eine Weiterbeschäftigung als schwerbehinderter Mensch bzw. nach § 241 Abs. 2 BGB, die das Ruhen des Arbeitsverhältnisses beendet hätte, hat die Klägerin nicht verlangt.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 13/16 vom 17.03.2016
Urteil vom 17. März 2016 – 6 AZR 201/15 –

t.

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Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist durch Klageerhebung

Gilt in einem Arbeitsverhältnis eine tarifliche Aus­schlussfrist, innerhalb derer ein Anspruch ge­gen­über dem Vertragspartner schriftlich geltend gemacht werden muss, reicht es zur Fristwahrung nicht aus, dass das Anspruchsschreiben vor Ablauf der Frist bei Gericht ein­ge­gangen ist und dem Anspruchs­gegner ggf. später zugestellt wird. Entscheidend ist der Zugang beim Anspruchsgegner selbst. § 167 ZPO findet für die Wahrung einer ein­fachen tariflichen Aus­schluss­frist bei der außergerichtlichen Geltend­machung keine Anwen­dung.

Der Kläger begehrt von seinem Arbeitgeber eine Entgeltdifferenz für den Monat Juni 2013. Den Anspruch hat er erstmals mit seiner bei Gericht am 18. Dezember 2013 eingegangenen und dem beklagten Arbeitgeber am 7. Januar 2014 zugestellten Klage geltend gemacht. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden § 37 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) verfallen Ansprüche aus dem Arbeits­verhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten – im konkreten Fall für die klägerische Forderung: bis zum 30. Dezember 2013 – schriftlich geltend gemacht wer­den. Der Kläger hat gemeint, zur Wahrung dieser Aus­schluss­frist habe der fristgerechte Eingang der Klageschrift bei Gericht aus­gereicht. § 167 der Zivilprozessordnung (ZPO), der dies jeden­falls für bestimmte Maßnahmen gegen den Ablauf von Ver­jäh­rungs­fristen ausdrücklich regele, sei auch auf die Einhaltung tariflicher Verfallfristen anzuwenden. Der beklagte Arbeitgeber hat dem entgegengehalten, es komme bei außergerichtlichen Fristen allein auf den tatsächlichen Zugang des Geltend­machungs­schreibens an. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Die hiergegen gerichtete Revision des beklagten Landes hatte Erfolg. Der Vierte Senat hat entschieden, dass § 167 ZPO auf tarifliche Ausschlussfristen, die durch eine bloße schriftliche Geltendmachung gewahrt werden können, nicht anwendbar ist. Er folgt damit der langjährigen Rechtsprechung des Bundes­arbeitsgerichts, nach der der Gläubiger einer Forderung sich den Zeitverlust durch die – in der Sache nicht zwingend erforderliche – Inanspruchnahme des Gerichts selbst zuzurechnen hat. Die Zustellung der Klageschrift am 7. Januar 2014 war danach verspätet und die Klage abzuweisen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 12/16 vom 16.03.2016
Urteil vom 16. März 2016 – 4 AZR 421/15 –

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Türkischer Brautschmuck: Umgehängt heißt geschenkt

Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 25.04.2016 (4 UF 60/16)
Quelle: Oberlandesgericht Hamm Pressemitteilung vom 17.06.2016

Brautschmuck, der der Ehefrau türkisch­stämmiger Brautleute bei einer in der Türkei stattfindenden Hochzeit umgehängt wird, gilt regelmäßig als Geschenk für die Braut. Veräußert der Ehemann diesen Schmuck ohne Zustimmung der Ehefrau, kann er ihr gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein. Das hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25.04.2016 beschlossen und den Ehemann unter Versagung von Verfahrenskostenhilfe auf die Erfolglosigkeit seiner Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bochum vom 04.02.2016 (87 F 33/13) hingewiesen. Diese Beschwerde hat der Ehemann sodann zurückgenommen.

Der Ehemann aus Bochum und seine Ehefrau aus Kreuztal leben seit dem Jahr 2011 getrennt. Sie hatten 2009 zunächst in Kreuztal standesamtlich geheiratet und im Anschluss hieran ihre Hochzeit in der Türkei gefeiert. Anlässlich dieser Hoch­zeits­feier übergaben verschiedene Verwandte der Ehefrau mehrere Schmuckstücke. Sie erhielt eine Goldkette, 14 gemusterte und zwei glatte Armreifen aus Gold sowie eine Armkette und eine Halskette, ebenfalls jeweils aus Gold. Die Schmuckstücke trug die Ehefrau während der Hochzeitsfeier und auch einige Wochen danach, im Verlauf des weiteren Aufenthalts in der Türkei sowie in der ersten Zeit nach der Rückkehr nach Deutschland. Danach übergab sie die Schmuckstücke im Einvernehmen mit ihrem Ehemann an dessen Bruder, der sie in einem Schließfach verwahren sollte.

Nach der Trennung der Eheleute händigte der Bruder dem Ehemann die Schmuckstücke aus, der sie in der Folgezeit ohne Zustimmung seiner Ehefrau in der Türkei für umgerechnet ca. 14.300 Euro verkaufen ließ. Mit der Be­grün­dung, dass der Schmuck einen Wert von ca. 29.100 Euro ge­habt habe, hat die Ehefrau vom Ehemann nach Bekannt­werden der Veräußerung Wertersatz verlangt. Nach Ein­ho­lung eines Wertgutachtens hat das Familiengericht der Ehefrau ca. 27.300 Euro zugesprochen.

Die Beschwerde des Ehemanns gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Familiengerichts ist erfolglos geblieben. An dem ihr bei der Hochzeit überreichten Goldschmuck habe die Ehe­frau, so der 4. Senat für Familiensachen des Ober­landes­gerichts Hamm, Alleineigentum erworben. Nach dem für die Hoch­zeits­feier in der Türkei maßgeblichen türkischen Zivilrecht werde Goldschmuck, der einer Frau während der Hochzeit umgehängt werde, als ihr geschenkt angesehen, und zwar unabhängig davon, wer den Schmuck gekauft habe. Das gelte auch im vorliegenden Fall. Den Gegenbeweis dafür, dass der Schmuck nicht seiner Ehefrau, sondern ihm geschenkt werden sollte, habe der Ehemann nicht geführt. Mit der Veräußerung des Schmucks habe der Ehemann das Eigentum der Ehefrau verletzt. Deswegen habe er Schadensersatz in Höhe des Wertes des Schmuckes zu leisten, den das Amtsgericht mithilfe des eingeholten Sachverständigengutachtens zutreffend ermittelt habe.

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Beschränkung der Lizenz älterer Piloten wirksam?

Der Kläger war seit 1986 bei der Beklagten als Flugkapitän beschäftigt und daneben auch in der Ausbildung anderer Piloten eingesetzt. Er vollendete im Oktober 2013 das 65. Lebensjahr und schied mit Erreichen der Regelaltersgrenze zum 31. Dezember 2013 aus. In den Monaten November und De­zember 2013 beschäftigte die Beklagte den Kläger nicht. Sie hat sich darauf berufen, der Kläger dürfe nach Vollendung des 65. Lebens­jahres nicht mehr im gewerblichen Luftverkehr tätig sein. Der Kläger fordert für diese beiden Monate Vergütung.

Die Vorinstanzen haben der Klage überwiegend stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, während der Kläger die Stattgabe seines Klageantrags in voller Höhe erstrebt. Für den Senat ist es erheblich, ob FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 vom 3. November 2011, wonach ein Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig sein darf, mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) vereinbar ist. Deshalb hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Gültigkeit und Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

  1. Ist FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in Art. 21 Abs. 1 GRC vereinbar?
  2. Ist FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 mit Art. 15 Abs. 1 GRC, wonach jede Person das Recht hat zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, vereinbar?
  3. Falls die erste und zweite Frage bejaht werden:
    1. Fallen unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ im Sinne der FCL.065 b bzw. der Bestimmung dieses Begriffs in FCL.010 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 auch sog. Leerflüge im Gewerbebetrieb eines Luft­ver­kehrs­unternehmens, bei denen weder Fluggäste, noch Fracht oder Post befördert werden?
    2. Fallen unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ im Sinne der FCL.065 b bzw. der Bestimmung dieses Begriffs in FCL.010 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 die Ausbildung und Abnahme von Prüfungen, bei denen der über 65-jährige Pilot sich als nicht fliegendes Mitglied der Crew im Cockpit des Flugzeugs aufhält?

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 4/16 vom 27.01.2016
Beschluss vom 27. Januar 2016 – 5 AZR 263/15 (A) –

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