Schlagwort-Archiv Christine Gerlach

Keine Sachleistung für im Ausland lebende Rentner aus der privaten Pflegeversicherung

Sozialgericht Düsseldorf: Urteil vom 16.07.2017 – S 5 P 281/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Düsseldorf

S 5 P 281/13

Tenor:

Die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

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Tatbestand:

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Der Kläger ist Rentner und lebt dauerhaft in Spanien. Er ist bei der Beklagten privat pflegepflichtversichert (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung -Bedingungsteil MB/PPV 2017-, im Tarif PVN -versicherte Personen ohne Anspruch auf Beihilfe-). Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von Sachleistungen in Spanien hat.

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Hierzu wandte er sich mit Schreiben vom 02.09.2013 an die Beklagte und bat diese zu bestätigen, dass er im Versicherungsfall nach dem Tarif PVN Pflegesachleistung im europäischen Ausland erhalten werde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 28.09.2006, Az. B 3 P 3/05 R, erhielten beihilfeberechtigte Personen im Tarif PVB Leistungen nach den gleichen Grundsätzen wie bei Pflegebedürftigkeit im Inland. Eine Ungleichbehandlung im Tarif PVN sei sachlich nicht gerechtfertigt.

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Die Beklagte teilte dem Kläger durch Schreiben 06.09.2013 mit, bei anerkannter Pflegebedürftigkeit würde Personen, die ihren Wohnsitz in einem Land des Europäischen Wirtschaftsraumes bzw. in die Schweiz verlegt haben, Pflegegeldzahlung geleistet und damit ins Ausland transferiert. Demgegenüber sei eine Erstattung von Sachleistungen (z.B. von Rechnungen eines Pflegedienstes, Hilfsmittelrechnungen oder Pflegeheimrechnungen) in diesem Fall nicht möglich. Die Leistungsunterscheidung zu Versicherten in Deutschland beruhe auf den Artikeln 19 Abs. 1 Buchst. a und 25 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 1408/71 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Danach stünden Arbeitnehmern und Selbstständigen Leistungen des europäischen Staates zu, indem sie sich aufhalten. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 05.03.1998, Rechtssache C -160/96 (Molenaar- Urteil), bestünden für Versicherte in der sozialen Pflegeversicherung bei ständigem Wohnsitz im europäischen Ausland ein Pflegegeldanspruch weiter. Dem habe die private Pflegepflichtversicherung sich angeschlossen. Nach dieser Entscheidung seien für Arbeitnehmer und Selbstständige im europäischen Ausland nur Pflegegeld- und Rentenbeitragszahlungen möglich. Dies gelte auch für Rentner, die Arbeitnehmer oder selbstständig waren.

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Der Kläger vertrat weiter die Auffassung, Anspruch auf Erstattung von Pflegesachleistungen nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006 zu haben, weil das Gericht ausgeführt habe, dass die dortigen Grundsätze in Bezug auf Sachleistungen nicht nur für Beamte mit entsprechendem Versorgungssystem, sondern auch für diesen gleichgestellten Personen gelte. Anderenfalls läge ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) vor. Entsprechend habe die Beklagte ihren Tarif anzupassen.

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In einem weiteren Schreiben vom 28.11.2013 verwies die Beklagte erneut auf die Bestimmungen der VO 1408/71 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006, Az. B 3 P 3/05, trage nur dem Umstand Rechnung, dass die zitierten Bestimmungen in der VO 1408/71 (EWG) aufgrund eines für Deutschland geltenden Vorbehalts nicht für solche und gleichgestellte Personen gelte, die gegenüber einem Versorgungssystem für Beamte in Bezug auf Sachleistungen anspruchsberechtigt und nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Von daher sei im Tarif PVN weiterhin nur die Zahlung von Pflegegeld möglich.

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Am 09.12.2013 hat der Kläger Klage erhoben.

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Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem vorgerichtlichen Verfahren. Er vertritt unter anderem die Auffassung, die Beklagte müsse dem oben genannten Urteil des Bundessozialgerichts auch im Tarif PVN Rechnung tragen, da auch die dort privat pflegepflichtversicherten Personen keine Versicherten der gesetzlichen Pflegeversicherung seien, so dass es sich um gleichgestellte Personen nach dem Tarif PVB handele. Im Falle seiner Pflegebedürftigkeit hätte er sonst gravierende finanzielle Nachteile zu erwarten, die seine gesamte Lebensplanung, sich im südlichen Europa aus gesundheitlichen Gründen aufzuhalten, negativ beeinflussten. Ein anderes privates Pflegepflichtversicherungsunternehmen habe seiner dort versicherten Ehefrau die Umsetzung des Urteils des BSG im Tarif PVN bestätigt. Der Kläger sieht weiterhin einen Verstoß gegen Art. 3 GG und sieht sich, sollte die Beklagte sich weiterhin weigern, Pflegesachleistung zu erstatten, in seiner freien Entfaltung seiner Persönlichkeit und Freizügigkeit beeinträchtigt. Die Sachleistung hätte den doppelten Wert im Vergleich zum Pflegegeld. Die Auffassung der Beklagte widerspreche dem Solidaritätsgedanken der sozialen Pflegeversicherung und lasse eine Absicherung des versicherten Risikos nicht mehr zu. Zur Stützung seines Vorbringens überreicht er in Kopie die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Verfassungsgemäßheit von § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI vom 17.09.2013. Ferner macht der Kläger geltend, er sei gegenwärtig zwar nicht pflegebedürftig, der Fall könnte jedoch durch unvorhersehbare Ereignisse in seinem Alter jederzeit eintreten.

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Der Kläger beantragt nach seinem erkennbaren Interesse,

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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch bei einem dauernden Auslandsaufenthalt in Spanien die Kosten für Pflegesachleistungen zu erstatten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hält die Klage für unzulässig, der Kläger sei nicht pflegebedürftig und begehre lediglich die abstrakte Feststellung, so dass es am Feststellungsinteresse mangele.

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Die Klage sei jedoch auch unbegründet.

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Die Beklagte habe den Kläger mit Schreiben vom 28. 2013 06.09.2013 mitgeteilt, dass sie bei Wohnsitzverlegung in ein Land des europäischen Wirtschaftsraumes bzw. in die Schweiz und Vorliegen der Voraussetzungen Pflegegeld- und Rentenbeitragszahlungen leisten werde, insofern habe sie ihre Versicherungsbedingungen noch nicht angepasst. Sachleistungen seien dagegen nach § 5 Abs. 1 Buchst. a MB/PPV, der § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI entspreche, ausgeschlossen, solange sich versicherte Personen im Ausland aufhalten. Nach den Art. 19 Abs. 1 Buchst. a und b, 25 Abs. 1a und b, 28 Abs. 1a und b der VO 1408/71 erhielten Arbeitnehmer, Selbstständige, Rentner und Arbeitslose bei Vorliegen der Voraussetzungen Sachleistungen vom Wohnortsozialversicherungsträger für Rechnung des zuständigen Trägers. Die Entscheidung des BSG im Urteil vom 28.09.2006 betreffe Ruhestandsbeamte, da sie nicht, aufgrund eines Deutschland betreffenden Vorbehalts, auf Sachleistungen des Sozialversicherungsträgers am Wohnort verwiesen werden könnten. Als Rentner unterfalle der Kläger nicht diesem Personenkreis. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht gegeben, da es sich nicht um gleiche Sachverhalte handele. Das Versorgungssystem für Beamte stelle einen anderen Sachverhalt dar, der auf den Kläger nicht zuträfe. Dieser Auffassung würde von der Aufsichtsbehörde BaFin geteilt. Mittlerweile habe auch das Versicherungsunternehmen gegenüber der Ehefrau des Klägers klargestellt, dass es keine Sachleistungen ins Ausland erbringt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte vollinhaltlich verwiesen.

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Entscheidungsgründe:

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Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Kammer bejaht das Feststellungsinteresse im vorliegenden Fall. Der Kläger hat mit Blick auf sein Alter als Rentner aber auch hinsichtlich der Unwägbarkeiten, ob und wann er pflegebedürftig wird, ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Frage, ob ihm die Beklagte bei dauernden Auslandsaufenthalt Sachleistungen im Versicherungsfall. Zu erstatten hat.

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Die Klage ist jedoch unbegründet.

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Die Beklagte hat es mit zutreffender Begründung abgelehnt, dem Kläger die Erstattung von Pflegesachleistungen in das europäische Ausland, hier Spanien, zuzusagen.

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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006, Az. B 3 P 3/05, für den Kläger nicht einschlägig ist. Der Kläger geht offensichtlich rechtsirrig davon aus, dass er zu dem im Urteil erwähnten „gleichgestellten Personenkreis“ zählt, weil er nicht Mitglied der gesetzlichen Pflegeversicherung ist. Dies ist jedoch unzutreffend. Die Formulierung des „gleichgestellten Personenkreis“ bezieht sich auf solche Personen, die wie Beamte in einem Versorgungssystem für Beamte versichert sind. Allein für Beamte und hinsichtlich des Versorgungssystems für Beamte gleichgestellte Personen ist das Urteil insofern von Relevanz und nicht für sämtliche privat pflegepflichtversicherten Personen, wie es fälschlicherweise der Kläger sieht. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Art 3 Abs.1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. hierzu BVerfGE 71, 146, 154f m.w.N.). Maßgeblicher Bezugspunkt für die Prüfung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist also die Frage, ob eine Personengruppe gegenüber einer anderen ohne hinreichenden sachlichen Grund unterschiedlich behandelt wird (BVerfGE 78, 232,247). Wie die Beklagten zutreffend ausgeführt hat, liegen bei Ruhestandsbeamten und diesen gleichgestellte Personen, die in einem System für Beamte versichert sind, gewichtige Unterschiede hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen gegenüber den sonstigen privat oder gesetzlich pflegepflichtversichert Personen vor. Auf die Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006 und in den Schriftsätzen der Beklagten wird insoweit Bezug genommen.

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Der Leistungsumfang der privaten Krankenversicherungsunternehmen bestimmt sich hinsichtlich der Pflegeversicherung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XI. Danach muss der Vertrag über die private Pflegeversicherung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang im Leistungen des Vierten Kapitels des SGB XI gleichwertig sind, wobei nach S. 3 der Vorschrift an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung tritt.

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Dementsprechend erhalten aus der privaten Pflegepflichtversicherung auch die Versicherten, die ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU, des EWR oder der Schweiz haben, Leistungen wie gesetzlich Versicherte. Insofern hat sich auch keine Änderung durch die VO 883/2004, die die VO 1408/71 abgelöst hat und die das Risiko der Pflegebedürftigkeit in Art. 34 ausdrücklich erfasst, ergeben. Daraus folgt, dass das Pflegegeld nach § 4 Abs. 2 MB/PPV 2017 uneingeschränkt an Versicherte mit Wohnsitz im EU-Ausland zu transferieren ist. Es liegt damit eine Ausnahme gegenüber dem grundsätzlichen Ruhen der Leistungspflicht nach § 5 Abs. 1a S. 1 MB/PPV 2017 vor. Diesen Leistungsanspruch hat die Beklagte auch ausdrücklich anerkannt. Demgegenüber ist ein Anspruch auf Pflegesachleistungen, bzw. auf den entsprechenden Erstattungsanspruch, nicht exportfähig. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 16.07.2009, Rechtssache C-208/07 (Chamier-Glisczinski), bestätigt hat, werden Sachleistungen grundsätzlich nur nach den Vorschriften des Wohnortstaates auf Rechnung des Leistungsträgers im Rahmen der Sachleistungsaushilfe erbracht. Für den Fall, dass der Wohnortstaates entsprechende Leistungen nicht vorsieht, können diese Leistungen nicht vom Versicherungsträger beansprucht werden (vergleiche dazu KassKomm/Leitherer § 34 SGB XI Rn. 7 m.w.N.).

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Ein Verstoß gegen Grundrechte ist damit nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für Art. 3 Abs. 1 GG. Das dem Art. 3 Abs. 1 Gesetz innewohnende Willkürverbot (vgl. BVerfGE 97, 271, 291) ist nicht verletzt. Als sachlicher Grund für die Leistungsbegrenzung der Pflegesachleistungen sind die auf das Inland begrenzten Kontrollmöglichkeiten der Leistungsvoraussetzungen sowie die Qualitätskontrolle zu nennen (vergleiche dazu a.a.O. Rn. 6).

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Soweit der Kläger sich in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sieht, ist darauf hinzuweisen dass Art. 11 GG allein die Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik Deutschland schützt. Die Begründung eines dauernden Aufenthaltes in einem Mitgliedstaat der EU kann hinsichtlich der sozialen Absicherung Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringen, die der Betroffene hinzunehmen hat, wenn, wie hier der Fall, europarechtliche Vorschriften nicht verletzt werden.

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Anlass, das Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH auszusetzen, sieht die Kammer nicht. Die rechtserheblichen Fragen des Europarechts sind insoweit geklärt.

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Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG
Rechtsgebiet
Pflegeversicherung

Das Landesblindengeld ist bei der Beitragsbemessung für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung nicht zu berücksichtigen

Sozialgericht Mainz: Urteil vom 11.07.2017 – S 14 KR 197/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Mainz

Urt. v. 11.07.2017

Az.: S 14 KR 197/17

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 wird betreffend den Krankenversicherungsbeitrag für Dezember 2016 aufgeboben und ab Januar 2017 insoweit abgeändert als der monatliche Krankenversicherungsbeitrag auf 299,57 Euro festgesetzt wird. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung des Landesblindengeldes bei den Krankenversicherungsbeiträgen.

Die Klägerin ist als Physiotherapeutin bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit freiwillig versichert. Sie übersandte am 12. November 2015 den Einkommenssteuerbescheid 2014. Daraus ergab sich ein Bruttoeinkommen in Höhe von 27.024 Euro.

In einer Einkommensauskunft, die am 9. September 2016 bei der Beklagten einging, gab die Klägerin neben den Jahreseinkommen wie im Einkommenssteuerbescheid ausgewiesen Versorgungsbezüge in Höhe von 529,50 Euro an. Daraufhin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 14. September 2016 den Versorgungsbezugsbescheid an. Mit Schreiben vom 23. September 2016 forderte die Beklagte den Blindengeldbescheid an.

Mit einem Schreiben, das bei der Beklagten am 12. Oktober 2016 einging, teilte die Klägerin mit, dass der Steuerbescheid für 2015 noch nicht vorliege. Sie übersandte eine Liste der Einnahmen bis zum 31. September 2016 mit einer Gesamtsumme von 20.133,90 Euro.

Mit Schreiben vom 9. November 2016 forderte die Beklagte erneut den Blindengeldbescheid an und kündigte an, im Falle der Nichtvorlage den Beitrag aus einem monatlichen Einkommen von 4.237,50 Euro, d.h. der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, zu berechnen.

Die Klägerin antwortete mit Schreiben, das am 14. November 2016 bei der Beklagten einging, nach Rücksprache mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband sei Blindengeld nicht anrechenbar. Mit weiterem Schreiben, das am 16. November 2016 bei der Beklagten einging, übersandte sie einen Bescheid der Kreisverwaltung Mainz-Bingen vom 13. Januar 1997, wonach die Klägerin zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz in Höhe von monatlich 529,50 Euro erhält.

Mit Schreiben, das am 14. Dezember 2016 bei der Beklagten einging, übersandte die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2015, der für sie ein Bruttoeinkommen von 23.807 Euro auswies.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 berechnete die Beklagte den monatlichen Krankenversicherungsbeitrag ab 1. Dezember 2016 aus 4.237,50 Euro (= monatliche Beitragsbemessungsgrenze) und legte ihn auf 639,86 Euro fest. Als Grund hierfür gab die Beklagte die fehlende Einreichung von Unterlagen an.

Nach einer Vorsprache des Ehemanns der Klägerin bei der Beklagten legte diese am 5. Januar 2017 Widerspruch gegen den Bescheid ein und legte den Steuerbescheid 2015 vor.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2017 forderte die Beklagte erneut einen aktuellen Bescheid zum Landesblindengeld sowie einen Nachweis für die Höhe des Zuflusses an. In einer ergänzenden E-Mail vom 17. Januar 2017 erläuterte die Beklagte, dass der vorliegende Blindengeldbescheid sehr alt sei, und man einen Nachweis der aktuellen Höhe benötige. Sie erläutert, dass nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler das Blindengeld bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen sei.

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 ersetzte die Beklagte den „bisherigen Bescheid“ und legte den Krankenversicherungsbeitrag für den Dezember 2016 und Januar 2017 auf 420,01 Euro und ab Februar 2017 auf 379,59 Euro fest. Für die Berechnung der Beiträge ab Dezember 2016 habe man den Einkommenssteuerbescheid 2014 und den Blindengeldbescheid vom 13. Januar 1997 zu Grunde gelegt.

Mit weiterem Bescheid vom 20. Januar 2017 legt die Beklagte den Krankenversicherungsbeitrag ab Januar 2017 auf 420,01 Euro fest.

Mit Schreiben vom 24. Januar 2017 bestellte sich der Klägervertreter und wies auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Januar 2016 (L 11 KR 888/15) hin.

Gegen den Bescheid vom 17. Januar 2017 und gegen den Bescheid vom 20. Januar 2017 legte die Klägerin am 15. Februar 2017 Widerspruch ein.

Sie beanstandet, dass nicht der Einkommenssteuerbescheid von 2015 sondern derjenige von 2014 zu Grunde gelegt worden sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen die Bescheide vom 29. Dezember 2016, 17. Januar 2017 und 20. Januar 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2017 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 25. April 2017 Klage erhoben. Sie vertieft ihre Argumente aus dem Verwaltungsverfahren. Sie übersendet ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (L 5 KR 313/15) und das Anerkenntnis einer Krankenkasse in einem anderen Verfahren.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 sowie der Folgebescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 den Krankenkassenbeitrag der Klägerin ohne Berücksichtigung des ihr monatlich gewährten Landesblindengeldes zu bemessen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der Verwaltungsakte und ihres Widerspruchsbescheids.

Mit Schriftsätzen vom 20. Juni 2017 und 21. Juni 2017 haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage im Sinne einer reinen Bescheidände- rung (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) zulässig.

Das Begehren der Klägerin ist allein auf die Nichtberücksichtigung des Blindengeldes bei der Beitragsbemessung gerichtet. Das Gericht hat zu diesem Zweck das Einkommen anhand des letztbekannten Einkommenssteuerbescheids zu berücksichtigen.

Streitgegenstand sind nach dem Klageantrag allein die Krankenversicherungsbeiträge und nicht die Pflegeversicherungsbeiträge. Dies ist auch zutreffend, da die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid keine Entscheidung über die Pflegeversicherungsbeiträge im Namen der Pflegekasse der A., die der Widerspruchsausschuss nach § 10 der Satzung der Pflegekasse der A. zu treffen hatte, getroffen hat. Dies hätte der ausdrücklichen Erwähnung bedurft. Der Widerspruchsausschuss wollte, so der Wortlaut des Bescheids, allein gemäß § 29 Satzung A. handeln. Der Widerspruch, der am 5. Januar 2017 einging, ist jedoch nicht auf Krankenversicherungsbeiträge beschränkt, so dass der Widerspruchsausschuss hier noch eine Entscheidung im Auftrag der Pflegekasse zu treffen haben wird. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten hat im Widerspruchsbescheid vom 28. März 2017 zutreffend erkannt, dass die Bescheide vom 17. und 20. Januar 2017 nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens wurden und der Bescheid vom 17. Januar 2017 den Bescheid vom 29. Dezember 2016 vollständig „auf andere Weise“ erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SGB X). Streitgegenständlich ist daher zumindest für den Monat Dezember 2016 der Bescheid vom 17. Januar 2017 und der Bescheid vom 20. Januar 2017, wobei zu prüfen ist, ob dieser den Bescheid vom 17. Januar 2017 seinerseits ab Januar 2017 „auf andere Weise“ erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SGB X). Warum die ausreichend im Sozialverwaltungsrecht geschulten Mitarbeiter der Beklagten regelmäßig nicht die zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung geben sondern wie auch hier stets auf einen möglichen Telefonkontakt verweisen wollen und dadurch die Versicherten zu sinnlosen Widerspruchsschreiben bringen, ist für die erkennende Kammer nicht nachvollziehbar.

Die Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 ist im Umfang des Tenors rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Das Gericht hatte ihn daher insoweit abzuändern.

Bei dem Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 handelt es sich um einen Änderungsbescheid zum Bescheid vom 29. Dezember 2016. Diese Änderung kann sich auf § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X stützen.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte musste die Klägerin nicht anhören. Sie hat zwar zutreffend im Widerspruchsbescheid erkannt, dass die Klägerin vor Erlass des Bescheides nach § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören gewesen wäre, da kein Ausnahmefall des § 24 abs. 2 SGB X vorlag. Insbesondere wurde auch zu Ungunsten von Angaben der Klägerin abgewichen, da nicht der Einkommenssteuerbescheid 2015 sondern der Einkommenssteuerbescheid 2014 der Beitragsberechnung im Januar 2017 zu Grunde lag. Durch den Widerspruch der Klägerin, in dem sie sich mit allen wesentlichen Aspekten auseinandersetzte, ist jedoch eine Heilung i.S.d. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X eingetreten.

Der Bescheid ist materiell rechtswidrig und war daher teilweise aufzuheben bzw. abzuändern.

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Der Bescheid vom 29. Dezember 2016 war rechtswidrig. Die Beklagte durfte ihn nicht auf § 240 Satz 2 zweiter HS SGB V stützen. Danach gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223), sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen. Die Klägerin hatte jedoch bis zum 29. Dezember 2016 alle notwendigen Nachweise vorgelegt. Sie hatte sowohl den Einkommenssteuerbescheid 2015 als auch den Bescheid aus 1997 über Blindengeld, dessen Höhe die Beklagte im Übrigen auch aus dem Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz ersehen konnte, vorgelegt.

Die Beklagte hat daher zu Recht den Bescheid vom 29. Dezember 2016 durch Bescheid vom 17. Januar 2017 aufgehoben und eine korrigierte Entscheidung über die Höhe des monatlichen Krankenversicherungsbeitrags getroffen.

Die Korrektur der Höhe des Krankenversicherungsbeitrags war jedoch insoweit rechtswidrig und aufzuheben, als sie es für Dezember 2016 nicht bei der Aufhebung belassen hat. Dies stellt einen Verstoß gegen § 6 Abs. 6 i.V.m § 7 Abs. 7 Satz 3, 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler dar, wonach die Neuregelung frühestens ab Beginn des auf die Ausfertigung des aktuellen Einkommenssteuerbescheids folgenden Monats möglich ist. Dies war, da der aktuelle Einkommenssteuerbescheid 2015 vom 9. Dezember 2016 datiert, der 1. Januar 2017. Das Gericht geht davon aus, dass die Beitragshöhe für Dezember 2016 nach voriger Bescheidlage unter 420,01 Euro liegt und insofern in der Aufhebung keine reformatio in peius liegen kann.

Die Korrektur der Höhe des monatlichen Krankenversicherungsbeitrags ab Januar 2017 war insoweit rechtswidrig und abzuändern, als sie 299,57 Euro überstieg Die Klägerin ist als freiwilliges Mitglied der Beklagten beitragspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 223 SGB V). Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V bzw. § 57 Abs. 4 SGB XI i.V.m. § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (Satz 2, 1. Halbsatz). Nach § 3 Abs. 1 der vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler vom 27. Oktober 2008, zuletzt geändert am 10. Dezember 2014sind beitragspflichtige Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung. Zu berücksichtigen sind auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 3 Abs. 1b der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Nach § 5 Abs.1 und 2 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler werden die beitragspflichtigen Einnahmen jeweils dem Monat der Mitgliedschaft, für den Beiträge zu zahlen sind, zugeordnet (Beitragsmonat). Das Arbeitseinkommen und Einkünfte aus Vermietung/Verpachtung sind dem jeweiligen Beitragsmonat mit einem Zwölftel des aus dem vorliegenden aktuellen Einkommensteuerbescheid zu entnehmenden Jahresbetrags zuzuordnen. Die Einnahmen sind nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen; eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen findet nicht statt (vgl. auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03. Dezember 2015 – L 5 KR 84/15 -, Rn. 13, […]). Nach § 6 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler erfolgt der Nachweis von Arbeitseinkommen durch den aktuellen Einkommenssteuerbescheid. Nach § 6 Abs. 6 i.V.m § 7 Abs. 7 Satz 3, 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler ist der neue Einkommenssteuerbescheid ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen, wenn sich nicht durch Berücksichtigung im auf die Vorlage folgenden Monat eine günstigere Beitragsbemessung ergäbe.

Nach diesem Maßstab ist zunächst ein Zwölftes des Bruttojahreseinkommens, wie im Einkommenssteuerbescheid 2015 festgestellt, als Bemessungsgrundlage für den monatlichen Krankenversicherungsbeitrag ab Januar 2017 zu berücksichtigen. Pro Monat ergibt sich aus dem Einkommenssteuerbescheid 2015 ein Einkommen von 1.983,92 Euro, so dass der monatliche Beitrag bei einem Beitragssatz von 15,1 Prozent (14 Prozent + 1,1 Prozent Zusatzbeitrag) 299,57 Euro beträgt. Die Klägerin hat den Einkommenssteuerbescheid 2015 vom 9. Dezember 2016 am 14. Dezember 2016 bei der Beklagten eingereicht. Dieser weist mit einem Jahreseinkommen von 23.807 Euro einen niedrigeren Wert aus, so dass die Berücksichtigung ab Januar 2017 zu erfolgen hatte.

Das von der Klägerin bezogene Blindengeld war nicht bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen.

Die Regelungen der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler bieten zwar grundsätzlich eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 19.12.2012, B 12 KR 20/11 R) und verstoßen auch nicht gegen Verfassungsrecht (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 L – 11 KR 888/15 – […] Rn. 28). Dies umfasst jedoch nicht zwingend alle Regelungen. So liegt der Fall bei § 4 Abs. 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler.

Nach § 4 Nr. 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind Leistungen zum Ausgleich der durch Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen nach den landesrechtlichen Vorschriften (Blindengeld), soweit diese Leistungen nicht auf die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII angerechnet werden, den beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 zuzurechnen.

Diese Regelung ist mit § 240 SGB V, wonach bei der Beitragsbelastung ausschließlich die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beitragszahlers zu berücksichtigen ist, nicht vereinbar und daher nichtig.

Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung Leistungen nicht zur „wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ gezählt und damit von der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, die im Hinblick auf ihre besondere Zweckbestimmung den Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht zugeordnet werden können (vgl. BSG 21.12.2011, B 12 KR 22/09 R, BSGE 110, 62). Dies zielt zum einen auf (Sozial-)Leistungen, die der Kompensation eines bestehenden besonderen persönlichen Bedarfs dienen oder als „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ nicht für den „allgemeinen“ Lebensbedarf des Betroffenen bestimmt sind, sondern dem Betroffenen ungekürzt erhalten bleiben sollen (z.B. BSG 23.11.1992, 12 RK 29/92, BSGE 71, 237). Zum anderen sind Geldleistungen des sozialen Entschädigungsrechts, die in Ansehung eines in der Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft erlittenen Sonderopfers gewährt werden und in nahezu der gesamten Rechtsordnung nicht als Einkommen gelten, von der Beitragsbemessung ausgenommen (BSG 03.07.2013, B 12 KR 27/12 R, BSGE 114, 83).

Das Blindengeld fällt unter die erste Fallgruppe, da es nicht dem allgemeinen Lebensbedarf sondern der Kompensation eines besonderen persönlichen Bedarfes dient. Nach § 1 Abs. 1 Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz wird Blindengeld zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen gewährt. Solche Mehraufwendungen können z.B. für sprechende Haushaltsgeräte, blindengerechte Computer, Lesehilfen, Brailleschrift-Kurse, Bücher in Brailleschrift, Blindenstöcke, Haushaltshilfen oder Assistenzleistungen anfallen. Blinde, die wie die Klägerin bereits vor April 2003 Blindengeld bezogen haben, erhalten in RheinlandPfalz 529,50 Euro als Blindengeld (§ 2 Abs. 1 S. 2 Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz). Nach § 4 Abs. 1 Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz werden gleichartige Leistungen angerechnet.

Dies zielt insbesondere auf die ebenfalls zum Ausgleich behinderungsbedingter Mehraufwendungen dienenden bundesgesetzlichen Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Mit dieser Leistung unterstützt das Gesetz die Möglichkeit für Blinde, sich trotz Blindheit mit der Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen, und die Mobilität zu fördern (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15 – […] Rn. 30). Die Blindenhilfe dient nicht der Deckung des gewöhnlichen Lebensbedarfs (BVerwG 04.11.1976, V C 7.76, BVerwGE 51, 281; VGH Baden-Württemberg 06.04.2000, 7 S 1967/98, […]; BSG 05.12.2001, B 7/1 SF 1/00 R, SozR 3-5922 § 1 Nr 1). Den gleichen Zweck erfüllt das Landesblindengeld. Eine solche vom Gesetzgeber selbst zweckbestimmte Leistung kann ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn ihr Empfänger sie bestimmungsgemäß verwenden darf und sie nicht zur Deckung anderer Lebenshaltungskosten heranziehen muss (vgl. BSG 25.11.1981, 5a/5 RKn 18/79). Die erkennende Kammer steht mit diesem Rechtsverständnis im Einklang mit Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der aktuellen Rechtsprechung der Landessozialgerichte Bayern (Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 5 KR 313/15 -), Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15 -, Rn. 30, […]) und Sachsen (Sächsisches LSG Urteil vom 6. Dezember 2012 – L 1 KR 172/11 – […]) (ebenso: Peters in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 227 SGB V, Rn. 26). Ob die ungleiche Behandlung von Blindengeld und Blindenhilfe in § 4 Nr. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (so Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Februar 2017 -L 5 KR 313/15-) oder , § 4 Nr. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler steht (so LSG Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15) kann die erkennende Kammer vor dem Hintergrund des gefundenen Auslegungsergebnisses offen lassen. Hierauf kommt es nicht an.

Der Bescheid vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 war daher wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 ist rechtswidrig, verletzt die Klägerin in ihren Rechten und war daher vollständig aufzuheben.

Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 20. Januar 2017 ist nicht § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Vorliegend ändert der Bescheid vom 20. Januar 2017 den Bescheid vom 17. Januar 2017.

Bei diesem Beitragsbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er die Beiträge für die Zukunft zeitlich unbefristet festsetzt. Obwohl der Monat Januar 2017 bereits begonnen wurde, handelt es sich um eine Änderung mit Wirkung für die Zukunft, da die Beiträge für den Januar 2017 erst am 15. Februar 2017 fällig waren. Eine Änderung der Beiträge war nicht möglich, da es keinerlei Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen der Klägerin gab. Der Beklagten lagen auch alle Informationen vor.

Der Bescheid kann sich auch nicht auf § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X stützen. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Aus dem Merkmal „Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind“ ergibt sich, dass die Anwendung dieser Norm zu einer Beitragsreduktion führen müsste. Vorliegend bleib die Beitragshöhe für den Januar 2017 gleich hoch und stieg ab Februar 2017. Es handelt sich auch nicht um eine Rücknahme für die Vergangenheit.

Rechtsgrundlage für den Bescheid kann ausschließlich § 44 Abs. 2 SGB X sein.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend im Widerspruchsbescheid erkannt, dass die Klägerin vor Erlass des Bescheides nach § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören gewesen wäre, da der Bescheid insoweit in die Rechte der Klägerin eingreift, als ab Februar 2017 der Krankenversicherungsbeitrag im Vergleich zur Bescheidlage vom 17. Januar 2017 hochgesetzt wurde. Eine Heilung i.S.d. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist auch hier durch den Widerspruch, der sich mit allen wesentlichen Aspekten auseinandersetzte, eingetreten. Der Bescheid ist materiell rechtswidrig und kann daher keinen Bestand haben. Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen.

Für den Monat Januar 2017 fehlt es schon an einem Rücknahmeanlass, da insoweit lediglich die Regelung aus dem Bescheid vom 17. Januar 2017 bestätigt wird. Die Beitragshöhe ab dem Monat Februar 2017 ist zu Lasten der Klägerin unzutreffend nach oben korrigiert worden. Ein Regelungsanlass gab es dafür nicht. Der Bescheid vom 20. Januar 2017 konnte daher keinen Bestand haben und war insgesamt aufzuheben.

Die Klage hatte Erfolg. Die Kammer hatte gemäß § 131 Abs. 1 S. 1 SGG eine Regelung zur Rückabwicklung bereits gezahlter Beiträge zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Es ist der erkennenden Kammer unverständlich, warum die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 28. März 2017 bei der Kostenregelung gemäß § 63 SGB X nicht berücksichtigt hat, dass auch nach ihrem eigenen Verständnis durch Bescheid vom 17. Januar 2017 eine Teilabhilfe erfolgt ist. Ihre Kostenentscheidung war schon nach eigener Konzeption evident falsch. Sie ist auch insoweit zu korrigieren als die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.
Rechtsgebiete
SGB, GG
Vorschriften
§ 240 Abs. 1 S. 1 SGB V; § 24 Abs. 1 SGB X; § 24 Abs. 2 SGB X; § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X; § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X; § 57 Abs. 4 SGB XI; § 72 SGB XII; Art. 3 Abs. 1 GG

Kostenbescheid wegen Bestattungskosten gegenüber Angehörigen

Quelle: gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2017-N-115817
VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 06.06.2017 – Au 7 K 16.716

Normenketten:
BestG Art. 14 Abs. 2 Satz 2
BestG Art. 14 Abs. 2 Satz 1
BestV § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b
BestV § 15
Leitsätze:
1. Können bestattungspflichtige Angehörige in angemessener Zeit nicht ermittelt werden und ihnen gegenüber deshalb keine Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 BestG ergehen, liegt ein unaufschiebbarer Fall iSd Art. 14 Abs. 2 S. 1 BestG vor. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bestattungspflicht eines Angehörigen besteht auch bei gestörten Familienverhältnissen und unabhängig von der erbrechtlichen Stellung des Angehörigen und dem Vermögen des Verstorbenen; ein Ausnahmefall besteht nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben (VGH München BeckRS 2009, 39214). (Rn. 32, 34 und 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestattungspflicht, Polizeiliche Ersatzvornahme (Überführung des Leichnams ins Leichenhaus), Kostenersatz, Sohn als Bestattungspflichtiger, Angehörige, gestörte Familienverhältnisse, Ausnahmefall, schwere Straftaten des Verstorbenen, Erbe, ausreichendes Vermögen des Verstorbenen
Fundstellen:
FamRZ 2018, 138
ErbR 2018, 285
BeckRS 2017, 115817
LSK 2017, 115817

Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem Kosten für die Bestattung seiner Mutter in Höhe von 493,00 EUR geltend gemacht werden.
2
1. Am 23. November 2015 wurde die Polizei … zur Wohnung der Mutter des Klägers, der Frau … (geb.: …1960) gerufen. Der vor Ort befindliche Notarzt konnte nur noch den Tod der Frau … feststellen. Durch die anschließend herbeigerufene Hausärztin, Frau Dr. …, wurde im Rahmen der ärztlichen Leichenschau eine natürliche Todesursache bescheinigt. Nachdem keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten vor Ort waren, veranlasste die Polizei die Überführung des Leichnams.
3
Das Bestattungsinstitut,, stellte der Polizeiinspektion … mit Rechnung vom 9. Dezember 2015 folgende Leistungen in Rechnung:
4
– Bergung und Überführung zum Leichenhaus mit 2 Mann, inkl. 1 Unfallsarg und 1 Bergungshülle 299,00 EUR
5
– Zuschlag für erschwerte Bergung 99,00 EUR
6
– Zuschlag für Abholung/Bergung außerhalb der Geschäftszeiten 95,00 EUR
7
Inklusive 19% Mehrwertsteuer = 78,71 EUR (Netto: 414,29 EUR)
8
Gesamtbetrag: 493,00 EUR
9
Mit Schreiben des Polizeipräsidiums … vom 7. März 2016, dem die Rechnung des Bestattungsinstituts … vom 9. Dezember 2015 beilag, wurde der Kläger zur Absicht des Beklagten angehört, ihm die Auslagen für die Überführung in Rechnung zu stellen. Eine Äußerung des Klägers innerhalb der gesetzten Frist (6.4.2016) erfolgte nicht.
10
2. Mit Bescheid (Kostenrechnung) des Beklagten vom 8. April 2016 wurde der Kläger dazu verpflichtet, die Kosten für die Überführung der verstorbenen Frau … in Höhe von insgesamt 493,00 Euro zu erstatten.
11
Den Gründen des Bescheids ist zu entnehmen, dass der Beklagte gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 des Bestattungsgesetzes (BestG) vom Kläger als Sohn der Verstorbenen Kostenersatz fordere, da er der nächste Angehörige sei.
12
3. Mit Schreiben vom 4. Mai 2016, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 9. Mai 2016, erhob der Kläger Klage gegen die Kostenrechnung vom 8. April 2016 und beantragte (sinngemäß),
13
die Kostenrechnung vom 8. April 2016 aufzuheben.
14
Zur Begründung trug er vor, ihm sei kein Gebührenbescheid bekannt, noch hätten er oder sein Vater den Auftrag dazu erteilt. Da weder er noch sein Vater seit Jahren Kontakt zu Frau … gehabt hätten, diese ihn und seinen Vater fast 15 Jahre lang vor Gericht gezerrt habe, würden sein Vater und er jedwede Beteiligung an irgendwelchen Kosten ablehnen. Er habe auch das Erbe von Frau … ausgeschlagen.
15
Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 23. Mai 2016,
16
die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Polizeiinspektion … dazu berechtigt gewesen sei, die einer Bestattung vorausgehenden notwendigen Verrichtungen, wozu auch die Überführung eines Leichnams in das nächstgelegene Leichenhaus zähle, in Auftrag zu geben. Für diese Auslagen könne von den Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangt werden. Bestattungspflichtig seien regelmäßig die nächsten Angehörigen, in diesem Fall der Kläger als Kind der Frau … Bei Erhebung diese Kosten stehe der Behörde ein begrenzter Ermessensspielraum zu, der nur bei außergewöhnlichen Umständen ein Abweichen von der Kostenerhebung zulasse. Solche Umstände seien weder ersichtlich noch vom Kläger dargelegt worden.
18
Mit gerichtlichem Schreiben vom 14. Oktober 2016 wurde dem Kläger dargelegt, warum sich der Kostenbescheid als rechtmäßig darstellt und angeregt, die Klage zurückzunehmen. Eine Reaktion des Klägers auf das gerichtliche Schreiben erfolgte nicht.
19
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Mai 2017 wurde der Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen (§ 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO).
20
Mit Schreiben des Gerichts vom 8. Mai 2017 wurden die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Kläger, dem das Anhörungsschreiben laut Postzustellungsurkunde am 11. Mai 2017 zugestellt worden war, äußerte sich nicht. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 11. Mai 2017 ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise.
21
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
22
Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Parteien wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu dieser Form der Entscheidung angehört. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.
II.
23
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
24
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 (Kostenrechnung) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
25
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
26
Auch wenn der Bescheid die Überschrift „Kostenrechnung“ trägt handelt es sich erkennbar um einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), nämlich einen Leistungsbescheid, der vom Beklagten im öffentlich-rechtlichen Bereich und damit in hoheitlicher Tätigkeit erlassen wurde. Der Leistungsbescheid ist schriftlich erlassen worden, lässt die erlassende Behörde (Polizeipräsidium …) erkennen und enthält die Unterschrift bzw. Namenswiedergabe des Behördenleiters bzw. seines Beauftragten (vgl. Art. 37 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Der Bescheid enthält eine Begründung (vgl. Art. 39 Abs. 1 VwVfG) und eine (ordnungsgemäße) Rechtsbehelfsbelehrung:.
27
2. Der Bescheid vom 8. April 2016 unterliegt auch in materieller Hinsicht keinen Zweifeln. Der Beklagte hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die erstattungsfähigen Kosten für die von ihm veranlasste Überführung der Mutter des Klägers in das nächst gelegene Leichenhaus durch Leistungsbescheid gegenüber dem Kläger geltend gemacht.
28
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Bestattungsgesetz (BestG). Danach kann der Träger der Polizei von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn er gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG in unaufschiebbaren Fällen u.a. für die der Bestattung vorausgehenden notwendigen Verrichtungen – hier: Überführung der Verstorbenen ins Leichenhaus – Sorge tragen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 der Bestattungsverordnung (BestV) Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgversprechend gewesen sind.
29
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
30
Die Überführung der Verstorbenen zum Leichenhaus durfte von der Polizei beziehungsweise von dem durch diese beauftragten Bestattungsunternehmen durchgeführt werden. Bestattungspflichtige Angehörige konnten in angemessener Zeit nicht ermittelt werden, so dass diesen gegenüber keine Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BestG ergehen konnten. Es lag damit ein unaufschiebbarer Fall im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG vor.
31
Der Kläger ist als Sohn der Verstorbenen bestattungspflichtig nach § 15 Satz 1 der Bestattungsverordnung – BestV – in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b) BestV.
32
Im Hinblick auf das Bestehen bzw. Fortbestehen der Bestattungspflicht der Angehörigen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung klargestellt, dass es auch bei gestörten Familienverhältnissen bei der Bestattungspflicht der Angehörigen verbleibt. Die Bestattungspflichtigen sind aufgrund der gesetzlichen Regelung des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG im Wege des intendierten Ermessens zum Kostenersatz zu verpflichten, d.h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. Denn nach der Zweckrichtung der Regelung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG entspricht es regelmäßig ohne Ansehung der tatsächlichen persönlichen Beziehung des Pflichtigen zum Verstorbenen dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern, die durch die Gemeinde oder wie hier durch die Polizei verauslagten Bestattungskosten vom Bestattungspflichtigen zurückzufordern. Die in Art. 15 Abs. 2 BestG und §§ 1 und 15 BestV aufgezählten Angehörigen eines Verstorbenen stehen diesem im Sinne einer Solidargemeinschaft ungeachtet ihrer persönlichen Beziehungen zueinander allein schon aufgrund der familiären Verbundenheit regelmäßig näher als die Allgemeinheit, so dass es deshalb vorrangig ihnen obliegen muss, für eine Bestattung zu sorgen und die damit verbundenen Kosten zu tragen. Bei der Bestattungspflicht und der hieraus resultierenden Kostentragungspflicht geht es vor allem darum, die private Verantwortungssphäre von derjenigen der Allgemeinheit abzugrenzen. In Fällen dieser Art bedarf es einer Darlegung der Ermessenserwägungen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten. Außergewöhnliche Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten, können danach nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen angenommen werden (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 4 ZB 12.2528 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2013 – 4 ZB 12.2374 – juris Rn. 7; B.v. 19.12.2011 – 4 C 11.2581 -juris Rn. 7; B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – BayVBl 2009, 537 jeweils m.w.N.).
33
Gemessen daran unterliegt der streitgegenständliche Bescheid keinen durchgreifenden Zweifeln. Als Sohn der Verstorbenen ist der Kläger Bestattungspflichtiger im Sinne von Art. 15 BestG i.V.m. § 15 und § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b BestV. Vorrangig Bestattungspflichtige sind nicht vorhanden.
34
Umstände, die die Annahme eines besonderen Ausnahmefalles und damit eine von dem in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG normierten Regelfall abweichende Ermessensentscheidung des Beklagten rechtfertigen könnten, sind vorliegend weder dargetan noch sonst ersichtlich. Das erkennende Gericht teilt die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass ein solcher Ausnahmefall nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben, angenommen werden kann (BayVGH. B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – BayVBl 2009, 537, juris).
35
Für eine solche Fallgestaltung ist hier nichts ersichtlich.
36
Daher ist es unerheblich, dass der Kläger hier die der Bestattung notwendig vorausgehenden Verrichtungen nicht selbst in Auftrag gegeben hat. Der Beklagte war hierzu gesetzlich ermächtigt.
37
Es kommt des Weiteren auch nicht darauf an, ob der bestattungspflichtige Kläger der Erbe seiner verstorbenen Mutter ist. Denn die Bestattungspflicht der Angehörigen und die daran anknüpfende Pflicht zur Kostenerstattung stellen öffentlich-rechtliche Verpflichtungen dar, die unabhängig von der erbrechtlichen Lage bestehen; diese Verpflichtungen sind selbst dann zu erfüllen, wenn der Verstorbene ein für die Bestattung ausreichendes Vermögen hinterlassen hat (BayVGH, B.v.8.6.2015 – 4 ZB 15.364 – juris Rn.3). Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch besteht auch unabhängig davon, wer zivilrechtlich verpflichtet ist, die Bestattungskosten zu tragen; (vgl. Klingshirn, Bestattungsrecht in Bayern, Erläuterung XIX, RdNr. 8 a). Die Ausschlagung des Erbes durch den Kläger hat demnach keine Auswirkungen auf die Verpflichtung zur Erstattung der Kosten.
38
Die Höhe der geltend gemachten Kosten für die Bergung und Überführung zum Leichenhaus begegnet weder sachlichen noch rechtlichen Bedenken. Solche wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
39
Die Klage war daher abzuweisen.
III.
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
IV.
41
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses trotz der Dürftigkeitseinrede ist bei Kostenübernahme durch den Berechtigten gerechtfertigt

Oberlandesgericht München: Urteil vom 01.06.2017 – 23 U 3956/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

OLG München, 01.06.2017 – 23 U 3956/16

In dem Rechtsstreit

– Kläger und Berufungsbeklagter –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …
gegen

– Beklagte und Berufungsklägerin –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …
wegen Auskunft
erlässt das Oberlandesgericht München – 23. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …, die Richterin am Oberlandesgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017 folgendes
Endurteil
Tenor:

1.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.08.2016, Az. 6 O 2889/16, wird zurückgewiesen.
2.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht als Pflichtteilsberechtigter im Wege der Stufenklage Ansprüche gegen die Beklagte als Erbin geltend. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers, der Kläger ein Sohn. Mit Erbvertrag vom 11.11.2003 (Anlage K 1) und Nachtrag vom 19.03.2012 (Anlage K 3) setzten der Erblasser und die Beklagte sich gegenseitig als Alleinerben nach dem Tod des Erstverstrebenden und als Schlusserben den anderen Sohn der Beklagten und dessen Tochter ein. Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 19.02.2015 (Anlage K 6) dem Kläger ein Nachlassverzeichnis mit Belegen und erteilte mit Schreiben vom 14.04.2015 weitere Auskünfte über den Nachlass.

Der Kläger behauptet, die erteilten Auskünfte seien lückenhaft.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses (Aktiva und Passiva) des am 01.09.2014 verstorbenen Erblassers, Siegfried Rudolf M., zum Todestag durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Kläger und sein Rechtsbeistand hinzuziehen sind,

hilfsweise dass das durch den Notar aufgenommene Verzeichnis im Falle der Dürftigkeit des Nachlasses auf Kosten des Klägers erstellt wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie habe bereits vollständig über den Nachlass Auskunft erteilt. Zudem sei der Nachlass überschuldet und das Vorgehen des Klägers rechtsmissbräuchlich.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines durch einen Notar auf Kosten des Klägers aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Rechtsbeistand des Klägers anwesend ist. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1. (Auskunftserteilung) abgewiesen. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs sei nicht rechtsmissbräuchlich. Allerdings führe die Erhebung der Dürftigkeitseinrede durch die Beklagte dazu, dass das notarielle Nachlassverzeichnis auf Kosten des Klägers zu erstellen sei.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Der Antrag des Klägers sei rechtsmissbräuchlich, da die Beklagte die Auskünfte schon erteilt habe und ein notarielles Nachlassverzeichnis keine höhere Gewähr für die Richtigkeit biete. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Dürftigkeit des Nachlasses durch Erstellung eines Inventarverzeichnisses oder durch eine eidesstattliche Versicherung nachzuweisen. Der Kläger habe auch dann keinen Anspruch auf ein notarielles Verzeichnis, wenn er sich bereit erkläre, die Kosten dafür zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt daher:

Das Teilurteil des Landgerichts München I, Az. 6 O 2889/16, vom 12.08.2016 wird aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses des am 01.09.2014 verstorbenen Erblassers Siegfried Rudolf M. zum Todestag durch Vorlage eines durch einen Notar auf Kosten des Klägers aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Rechtsbeistand des Klägers hinzuzuziehen ist. Der Antrag auf Auskunft wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, verbleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist die Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Auf den Beschluss des Senats vom 04.01.2017 (Bl. 74 ff d.A.) wird Bezug genommen.

2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

2.1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung eines notariellen Verzeichnisses aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB zu.

2.1.1. Der Kläger ist unstreitig Pflichtteilsberechtigter, die Beklagte die Alleinerbin.

2.1.2. Das Verlangen des Klägers ist nicht rechtsmissbräuchlich.

2.1.2.1. Der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses wird nicht dadurch berührt, dass der Erbe bereits ein privates Verzeichnis vorgelegt hat. Vielmehr kann der Pflichtteilsberechtigte die Ansprüche auf Erteilung eines privaten und eines notariellen Verzeichnisses neben- oder hintereinander geltend machen (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 – V ZR 124/59]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881 f; Müller in Beckscher Online-Kommentar BGB, Stand 01.08.2016, § 2314 Rz. 22; Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl, § 2314 Rz.7). Das Verlangen nach einem notariell aufgenommenen Verzeichnis ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn zuvor ein privates Verzeichnis vorgelegt wurde. Denn dem notariell aufgenommenen Verzeichnis kommt eine größere Richtigkeitsgarantie zu (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 – V ZR 124/59]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881 f; Müller, a.a.O, Rz. 23). Der Notar ist für dessen Inhalt verantwortlich, hat den Verpflichteten zu belehren und ist in gewissem Umfang zur Vornahme eigener Ermittlungen und Überprüfung der Richtigkeit der Angaben des Erben verpflichtet (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 – V ZR 124/59]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881, 882; OLG Koblenz, NJW 2014, S. 1972 f; Müller, a.a.O., Rz. 23). Je nach Einzelfall hat der Notar beispielsweise das Grundbuch einzusehen und ggf. Bankunterlagen anzufordern (OLG Koblenz, NJW 2014, S. 1972 [OLG Koblenz 18.03.2014 – 2 W 495/13] f; Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl, § 2314 Rz. 7).

Nur in besonderen Einzelfällen kann dem Anspruch aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB, wie jedem anderen Anspruch auch, der Einwand des Rechstmissbrauchs oder der Schikane entgegenstehen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 – V ZR 124/59]; Stenzel, ZJS 2014, S. 110 ff, 114).

2.1.2.2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verlangen des Klägers nicht rechtsmissbräuchlich:

Wie oben dargelegt, schließt allein die Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses nebst ergänzenden Auskünften durch die Beklagte den Anspruch des Klägers nicht aus und macht sein Begehren auch nicht rechtsmissbräuchlich. Besondere Umstände, die zu einem anderen Ergebnis führten, liegen nicht vor. Zwar ist die Beklagte bereits betagt und nach ihrem Vortrag krank und die Parteien sind seit langem verstritten. Dies lässt die Klage aber nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen. Dass der Kläger für das notariell aufgenommene Verzeichnis keinerlei Verwendung hätte und es aus überwiegend pflichtteilsfremden Gründen einforderte, ist – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 17.05.2017 – nicht ersichtlich. Selbst wenn der Kläger die Vermögensverhältnisse des Erblassers im Jahr 2003 „bestens“ gekannt hätte, ließe sich daraus nicht folgern, dass der Kläger den genauen Bestand des Nachlasses 2014 kannte. Insbesondere ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zum Erblasser hatte.

2.2. Die Beklagte kann sich vorliegend nach Treu und Glauben, § 242 BGB, nicht auf die Dürftigkeit des Nachlasses berufen.

2.2.1. Grundsätzlich kann der Erbe die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses dann verweigern, wenn ein Aktivnachlass, aus dem die Kosten für den Notar entnommen werden können, nicht vorhanden sind. Die Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses kann nicht unerhebliche Kosten verursachen. Nach § 2314 Abs. 2 BGB fallen die Kosten des notariellen Verzeichnisses dem Nachlass zur Last. Ist ein Aktivnachlass nicht vorhanden, hätte letztlich der Erbe diese Kosten aus seinem Privatvermögen aufzubringen. Dies spricht dafür, entsprechend § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Erben die Möglichkeit zu eröffnen, bei Dürftigkeit des Nachlasses die Erholung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu verweigern (OLG Schleswig, ZEV 2011, S. 31 [OLG Schleswig 30.07.2010 – 3 W 48/10]; OLG München, Beschluss vom 17.06.2013, 20 U 2127/13, […] Tz. 5; Otte in Staudinger, BGB, 2015, § 2314 Rz. 105; Weidlich in Palandt, a.a.O., § 2314 Rz. 18). Entsprechendes hat der BGH bereits für den Wertermittlungsanspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB angenommen (BGH, Urteil vom 19.04.1989, IV a ZR 85/88, […] Tz. 8). Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Anspruch auf ein notarielles Verzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten elementarer sein kann als der Wertermittlungsanspruch, bei dem der Pflichtteilsberechtigte von der Zugehörigkeit der zu bewertenden Sache zum Nachlass ohnehin schon Kenntnis hat. Dennoch wird der Pflichtteilsberechtigte nicht ganz schutzlos gestellt. Ihm verbleibt jedenfalls die Möglichkeit, eine private Auskunft nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB und ggf. eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Auskunft vom Erben zu verlangen (OLG Schleswig, ZEV 2011, S. 31).

2.2.2. Ausgehend hiervon könnte die Beklagte grundsätzlich die Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses verweigern, sofern – wie von ihr behauptet – der Nachlass dürftig wäre. Den Nachweis der Dürftigkeit hat die Beklagte zu führen (Weidlich in Palandt, a.a.O., § 1990 Rz. 2). Indessen kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob tatsächlich der Nachlass überschuldet und kein Aktivnachlass vorhanden ist, wie die Beklagte behauptet. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls ist es der Beklagten nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Einrede der Dürftigkeit nach § 1990 Abs. 1 BGB zu berufen.

Der Kläger hat der Beklagten mehrfach ausdrücklich angeboten, die gesetzlich anfallenden Notarkosten zu übernehmen. Darüber hinaus hat der Kläger – zuletzt im Schriftsatz vom 03.04.2017 (S. 9, Bl. 92 d.A.) sogar angeboten, die gesetzlich anfallenden Gebühren im Voraus direkt an den Notar zu entrichten. Nachvollziehbare Gründe, weshalb die Beklagte sich dennoch unter Berufung auf die Dürftigkeit des Nachlasses einer notariellen Aufnahme verweigert, hat sie – auch im nachgelassenen Schriftsatz vom 17.05.2017 – nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich. Zwar verweist die Beklagte zurecht darauf, dass sie, wenn sie das Notariat beauftragt, Kostenschuldnerin bleibt. Das Risiko, selbst Gebühren an den Notar zahlen und anschließend gegen den Kläger klageweise geltend machen zu müssen, besteht damit grundsätzlich. Jedoch wird dieses Risiko deutlich verringert, da sich der Kläger bereit erklärt hat, die Kosten im Voraus direkt an das Notariat zu überweisen. Letztlich verbleibt damit nur die Gefahr, dass seitens des Notariats eine Nachforderung gegenüber dem Vorschuss erhoben wird. Dies wäre aber im wesentlichen dann zu befürchten, wenn sich bei Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses ergäbe, dass der Nachlass erheblich umfangreicher und werthaltiger wäre als von der Beklagten bislang angegeben. Da die Beklagte behauptet, den Nachlass bereits wahrheitsgemäß und vollständig angeführt zu haben und zu diesem auch keine Gegenstände gehören, über deren Wert erhebliche Unklarheit herrscht – wie etwa bei Grundstücken – , erscheint ausgehend vom eigenen Vortrag der Beklagten im hiesigen Verfahren das Risiko erheblicher Nachschussforderungen des Notars gering.

Die Argumentation der Beklagten, es lasse sich im vorhinein nicht beurteilen, welche Gebühren anfallen werden, erschließt sich nicht. Die Beklagte hat selbst ein Schreiben des Notars Joseph H. vom 21.12.2016 vorgelegt (nach Bl. 71 d.A.), in dem dieser genau ausführt, welche konkreten Gebühren für die Erstellung des notariellen Verzeichnisses anfallen. Zudem ist aus diesem Schreiben auch zu ersehen, dass die Gebühren keinen allzu hohen Umfang erreichen. Selbst ausgehend von einem – vom Kläger behaupteten und von der Beklagten bestrittenen – Geschäftswert von 75.000,00 Euro beliefen sich die Gebühren nur auf knapp 600,00 Euro.

Ob der vom Landgericht und zum Teil in der Literatur (vgl. Stenzel, ZJS 2014, S. 110 ff, 115, Kuhn / Trappe, ZEV 2011, S. 347 ff, 349; a.A. LG Amberg, Urteil vom 17.12.2015, 12 O 297/15, […] Tz. 92 ff.) vertretenen Ansicht, der Pflichtteilsberechtigte habe generell bei Dürftigkeit des Nachlasses einen Anspruch auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses auf seine Kosten, zu folgen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.

2.3. Soweit nach dem Tenor des Landgerichts bei Aufstellung des Nachlassverzeichnisses ein Rechtsbeistands des Klägers zuzuziehen ist, begegnet das Urteil des Landgerichts keinen Bedenken. Das Anwesenheitsrecht des Klägers gilt auch für die Aufnahme des notariellen Verzeichnisses und umfasst auch die Zuziehung eines Vertreters oder Beistands (Lange in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl, § 2314 Rz. 33).

3. Die Entscheidung über die Kosten ist dem Schlussurteil vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 Satz 1, 2, § 713 ZPO.

4. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

Quelle: IWW

Facebook-Account der verstorbenen Tochter darf von den Eltern nicht eingesehen werden

Das Kammergericht Berlin hat mit Beschluss vom 31.05.2017, Aktenzeichen 21 W 23/16, ent­schie­den, dass Eltern den Facebook-Account der verstorbenen Tochter nicht einsehen dürfen.

Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung in der II. Instanz.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Jahre 2012 wurde ein Mädchen an einem Berliner U-Bahnhof von einem einfahrenden Zug tödlich verletzt. Deren Mutter hatte Klage erhoben, da die Umstände des Todes der damals 15-jäh­rigen nicht geklärt sind. Die Eltern wollten durch das Lesen der Chatnachrichten im Facebook-Account ihrer Tochter heraus­fin­den, ob es sich um einen Suizid gehandelt haben könnte. Hierfür benötigten sie jedoch von Facebook den Zugang.

Da Facebook sich weigerte und auf den Datenschutz berief, da auch die anderen Nutzer, die mit der 15-jährigen im Chatkontakt gestanden hätten, betroffen seien, klagte die Mutter gegen Facebook.

In I. Instanz hatte das Berliner Landgericht der Klage statt­gegeben. Daraufhin hatte Facebook Berufung bei dem Kammer­gericht Berlin eingelegt.
Dieses hat nun entschieden, dass der Schutz des Fern­melde­geheimnisses dem Anspruch der Erben entgegenstehen würde, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit Dritten zu erhalten.
Das Kammergericht hat jedoch nicht entschieden, ob ein Facebook-Account vererbbar ist. Diese Frage bleibt also nach wie vor offen.

Das Kammergericht führt zwar aus, dass, selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Facebook-Account in das Erbe fallen und die Erbengemeinschaft Zugang zu den Account­inhalten erhalten müsste, das Fernmeldegeheimnis nach dem Tele­kom­mu­nikationsgesetz entgegenstehen würde.

Weiterhin hat das Kammergericht Berlin ausgeführt, dass insbesondere auch nicht das Recht der elterlichen Sorge zu einem Anspruch auf Zugang verhelfen würde. Dieses Recht erlischt mit dem Tode des Kindes. Das den Eltern zufallende Totenfürsorgerecht könne jedoch nicht dazu dienen, einen Anspruch auf Zugang zu dem Facebook-Account des verstorbenen Kindes herzuleiten.
Das Urteil des Kammergerichts ist nicht rechtskräftig, da der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen hat. Sollte es zu einer Revisionseinlegung kommen, dürfte es sehr spannend werden, wie der BGH die Vererbbarkeit des Facebook-Accounts entscheiden wird. Dies wird eine wegweisende Entscheidung sein.

Individuelle Fragen zu diesem und weiteren Themen im Erbrecht beantworten wir Ihnen gerne im Rahmen einer fundierten Beratung –sprechen Sie uns einfach darauf an.

Verhängung eines Zwangsgeldes trotz der Absage von über 20 Notaren für ein notarielles Nachlassverzeichnis

Das OLG Düsseldorf hat mit Datum vom 31.10.2016, Aktenzeichen 1-7 W 67/16, entschieden, dass es nicht ausreichend ist, 27 Notare anzuschreiben mit der Bitte um Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses, welches diese ablehnen.

In einem solchen Fall kann ein Zwangsgeld gemäß § 888 ZPO verhängt werden. Die titulierte Auskunftspflicht über den Nach­lass ist eine unvertretbare Handlung.

Im folgenden Fall handelte es sich um eine Auskunft über einen Nachlassbestand. Dies ist regelmäßig eine unvertretbare Hand­lung. Eine Ausnahme liegt nur in den Fällen vor, in denen es darum geht, eine Abrechnung zu erteilen, die auch von Dritten erfolgen kann, wenn die Unterlagen vorliegen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Auskunft setzt vielmehr voraus, dass die Auskunftspflichtige ihre Kenntnisse höchstpersönlich mitteilt. Dies ist nicht anders zu bewerten, weil die Auskunft durch ein notarielles Verzeichnis zu erteilen ist gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB. Es handelt sich hier nach wie vor um eine unvertretbare Handlung. Eine weitere Voraussetzung für die Verhängung des Zwangsgeldes gemäß § 888 ZPO ist, dass die Handlung aus­schließlich vom Willen des Verpflichteten abhängt. Dieser Wille fehlt, wenn die Handlung, die gefordert wird, unmöglich ist oder wenn sie von einem Willen abhängt, den der Schuldner nicht be­ein­flussen kann. Es ist dabei unerheblich, ob den Schuldner ein Verschulden trifft oder nicht. Im vorliegenden Fall hängt die Verpflichtung auch von der Mitwirkungspflicht des Notares ab. In einem solchen Fall ist die Schuldnerin gemäß § 888 ZPO ver­pflichtet, die Handlung des ihr gegenüber mitwirkungs­pflich­ti­gen Dritten mit der gebotenen Intensität einzufordern, die ihr zu­stehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten aus­zu­schöpfen und den Dritten dazu zu bewegen, mitzuwirken. Ist dies trotz intensiven Bemühens nicht möglich, ist die unvertretbare Handlung nicht unmittelbar erzwingbar. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Schuldner alles in seiner Macht stehende getan hat, um die Mitwirkung des Dritten zu erlangen und dass die Bemühungen im Einzelnen dargelegt werden können.

Im vorliegenden Fall hat die Auskunftsverpflichtete ihren Pflich­ten nicht genügt. Das Gericht sah es nicht als ausreichend an, 25 Notariate mit abschlägiger Antwort angefragt zu haben. Die Möglichkeiten seien nicht ausgeschöpft gewesen. Ein Notar kann eine Urkundenstätigkeit nicht ohne ausreichenden Grund ver­weigern, es besteht ansonsten die Möglichkeit, Beschwerde vor dem Landgericht zu erheben gemäß § 15 Abs. 2 BNotO. Dies wurde jedoch von der Auskunftsschuldnerin nicht vorgetragen. Diese Entscheidung bedeutet für die Praxis, dass die Notare bei Ablehnung der Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeich­nis­ses die Möglichkeit der Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO hinweisen müssen. Diese sollte beim Landgericht eingelegt werden und im Einzelnen erklärt. Nur in einem solchen Fall und der dezidierten Darlegung, dass sämtliche Bemühungen vorgenommen worden sind, um einen Notar zur Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses zu bewegen, genügen die Voraussetzungen, um ein Zwangsgeld zu vermeiden.

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Am Nachlass zu beteiligende Personen

Die nach dem Inhalt einer Verfügung von Todes wegen als Erben in Betracht kommenden Per­so­nen sind gemäß § 345 Abs. 1 Satz Nr. 2 FamFG am Erbscheinsverfahren zu beteiligen. Ist das Bestehen eines Erbrechtes nicht von vorne herein gänzlich unwahrscheinlich, sind sie auf Antrag am Erbscheins­er­tei­lungs­verfahren zu beteiligen. Das Bestehen eines tatsächlichen Erbrechtes ist erst nach förmlicher Beteiligung am Verfahren abschließend zu klären.

Dies hat das OLG München mit Datum vom 08.11.2016, Aktenzeichen 31 Wx 254/16, entschieden.

Ob das behauptete Recht von vorne herein gänzlich aus­ge­schlossen werden kann, wird bei der Beteiligung nicht ab­schließend geprüft. Am Erbscheinsverfahren sind ebenfalls die Personen zu beteiligen, die mittels Auslegung oder nur in einer aufgehobenen Verfügung Erben sein können. Somit wird das rechtliche Gehör gewahrt. Eine Beschwerdebefugnis im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG besteht bereits dann, wenn eine Rechts­beeinträchtigung möglich erscheint. Ob eine tatsächliche sub­jektive Verletzung des Beschwerdeführers vorliegt, wird erst in der Begründetheit geprüft.

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Witwe hat keinen Anspruch auf das tiefgefrorene Sperma ihres verstorbenen Ehemannes

Das Oberlandesgericht München hat ent­schie­den, dass das Sperma eines Mannes nach dessen Tod nicht mehr verwendet werden darf.

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Ehefrau und der Ehemann, der im Juli 2015 mit 38 Jahren nach einer Herztransplantation verstarb, hatten sich vergeblich Kinder gewünscht und sich deshalb für eine künstliche Be­fruchtung entschieden. Nach dem Tod des Ehemannes möchte nun die Ehefrau das Sperma, das in einer Klinik am Chiemsee lagert, verwenden, um den gemeinsamen Kinderwunsch zu erfüllen. Die Klinik verweigerte die Herausgabe des Spermas unter Berufung auf das Embryonenschutzgesetz. Die Ehefrau sieht hierin einen Verstoß gegen die Verfassung.

Das Oberlandesgericht München sah in der Herausgabe des Spermas einen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz und stützte so die Entscheidung der Klinik. Eine Herausgabe des Spermas würde zur Beihilfe der Klinik zum Verstoß gegen dieses Gesetz führen. Weiterhin würde das Persönlichkeitsrecht des Ehemannes und der Schutz des Samenspenders verletzt werden. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wurde jedoch nicht für notwendig erachtet. Durch die Zulassung der Revision wurde jedoch der Ehefrau die Möglichkeit gegeben, den Bundesgerichtshof in Karlsruhe anzurufen.

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Eine Lasik-Operation kann medizinisch notwendig sein

Bundesgerichtshof: Urteil vom 29.03.2017 – IV ZR 533/15
MB/KK § 1

Eine Krankheit im Sinne der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung kann auch vorliegen, wenn der fragliche Gesundheitszustand des Versicherten in gleicher Weise bei 30-40 % der Menschen entsprechenden Alters auftritt (hier bejaht für Fehlsichtigkeit von -3 und -2,75 Dioptrien).

Erfüllt die Fehlsichtigkeit eines Versicherten die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Krankheit, so kann die medizinische Notwendigkeit einer Lasik-Operation an den Augen nicht allein wegen der Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint werden.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Lehmann und Dr. Götz auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2017
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg – 4. Zivilkammer – vom 18. November 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin unterhält bei dem Beklagten eine private Krankenversicherung. In den dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB), die insoweit den Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) entsprechen, heißt es in § 1 Abs. 2:

2

„Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (…).“
3

Die Klägerin, die unter beidseitiger Kurzsichtigkeit mit Astigmatismus litt, unterzog sich im November 2013 einer Femto -Lasik-Operation an den Augen. Sie begehrt vom Beklagten die Erstattung der hierfür angefallenen Operationskosten in Höhe von 3.490 € nebst Zinsen.

4

Die Parteien streiten darüber, ob die bei der Klägerin vor der Operation vorhandene Fehlsichtigkeit (von -3 und -2,75 Dioptrien) eine bedingungsgemäße Krankheit darstellt und ob die zu deren Beseitigung durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen ist.

5

Das Amtsgericht hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg.

7

I. Das Berufungsgericht hat gestützt auf die Ausführungen des – von ihm ergänzend mündlich angehörten – Sachverständigen angenommen, dass die bei der Klägerin ursprünglich vorhandene leichte Kurzsichtigkeit nach internationalen Standards nicht als eine Krankheit zu beurteilen sei. Vom Vorliegen einer Krankheit im Sinne von § 192 VVG könne bei einer Fehlsichtigkeit nur gesprochen werden, wenn eine Abweichung vom natürlichen körperlichen Zustand der versicherten Person vorliege, die nicht dem normalen Entwicklungs- oder Alterungsprozess entspreche. Dies sei bei der Klägerin nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen zu verneinen. Auch sei ihr das Tragen einer Brille möglich und zumutbar gewesen.

8

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

1. Die bei der Klägerin vor der Lasik-Operation vorhandene Fehlsichtigkeit stellte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine Krankheit dar.

10

a) Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass unter Krankheit im Sinne der Bedingungen nach dem maßgebenden Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler, regelwidriger Körper – oder Geisteszustand zu verstehen ist ( Senatsurteile vom 17. Februar 2016 – IV ZR 353/14 , VersR 2016, 720 Rn. 16; vom 15. September 2010 – IV ZR 187/07 , r+s 2011, 75 Rn. 11; vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04 , BGHZ 164, 122 unter II 1; vom 3. März 2004 – IV ZR 25/03 , BGHZ 158, 166 unter II 2 a; vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 2 a; st. Rspr.). Dabei ergibt sich die Einstufung als „anormal“ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als „regelwidrig“ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes (Senatsurteil vom 17. Februar 2016 aaO).

11

b) Rechtsfehlerhaft ist es jedoch, dass das Berufungsgericht das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit verneint hat, weil es auf einen natürlichen Alterungsprozess abgestellt hat und der weiteren Auffassung des Sachverständigen gefolgt ist, wonach ein bloßer Refraktionsfehler, der zu einer Fehlsichtigkeit führt, wie sie bei 30 -40 % der Menschen im mittleren Alter auftritt, noch keinen Krankheitswert ha be.

12

aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an ( Senatsurteile vom 16. November 2016 – IV ZR 356/15 , VersR 2017, 85 Rn. 12; vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 , BGHZ 123, 83 unter III 1 b; st. Rspr.).

13

Ein solcher Versicherungsnehmer wird zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht etwa eine Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend ist ( Senatsurteil vom 8. Mai 2013 – IV ZR 84/12 , VersR 2013, 995 Rn. 21; Senatsbeschluss vom 25. Mai 2011 – IV ZR 17/10 , VersR 2011, 1179 Rn. 14 m.w.N.).

14

bb) Danach kann es für die Frage, ob im Streitfall eine bedingungsgemäße Krankheit vorliegt, weder auf die von dem Sachverständigen seiner Beurteilung zugrunde gelegte Einschätzung, in Fachkreisen werde von einer pathologischen Myopie nach internationalem medizinischen Standard erst ab -6 Dioptrien gesprochen, ankommen noch auf seine weiteren Ausführungen, ein Refraktionsfehler, der zu einer Fehlsichtigkeit führe, wie sie bei 30-40 % der Menschen im mittleren Alter auftrete, habe noch keinen Krankheitswert.

15

cc) Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird vielmehr davon ausgehen, zum Normalzustand der Sehfähigkeit gehöre ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr; er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit annehmen, wenn bei ihm eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung dieser körperlichen Normalfunktion vorliegt, die ohne Korrektur ei n beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht. Dies folgt schon daraus, dass eine Krankheit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet (Senatsurteil vom 17. Februar 2016 aaO Rn. 17 m.w.N.).

16

dd) In dem dargelegten Verständnis wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch durch das weitere Klauselwerk bestätigt. Er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit im Falle einer behandlungsbedürftigen Fehlsichtigkeit auch deshalb annehmen, weil ihm gerade für diesen Fall Leistungen vom Versicherer versprochen werden. Insoweit ist in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Teil III) für den im Streitfall vereinbarten Tarif Classic ausdrücklich vorgesehen, dass Sehhilfen bis 200 € Rechnungsbetrag erstattungsfähig sind. Diese Regelung spricht daher ungeachtet der betragsmäßigen Begrenzung entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht gegen, sondern gerade für ein Verständnis der Fehlsichtigkeit als Krankheit, die einen Versicherungsfall auslösen kann.

17

ee) Nach alledem hätte das Berufungsgericht das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit nicht verneinen dürfen. Die Korrekturbedürftigkeit eines Zustands, der ohne seine Beseitigung oder die Anwendung von Hilfsmitteln wie Brille oder Kontaktlinsen die genannten Einschränkungen im täglichen Leben mit sich bringt, steht aus medizinischer Sicht außer Frage und ergibt sich im konkreten Fall auch aus den weiteren Feststellungen des Sachverständigen. Dieser hat im zusammenfassenden Teil seines schriftlichen Gutachtens die medizinische Indikation für eine Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Kurzsichtigkeit und Stabsichtigkeit ausdrücklich bejaht und lediglich die „absolute“ medizinische Notwendigkeit für einen chirurgischen Eingriff verneint, letzteres aber nur deshalb, weil eine Brillen- oder Kontaktlinsenkorrektur möglich, wenn auch mit erheblichen Beschwerden verbunden sei. Gleichwohl hat er den Eingriff für medizinisch sinnvoll erachtet. Bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Berufungsgericht hat er sowohl die Kurzsichtigkeit als auch den Astigmatismus der Klägerin als Refraktionsfehler eingeordnet.

18

Sowohl die Bezeichnung als „Fehler“ als auch die Bejahung einer Behandlungsindikation aus medizinischer Sicht lassen auf eine korrekturbedürftige und damit das Vorliegen einer den Krankheitsbegriff ausfüllenden Regelwidrigkeit schließen.

19

Ob der Eingriff bei der Klägerin – wie es der Sachverständige bezeichnet hat – nicht „absolut“ notwendig war, ist dagegen keine Frage der Regelwidrigkeit des bestehenden anormalen Zustands und damit des Vorliegens einer Krankheit, sondern allein eine Frage der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung.

20

2. Die Leistungspflicht des Beklagten hängt deshalb davon ab, ob die durchgeführte Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellte. Dazu hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt konsequent – keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

21

a) Heilbehandlung – hier die ambulante Operation beider Augen ist dabei jegliche ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her auf Heilung, Besserung oder Linderung der Krankheit abzielt. Darauf, ob die Durchführung dieser Therapie geeignet war, diese Ziele auch zu erreichen, kommt es für das Vorliegen einer Heilbehandlung im Sinne der Klausel nicht an. Dieser Frage kommt Bedeutung vielmehr erst bei der Prüfung zu, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB anzusehen ist; dafür ist ein objektiver Maßstab anzulegen ( Senatsurteil vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 2).

22

b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann die medizinische Notwendigkeit der Operation dabei nicht bereits mit Hinweis auf die Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint werden.

23

aa) Das Tragen einer Sehhilfe stellt in Bezug auf die Fehlsic htigkeit der Klägerin keine Heilbehandlung dar. Brillen und Kontaktlinsen sind lediglich Hilfsmittel, mit denen körperliche Defekte über einen längeren Zeitraum ausgeglichen werden. Mit der Sehhilfe wird demnach – für den Einsatz von Hilfsmitteln kennzeichnend – unmittelbar eine Ersatzfunktion für ein krankes Organ wahrgenommen, ohne dessen Funktionsfähigkeit wieder herzustellen (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 5 und vom 19. Mai 2004 – IV ZR 176/03 , NJW-RR 2005, 260 […] Rn. 21).

24

bb) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann aus § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB nicht ersehen, dass die Erstattungsfähigkeit der Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung grundsätzlich davon abhängen soll, ob er (dauerhaft) auf ein Hilfsmittel zurückgreifen kann, das den bei ihm bestehenden anormalen Körperzustand auszugleichen oder abzuschwächen geeignet ist, ohne am eigentlichen Leiden etwas zu ändern. Für eine solche generelle Subsidiarität der Heilbehandlung gegenüber dem Hilfsmittel geben die Versicherungsbedingungen nichts her. Ihnen ist auch sonst nicht zu entnehmen, dass außer der medizinischen Notwendigkeit andere (finanzielle) Aspekte bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Heilbehandlung eine Rolle spielen sollen. Denn § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB stellt ausdrücklich auf die „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung ab, wobei sich „medizinisch“ gerade auf „notwendig“ bezieht. Dieser sprachliche Zusammenhang macht bei verständiger Lektüre deutlich, dass die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus (rein) medizinischer Sicht zu beurteilen ist und andere Gesichtspunkte dabei keine Rolle spielen.

25

cc) Auch wenn der Versicherungsnehmer versteht, dass ihm nicht die Kosten für jede beliebige Behandlungsmaßnahme erstattet werden, sondern nur für eine solche, die objektiv geeignet ist, sein Leiden zu heilen, zu bessern oder zu lindern, erschließt sich ihm nicht, dass der Versicherer seine Leistungspflicht darüber hinaus auf die kostengünstigste Behandlungsmethode beschränken oder den Versicherungsnehmer darauf verweisen will, sich auf Dauer eines Hilfsmittels zu bedienen, obwohl eine Behandlungsmethode zur Verfügung stünde, die das zugrunde liegende Leiden zu heilen, zu bessern oder wenigstens zu lindern gee ignet ist. Aus seiner Sicht verliert eine medizinisch anerkannte Heilbehandlung das qualifizierende Merkmal „notwendig“ im Einzelfall insbesondere nicht deshalb, weil ein Hilfsmittel zur Verfügung steht, das eine Ersatzfunktion für das betroffene Organ übernehmen kann.

26

dd) Zudem ist für ihn nicht erkennbar, nach welchen Maßstäben sich die Subsidiarität von Heilbehandlungen gegenüber anderen Ma ßnahmen beurteilen soll. Übernimmt der Versicherer – wie hier der Beklagte – die Kosten einer „medizinisch notwendigen“ Heilbehandlung ohne für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Einschränkungen, so kann er ihn schon nicht auf einen billigeren oder den billigsten Anbieter einer Heilbehandlung verweisen, die er für medizinisch gleichwertig hält ( Senatsurteil vom 12. März 2003 – IV ZR 278/01 , BGHZ 154, 154 unter II 2 b bb). Das gilt erst recht, wenn sich der Versicherungsnehmer in Bezug auf das Ausgangsleiden bislang keiner medizinischen Heilbehandlung unterzogen, sondern auf ein Hilfsmittel zurückgegriffen hat, das lediglich geeignet ist, eine Ersatzfunktion wahrzunehmen, ohne den eigentlichen regelwidrigen Körperzustand zu beseitigen.

27

c) Die Klägerin musste demnach ihre Fehlsichtigkeit nicht durch Sehhilfen kompensieren, sondern durfte diese durch eine Operation beheben lassen, sofern diese ihrerseits die Voraussetzungen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung erfüllte.

28

aa) Mit dem Begriff „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung wird – auch für den Versicherungsnehmer erkennbar – nicht an den Vertrag zwischen ihm und dem behandelnden Arzt und die danach geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Vielmehr wird zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt de r Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß muss es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar gewesen sein, die Heilbehandlung als notwendig anzusehen (Senatsbeschlüsse vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 , r+s 2015, 142 Rn. 13; vom 30. Oktober 2013 – IV ZR 307/12 , VersR 2013, 1558 Rn. 13; Senatsurteile vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 3 a; vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 4; vom 29. November 1978 – IV ZR 175/77 , VersR 1979, 221 unter III; jeweils m.w.N.).

29

bb) Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden (vgl. Senatsurteile vom 8. Februar 2006 – IV ZR 131/05 , VersR 2006, 535 Rn. 21; vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04 , BGHZ 164, 122 unter II 3 a; vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 5).

30

Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung im Sinne der vorstehenden Ausführungen wird daher dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 – IV ZR 307/12 , VersR 2013, 1558 Rn. 14; Senatsurteil vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 4). Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, ist grundsätzlich eine Eintrittspflicht des Versicherers gegeben ( Senatsurteile vom 8. Februar 2006 – IV ZR 131/05 , VersR 2006, 535 Rn. 21; vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04 , BGHZ 164, 122 unter II 3 a; vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 4).

31

3. Das Berufungsgericht, das das Vorliegen einer Krankheit zu Unrecht verneint hat, wird daher nach diesen Maßstäben zu beurteilen haben, ob die bei der Klägerin durchgeführte Lasik-Operation medizinisch notwendig oder es zumindest nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Es wird dabei berücksichtigen müssen, dass der Sachverständige eine Behandlung als medizinisch indiziert angesehen und die Operation sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seiner mündlichen Anhörung als medizinisch sinnvollen Eingriff, der leitliniengerecht durchgeführt wurde, bezeichnet sowie in der mündlichen Anhörung auch die Erwartbarkeit eines guten Ergebnisses bestätigt hat. Darauf, ob die Fehlsichtigkeit durch die Versorgung mit einer Brille oder Kontaktlinsen ausgeglichen werden kann, kommt es dagegen, wie ausgeführt, grundsätzlich nicht an.

Von Rechts wegen

Vorschriften
§ 192 VVG

Quelle: IWW

Die Anordnung im Testament zur Klärung eines Streites über einen Pflichtteilsanspruch durch ein Schiedsgericht ist nicht möglich

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 16.03.2017 – I ZB 50/16
ZPO § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a , § 1066

Der Streit über einen Pflichtteilsanspruch kann durch letztwillige Verfügung nicht der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unterworfen werden.

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die Richter Prof. Dr. Koch, Dr. Löffler, die Richterin Dr. Schwonke und den Richter Feddersen
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München – 34. Zivilsenat – vom 25. April 2016 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Gegenstandswert: 11.875 €.

Gründe

1

A. Die Antragstellerin ist die Mutter der Antragsgegnerin. Der Ehemann der Antragstellerin und Vater der Antragsgegnerin ist am 25. Mai 2010 verstorben. Er hat mit notariellem Testament vom 8. April 2004 die Antragsgegnerin zur Alleinerbin bestimmt und die Antragstellerin mit einem Vermächtnis bedacht. Das Testament enthält folgende Anordnung: hatte, dass es die von der Antragsgegnerin erhobene Schiedseinrede – anders als das Landgericht – für durchgreifend erachte.

Über alle Streitigkeiten über dieses Testament und aus diesem Testament und darüber hinaus über die Erbfolge nach mir, über evtl. Pflichtteilsrechte und -ansprüche und über alle Fragen der Behandlung meines Nachlasses soll ausschließlich ein Schiedsgericht nach den Regeln des Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs deutscher Notare entscheiden, dessen Statut ich als offene Schrift überreiche.
2

Die Antragstellerin machte gegen die Antragsgegnerin zunächst vor den ordentlichen Gerichten im Wege der Stufenklage ihren Pflichtteilsanspruch geltend. Das Landgericht gab dem in der ersten Stufe erhobenen Auskunftsantrag durch Teilurteil statt. In zweiter Instanz nahm die Antragstellerin ihren Auskunftsantrag zurück, nachdem das Berufungsgericht sie darauf hingewiesen

3

Die Antragstellerin machte gegen die Antragsgegnerin daraufhin mit ihrer beim Schlichtungs- und Schiedsgerichtshof Deutscher Notare erhobenen Schiedsklage einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 11.875 € nebst Zinsen geltend.

4

Nachdem die Antragsgegnerin erklärt hatte, dass sie die Kosten für das Schiedsverfahren und einen Rechtsanwalt nicht aufbringen könne, und die Antragstellerin eine Übernahme dieser Kosten abgelehnt hatte, setzte das Schiedsgericht der Antragsgegnerin eine Frist bis zum 23. Juni 2014 für den Nachweis, dass sie beim staatlichen Gericht die Feststellung der Undurchführbarkeit des Schiedsverfahrens beantragt habe. Die Antragsgegnerin stellte beim Berufungsgericht einen entsprechenden Antrag. Auf Anfrage des Schiedsgerichts wies das Berufungsgericht mit Schreiben vom 27. Oktober 2014 darauf hin, dass in dem beendeten Berufungsverfahren eine Entscheidung über den Antrag auf Undurchführbarkeit des Schiedsverfahrens nicht veranlasst sei. Daraufhin ordnete das Schiedsgericht die Fortsetzung des Schiedsverfahrens an. Zugleich bestimmte es einen Gütetermin und für den Fall des Nichterscheinens einer Partei oder der Erfolglosigkeit der Güteverhandlung einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27. Januar 2015. In diesem Termin war die Antragsgegnerin nicht anwesend.

5

Das Schiedsgericht verurteilte die Antragsgegnerin durch Schiedsspruch vom 27. Januar 2015 antragsgemäß zur Zahlung von 11.875 € nebst Zinsen. Zur Begründung führte es aus, dass auf der Grundlage des unstreitigen Vorbringens der Antragstellerin ein Pflichtteilsanspruch in der geltend gemachten Höhe bestehe und von der Antragsgegnerin als testamentarischer Alleinerbin zu erfüllen sei. Die Entscheidung enthielt den Hinweis, dass gegen diesen Schiedsspruch innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung (Notfrist) schriftlich oder per Telefax Einspruch bei der Geschäftsstelle des Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs Deutscher Notare eingelegt werden könne. Den mit Telefax vom 5. März 2015 eingelegten Einspruch der Antragsgegnerin verwarf das Schiedsgericht unter gleichzeitiger Zurückweisung des vorsorglich gestellten Wiedereinsetzungsgesuchs mit Beschluss vom 8. Juli 2015 wegen Verfristung als unzulässig.

6

Die Antragstellerin hat beantragt, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten. Sie hat beantragt, den Antrag auf Vollstreckbarerklärung abzulehnen und den Schiedsspruch aufzuheben.

7

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs abgelehnt und den Schiedsspruch aufgehoben ( OLG München, Beschluss vom 25. April 2016 – 34 Sch 13/15 , SchiedsVZ 2016, 233). Es hat angenommen, es liege ein Verstoß gegen § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO (Fehlen der Schiedsfähigkeit) vor, weil der gesetzliche Pflichtteilsanspruch nicht durch einseitige Verfügung von Todes wegen dem Schiedsverfahren unterstellt werden könne. Zudem bestehe der Aufhebungsgrund nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO (Verstoß gegen den innerstaatlichen verfahrensrechtlichen ordre public), weil das Schiedsgericht die Bestimmung des § 1048 Abs. 3 ZPO über die Entscheidung bei Säumnis einer Partei nicht beachtet und dadurch den Anspruch der Antragsgegnerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe.

8

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie ihren Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruches weiterverfolgt. Die Antragsgegnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

9

B. Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft ( § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 1065 Abs. 1 Satz 1 , § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO ) und auch sonst zulässig ( § 574 Abs. 2 , § 575 ZPO ). Sie ist aber nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung unter Aufhebung des Schiedsspruchs mit Recht abgelehnt. Nach § 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung unter Aufhebung des Schiedsspruchs abzulehnen, wenn einer der in § 1059 Abs. 2 ZPO bezeichneten Aufhebungsgründe vorliegt. Die Rechtsbeschwerde macht zwar zutreffend geltend, dass die Antragsgegnerin sich – entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts – nicht mit Erfolg auf den Aufhebungsgrund des Fehlens der Schiedsfähigkeit ( § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO ) berufen kann (dazu B I). Das Oberlandesgericht hat jedoch ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Aufhebungsgrund des Verstoßes gegen den innerstaatlichen verfahrensrechtlichen ordre public ( § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO ) vorliegt (dazu B II).

10

I. Die Rechtsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass die Antragsgegnerin sich nicht mit Erfolg auf den Aufhebungsgrund des Fehlens der Schiedsfähigkeit ( § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO ) berufen kann. Das Oberlandesgericht hat zwar zutreffend angenommen, dass ein Verstoß gegen § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO vorliegt, weil der Gegenstand des Streits nicht durch einseitige Verfügung von Todes wegen dem Schiedsverfahren unterstellt werden kann (dazu B I 1). Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts ist es der Antragsgegnerin jedoch nach Treu und Glauben verwehrt, sich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs auf das Fehlen der Schiedsfähigkeit zu berufen (dazu B I 2).

11

1. Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass ein Verstoß gegen § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO vorliegt, weil der Gegenstand des Streits – der von der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin erhobene Pflichtteilsanspruch – nicht durch einseitige Verfügung von Todes wegen dem Schiedsverfahren unterstellt werden kann.

12

a) Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO kann ein Schiedsspruch aufgehoben werden, wenn das Gericht feststellt, dass der Gegenstand des Streits nach deutschem Recht nicht schiedsfähig ist. Über einen nach deutschem Recht nicht schiedsfähigen Anspruch kann nur ein staatliches Gericht und nicht ein kraft privatautonomer Entscheidung bestimmtes Schiedsgericht entscheiden. Der Aufhebungsgrund der Schiedsunfähigkeit berührt öffentliche Belange und ist daher bei der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs von Amts wegen zu berücksichtigen. Er ist lex specialis im Verhältnis zum Aufhebungsgrund des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a ZPO und geht diesem daher in seinem Anwendungsbereich vor (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, BT-Drucks. 13/5274, S. 59; MünchKomm.ZPO/Münch, 4. Aufl. § 1059 Rn. 11; BeckOK ZPO/Wilske/Markert, 23. Edition, Stand: 01.12.2016, § 1059 Rn. 57; Saenger/Saenger, ZPO, 7. Aufl. § 1059 Rn. 22; Voit in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. § 1059 Rn. 24; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Kap. 25 Rn. 2296).

13

b) Die Streitparteien können einen Streit über einen Pflichtteilsanspruch allerdings durch ein Schiedsgericht entscheiden lassen.

14

aa) Nach § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann grundsätzlich jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein.

15

bb) Der Begriff des vermögensrechtlichen Anspruches ist weit zu verstehen und erfasst sowohl Ansprüche, die sich aus Vermögensrechten ableiten, als auch solche, die auf eine vermögenswerte Leistung abzielen (Saenger/ Saenger aaO § 1030 Rn. 2; Lange, ZZP 128 [2015] 407, 409). Zu den vermögensrechtlichen Ansprüchen im Sinne von § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO zählen auch Pflichtteilsansprüche ( § 2303 BGB ), mit denen eine gesetzliche Mindestteilhabe der Angehörigen des Erblassers am Nachlass gewährleistet wird (Dawirs, Das letztwillig angeordnete Schiedsverfahren – Gestaltungsmöglichkeiten, 2014, S. 52; Haas, ZEV 2007, 49, 53 mit Fn. 46).

16

cc) Schiedsvereinbarung ist nach § 1029 Abs. 1 ZPO eine Vereinbarung der Parteien, alle oder einzelne Streitigkeiten, die zwischen ihnen in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nichtvertraglicher Art entstanden sind oder künftig entstehen, der Entscheidung durch ein Schiedsgericht zu unterwerfen. Eine Schiedsvereinbarung kann nach § 1029 Abs. 2 ZPO in Form einer selbständigen Vereinbarung (Schiedsabrede) oder in Form einer Klausel in einem Vertrag (Schiedsklausel) geschlossen werden.

17

dd) Danach können Pflichtteilsansprüche grundsätzlich Gegenstand einer zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten getroffenen Schiedsvereinbarung sein (Staudinger/Otte, BGB, Neubearbeitung 2017, Vorbemerkung zu §§ 1937-1941 Rn. 8a; Grötzsch in Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 4. Aufl., Kap. XIV Rn. 35).

18

ee) Vorliegend soll die Befugnis des Schiedsgerichts für die Entscheidung über den zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin bestehenden Streit über den Pflichtteilsanspruch jedoch nicht kraft einvernehmlicher Vereinbarung der Streitparteien, sondern durch letztwillige Anordnung des Erblassers begründet werden, der mit Verfügung von Todes wegen bestimmt hat, dass über alle Streitigkeiten über Pflichtteilsansprüche ausschließlich ein Schiedsgericht entscheiden soll.

19

c) Ein Erblasser kann durch letztwillige Verfügung aber nicht wirksam anordnen, dass ein Streit über einen Pflichtteilsanspruch durch ein Schiedsgericht zu entscheiden ist.

20

aa) Nach § 1066 ZPO gelten für Schiedsgerichte, die in gesetzlich statthafter Weise durch letztwillige oder andere nicht auf Vereinbarung beruhende Verfügungen angeordnet werden, die Vorschriften des 10. Buchs der Zivilprozessordnung ( §§ 1025 bis 1065 ZPO ) entsprechend. Dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass eine Streitigkeit nur dann durch letztwillige Verfügung der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unterworfen werden kann, wenn dies gesetzlich statthaft ist.

21

bb) Mit der Formulierung „in gesetzlich statthafter Weise“ nimmt § 1066 ZPO jedenfalls auf die für die Testamentserrichtung geltenden Formanforderungen Bezug. Danach ist die Bestimmung des § 1031 ZPO über die Formerfordernisse einer Schiedsvereinbarung auf die Anordnung eines Schiedsgerichts durch letztwillige Verfügung nicht anwendbar. Die für eine testamentarische Schiedsklausel geltenden Formanforderungen richten sich vielmehr nach den Vorschriften des materiellen Rechts, also nach §§ 2231 bis 2252 BGB (MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1066 Rn. 5; Voit in Musielak/Voit aaO § 1066 Rn. 2; Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. § 15 Rn. 331; Grötzsch in Groll aaO Kap. XIV Rn. 31; Lange, ZZP 128 [2015], 407, 410).

22

cc) Darüber hinaus wird ein Schiedsgericht nur dann im Sinne von § 1066 ZPO „in gesetzlich statthafter Weise“ durch letztwillige Verfügung angeordnet, wenn diese Anordnung in der Verfügungsmacht des Erblassers liegt.

23

(1) Die dem Erblasser eingeräumte Befugnis, in eine letztwillige Verfügung eine Schiedsklausel aufzunehmen, ist Ausfluss der Testierfreiheit. Sie ist in ihrer Reichweite durch die dem Erblasser nach den Vorschriften des materiellen Rechts zustehenden Anordnungskompetenzen beschränkt (Schiffer,ZErb 2014, 292, 294; Lange, ZZP 128 [2015] 407, 410). Damit ist kraft letztwilliger Anordnung grundsätzlich nur schiedsfähig, was innerhalb der Verfügungsmacht des Erblassers liegt (OLG Karlsruhe, ZEV 2009, 466, 467 [OLG Karlsruhe 28.07.2009 – 11 Wx 94/07] ; Schlosser in Stein/ Jonas, ZPO, 23. Aufl. § 1066 Rn. 6; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl., § 1066 Rn. 2; Staudinger/Otte aaO Vorbemerkung zu §§ 1937-1941 Rn. 8; ders., Notar und Rechtsgestaltung, Jubiläums-Festschrift des Rheinischen Notariats, 1998, S. 241, 246; BeckOK BGB/Müller-Christmann, 41. Edition, Stand: 01.08.2016, § 1937 Rn. 9; Kössinger in Nieder/Kössinger aaO § 15 Rn. 330; Schiffer/Schürmann, Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht- und Schenkungsrecht 4 [2014] S. 39, 48; Storz, SchiedsVZ 2010, 200, 202; Werner, ZEV 2011, 506, 507).

24

(2) Die Gegenansicht, nach der die Anordnungskompetenz des Erblassers auf der prozessrechtlichen Vorschrift des § 1066 ZPO beruht und der Erblasser bei der Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit für Streitigkeiten aus Anlass des Erbfalls und im Zusammenhang mit der Regelung des Nachlasses keinen über § 1030 ZPO hinausgehenden Beschränkungen unterworfen ist (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl. § 1066 Rn. 18; ders., Festschrift Schlosser, 2005, S. 197, 202; Haas, ZEV 2007, 49, 52), vermag nicht zu überzeugen. Die Vorschrift des § 1066 ZPO begründet keine Verfügungsmacht des Erblassers, Streitigkeiten über den Nachlass einem Schiedsgericht zuzuweisen, sondern setzt eine solche Anordnungskompetenz voraus (OLG Karlsruhe, ZEV 2009, 466, 467 [OLG Karlsruhe 28.07.2009 – 11 Wx 94/07] ; Voit in Musielak/Voit aaO, § 1066 Rn. 2; Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1066 Rn. 1; MünchKomm.BGB/Leipold aaO § 1937 Rn. 29; BeckOK BGB/Müller-Christmann aaO § 1937 Rn. 9; Haas, ZEV 2007, 49, 50; Lange, ZZP 128 [2015] 403, 416 f.; Crezelius, Festschrift Westermann, 2008, S. 161, 162; Storz, SchiedsVZ 2010, 200, 202; Wendt,ErbR 2014, 400, 402).

25

(3) Eine entsprechende Anwendung der für vereinbarte Schiedsgerichte geltenden Vorschrift des § 1030 ZPO über die Schiedsfähigkeit auf durch letztwillige Verfügung angeordnete Schiedsgerichte und damit eine Gleichstellung der Entscheidungskompetenz dieser Schiedsgerichte mit derjenigen staatlicher Gerichte kann auch nicht mit der vom Gesetzgeber bei der Reform des Schiedsverfahrensrechts grundsätzlich vorausgesetzten Gleichwertigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit begründet werden (vgl. Werner, ZEV 2011, 506, 507 f.; Harder, Das Schiedsverfahren im Erbrecht, 2007, S. 60). Die Vorschriften über die Unterwerfung einer Streitsache unter die Entscheidungsbefugnis eines Schiedsgerichts gehen grundsätzlich von der einvernehmlichen Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit aus; dagegen entzieht die in einer letztwilligen Verfügung enthaltene Schiedsklausel dem Betroffenen einseitig den durch staatliche Gerichte gewährleisteten Rechtsschutz (Münch-Komm.BGB/Leipold aaO § 1937 Rn. 34; BeckOK BGB/Tegelkamp, Stand: 01.12.2016, § 1937 Rn. 32; Walz/Bandel, Formularbuch Außergerichtliche Streitbeilegung, 2006, Kap. 8 § 24 Rn. 17; Lange, ZZP 128 [2015], 403, 412 f.; Storz, SchiedsVZ 2010, 200, 202; Schulz, MDR 2000, 314, 315).

26

dd) Da die Testierfreiheit des Erblassers durch die gesetzliche Anordnung der grundsätzlichen Unentziehbarkeit des Pflichtteils beschränkt ist, ist dem Erblasser – wie das Oberlandesgericht zutreffend angenommen hat – jede Beschränkung des Pflichtteilsberechtigten bei der Verfolgung und Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs verwehrt. Ein Erblasser, der dem Pflichtteilsberechtigten durch letztwillige Verfügung den Weg zu den staatlichen Gerichten versperrt und ihm ein Schiedsgericht aufzwingt, überschreitet die ihm durch das materielle Recht gezogenen Grenzen seiner Verfügungsfreiheit.

27

(1) Sind im Fall der durch Verfügung von Todes wegen angeordneten Schiedsgerichtsbarkeit nur Streitigkeiten über Ansprüche schiedsfähig, auf deren Bestehen und Umfang der Erblasser kraft seiner Testierfreiheit Einfluss nehmen kann, kann der Pflichtteilsanspruch, der ebenso wie die Testierfreiheit zu den von der Erbrechtsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG erfassten Rechten zählt (BVerfGE 112, 332, 348), nicht zu den schiedsfähigen Ansprüchen gezählt werden. Vielmehr wird die Testierfreiheit des Erblassers durch den Pflichtteilsanspruch, der einem Angehörigen, der nicht als Erbe am Nachlass teilhat, eine Mindestteilhabe an diesem sichert, beschränkt. In diesem Umfang ist dem Erblasser die Verfügungsfreiheit über sein Vermögen entzogen (Palandt/Weidlich, BGB, 76. Aufl. § 1937 Rn. 5). Streitigkeiten, die ihre Grundlage in zwingendem Pflichtteilsrecht haben, können daher nicht kraft testamentarischer Schiedsanordnung der alleinigen Jurisdiktionsbefugnis eines Schiedsgerichts unterworfen werden (BayObLG, BayObLGZ 1956, 186, 189; OLG Frankfurt aM, ZEV 2012, 665, 668; LG Heidelberg, ZEV 2014, 310 f.; Palandt/Weidlich aaO § 1937 Rn. 9) und sind demnach nicht schiedsfähig im Sinne von § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO (Staudinger/Otte aaO Vorbemerkung zu §§ 1937 – 1941 Rn. 8a; ders., Notar und Rechtsgestaltung aaO S. 241, 251; BeckOK BGB/G. Müller aaO § 2317 BGB Rn. 12a; BeckOK BGB/Müller-Christmann aaO § 1937 Rn. 9; MünchKomm.BGB/Leipold aaO § 1937 Rn. 34; Kössinger in Nieder/Kössinger aaO § 15 Rn. 330; Fröhler in Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Aufl. Kap. 3 Rn. 394; Lange, Erbrecht, 2011, Kap. 7 § 31 Rn. 59; ders. ZIP 128 [2015] S. 407, 423; Wendt,ErbR 2014, 400, 402; Schiffer/Schürmann aaO S. 39, 49 f.; Voit in Musielak/Voit aaO § 1066 Rn. 3; Saenger/Saenger aaO § 1030 Rn. 8; BeckOK ZPO/Wolf/Eslami aaO § 1066 Rn. 4; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO § 1066 Rn. 2; Schiffer, BB Beilage 1995 [5], 2, 5; Schulze, MDR 2000, 314, 316; aA Zöller/Geimer aaO § 1066 Rn. 18; ders., Festschrift Schlosser, 2005, S. 197, 199 und 206 f.; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. § 1066 Rn. 7; Grunsky, Festschrift Westermann, 2008, S. 255, 260; Werner, ZEV 2011, 506, 508; Pawlytta, ZEV 2003, 89; Schmitz, RNotZ 2003, 591, 611; Dawirs aaO S. 52; Harder aaO S. 112 f.).

28

(2) Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass der Erblasser insoweit Einfluss auf den unabdingbaren Pflichtteilsanspruch nehmen könne, als dieser Anspruch erst infolge des Ausschlusses eines Pflichtteilsberechtigten von der gesetzlichen Erbfolge entstehe. Die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs ist nicht Ausfluss der dem Erblasser im Rahmen der Testierfreiheit zustehenden Verfügungsmacht, sondern zwingende gesetzliche Folge seiner Entscheidung, einen Pflichtteilsberechtigten durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge auszuschließen ( § 2303 BGB ). Auch aus dem Umstand, dass ein Schiedsgericht aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Erblassers etwa im Wege der Testamentsauslegung darüber entscheiden kann, wer vom Erblasser zum Erben bestimmt worden ist, kann nicht hergeleitet werden, dass ein Schiedsgericht deshalb auch über der Verfügungsbefugnis des Erblassers entzogene Pflichtteilsansprüche entscheiden kann (Grunsky aaO S. 255, 261; Schiffer,ZErb 2014, 292, 294; ders. AnwZert ErbR 9/2009, Anm. 2; aA Crezelius aaO S. 161, 172; Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1066 Rn. 3; Pawlytta, ZEV 2003, 89, 92 f.; Zöller/Geimer, aaO § 1066 Rn. 18).

29

(3) Die Schiedsfähigkeit von Ansprüchen, die aus zwingendem Pflichtteilsrecht herrühren, kann nicht mit Hinweis darauf begründet werden, dass sich im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben können und eine kraft letztwilliger Verfügung getroffene Schiedsanordnung eine Aufspaltung von Nachlassstreitigkeiten auf unterschiedliche Rechtswege nach sich ziehen kann, etwa wenn sich Überschneidungen zwischen den Ansprüchen des Erben und (ergänzenden) Pflichtteilsansprüchen ergeben (vgl. Voit in Musielak/Voit aaO § 1066 Rn. 3; Haas, ZEV 2007, 49, 51). Derartige Abgrenzungsschwierigkeiten sind Folge der Entscheidung des Erblassers, bestimmte Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit zuzuweisen; ihnen kann durch eine möglichst präzise Bestimmung der von einer Schiedsklausel erfassten Streitgegenstände begegnet werden (vgl. Lange, ZIP 128 [2015] 407, 413; aA Grötzsch in Groll aaO Kap. XIV Rn. 45; Pawlytta, ZEV 2003, 89, 92).

30

(4) Es bedarf keiner Entscheidung, ob diese Grundsätze uneingeschränkt Geltung beanspruchen, wenn einem Pflichtteilsberechtigten zugleich ein (den Pflichtteil übersteigender) Erbteil zugewandt worden ist (vgl. hierzu Voit in Musielak/Voit aaO § 1066 Rn. 3; BeckOK BGB/G. Müller aaO § 2317 Rn. 12a; ders. aaO § 2306 Rn. 14; Grötzsch in Groll aaO Kap. XIV Rn. 36; Haas ZEV 2007, 49, 51) oder der Pflichtteilsberechtigte – wie hier – zugleich als Vermächtnisnehmer bedacht worden ist (vgl. zu Streitigkeiten zwischen Erben und Vermächtnisnehmern Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1066 Rn. 3; MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1066 Rn. 4 mit Fn. 10; Schütze in Wieczorek/ Schütze aaO § 1066 Rn. 7; Wegmann, ZEV 2003, 20, 21; MünchKomm.BGB/ Leipold aaO § 1937 Rn. 33; Staudinger/Otte aaO Vorbemerkung zu §§ 19371941 Rn. 8) und Gegenstand eines Schiedsverfahrens Ansprüche aus beiden Rechtspositionen sind. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts steht vorliegend allein der Pflichtteils(rest)anspruch der Antragstellerin im Streit ( § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB ).

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d) Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass die mangelnde Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO unabhängig davon zu berücksichtigen ist, ob sich dies im konkreten Fall zugunsten oder zulasten derjenigen Partei auswirkt, die nach der Schutzrichtung der missachteten Formvorschriften oder der die Verfügungsmacht des Erblassers beschränkenden materiell-rechtlichen Regelungen durch die Vereinbarung oder Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit einen Rechtsnachteil erleiden kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2011 – III ZR 16/11 , SchiedsVZ 2011, 227 f.). Die von Amts wegen zu berücksichtigenden Aufhebungsgründe stehen grundsätzlich weder zur Parteidisposition noch kann wirksam auf ihre Geltendmachung verzichtet werden (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, BT-Drucks. 13/5274, S. 59; Saenger/Saenger aaO § 1059 Rn. 21). Auch eine Präklusion des Aufhebungsgrundes nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO gemäß § 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO kommt nicht in Betracht (Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 24 Rn. 31).

32

2. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts ist es der Antragsgegnerin aber nach Treu und Glauben verwehrt, sich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs auf das Fehlen der Schiedsfähigkeit zu berufen.

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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs kann eine Partei nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs nicht die Unwirksamkeit einer Schiedsabrede geltend machen, wenn sie sich zuvor in einem vor den staatlichen Gerichten geführten Prozess auf die Schiedsabrede berufen und dadurch die Abweisung der Klage oder deren Rücknahme durch den Kläger erreicht hat, im anschließend vom Kläger eingeleiteten Schiedsverfahren bei der Konstituierung des Schiedsgerichts mitgewirkt und sich auf das Schiedsverfahren eingelassen hat und erst im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs geltend macht, dass die Schiedsabrede unwirksam sei ( BGH, Urteil vom 2. April 1987 – III ZR 76/86 , NJW-RR 1987, 1194, 1195; Beschluss vom 30. April 2009 – III ZB 91/07 , SchiedsVZ 2009, 287, 288). Entsprechendes gilt, wenn der Beklagte zunächst im Schiedsverfahren geltend macht, dass nicht das Schiedsgericht, sondern das staatliche Gericht zur Entscheidung über den Streitgegenstand berufen sei und in dem sodann eingeleiteten Verfahren vor den ordentlichen Gerichten die Schiedseinrede erhebt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1968 – VII ZR 80/67 , BGHZ 50, 191, 195 bis 197 ). Von diesen Grundsätzen ist auch das Oberlandesgericht ausgegangen.

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b) Die Antragsgegnerin hat sich nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts in dieser Weise widersprüchlich verhalten. Sie hat in dem von der Antragstellerin zunächst vor den ordentlichen Gerichten eingeleiteten Verfahren über den Pflichtteilsanspruch die Schiedseinrede ( § 1032 Abs. 1 ZPO ) erhoben und damit erreicht, dass die Antragstellerin ihre Klage im zweiten Rechtszug zurückgenommen hat, nachdem sich das Berufungsgericht der Auffassung der Antragsgegnerin angeschlossen hatte, dass die Schiedsanordnung des Erblassers den Pflichtteilsanspruch erfasst. Im daraufhin von der Antragstellerin eingeleiteten Schiedsverfahren hat die Antragsgegnerin keine Einwände gegen die Durchführung des Schiedsverfahrens vor dem Schlichtungs- und Schiedsgerichtshof Deutscher Notare und die Bestellung des Schiedsrichters erhoben. Sie hat sich erst nachdem das Schiedsgericht durch Versäumnisentscheidung zu ihrem Nachteil erkannt und den Einspruch gegen diese Entscheidung verworfen hat im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruches auf die Schiedsunfähigkeit des Pflichtteilsanspruchs berufen. Damit kann die Antragsgegnerin nach Treu und Glauben nicht gehört werden.

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c) Für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kommt es – anders als das Oberlandesgericht angenommen hat – nicht darauf an, dass vor den ordentlichen Gerichten bisher noch keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Zulässigkeit einer vor den staatlichen Gerichten erhobenen Klage über den von der Antragstellerin erhobenen Pflichtteilsanspruch und den Erfolg der Schiedseinrede ergangen ist (vgl. Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1032 Rn. 33). Es kommt auch nicht darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass die staatlichen Gerichte bei einer erneuten Befassung mit der Sache annehmen, der Gegenstand einer solchen Klage sei nicht schiedsfähig.

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Hat eine Partei vor dem staatlichen Gericht mit Erfolg geltend gemacht, nicht das staatliche Gericht, sondern ein Schiedsgericht sei zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen, läuft die spätere Geltendmachung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens auf den Versuch hinaus, dem Gegner in jedem der möglichen Verfahrenswege den Rechtsschutz abzuschneiden und ihn damit praktisch rechtlos zu stellen. Es ist dem Gegner nicht zuzumuten, sich (bei insoweit unveränderter Sachlage) abwechselnd auf die eine oder andere Verfahrensart verweisen zu lassen ( BGHZ 50, 191, 196 ; BGH, NJW-RR 1987, 1194, 1195 [BGH 02.04.1987 – III ZR 76/86] ; SchiedsVZ 2009, 287, 288 [BGH 30.04.2009 – III ZB 91/07] ; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. April 2011 – 26 SchH 1/11 , BB 2012, 81, 82; Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1032 Rn. 33; Schütze in Wieczorek/Schütze aaO § 1032 Rn. 29; Saenger/Saenger aaO § 1032 Rn. 8; Jauernig/Mansel, BGB, 16. Aufl. § 242 Rn. 49; MünchKomm.BGB/Schubert aaO § 242 Rn. 346; Böttcher/Hohloch in Erman, BGB, 14. Aufl., § 242 Rn. 199a; Staudinger/Olzen/Looschelders, BGB, Neubearbeitung 2015, § 242 Rn. 1122; vgl. ferner OLG Frankfurt, Urteil vom 6. Februar 2009 – 24 U 183/08 , […] Rn. 8).

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Das Interesse des Verfahrensgegners, nicht einerseits mit Rücksicht auf die Erhebung der Schiedseinrede und andererseits mit Rücksicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens von einem auf den anderen Verfahrensweg verwiesen zu werden, ohne eine Sachentscheidung erreicht zu haben, ist auch dann schützenswert, wenn er aus prozessualen Gründen nicht gehindert ist, seinen Anspruch letztlich doch noch mit Erfolg vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Ist die gegensätzliche Einlassung des von ihm in Anspruch Genommenen in beiden Verfahren nicht ausnahmsweise durch sachliche Gründe gerechtfertigt (vgl. hierzu BGHZ 50, 191, 197 ), muss er sich durch ein solches Verhalten nicht zu Prozesshandlungen veranlasst sehen, die sich im Nachhinein als sinnlos herausstellen und lediglich Zeitverlust und Kosten verursachen (BGH, NJW-RR 1987, 1194, 1195 [BGH 02.04.1987 – III ZR 76/86] ).

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d) Der Berücksichtigung des von der Antragstellerin erhobenen Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung steht nicht entgegen, dass der Aufhebungsgrund nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO von Amts wegen zu beachten und im Regelfall der Parteidisposition entzogen ist. Vorliegend ist der Gegenstand des Schiedsverfahrens nicht schlechthin schiedsunfähig, weil der Pflichtteilsanspruch kraft Parteivereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen werden kann (vgl. OLG Frankfurt, ZEV 2012, 665, 668; vgl. ferner Staudinger/Otte aaO Vorbemerkung zu §§ 1937-1941 Rn. 8a; Storz, SchiedsVZ 2010, 200, 203).

39

II. Das Oberlandesgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Schiedsspruch gegen den innerstaatlichen verfahrensrechtlichen ordre public verstößt, weil im schiedsrichterlichen Verfahren die Bestimmung des § 1048 Abs. 3 ZPO nicht beachtet und dadurch der Anspruch der Antragsgegnerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden ist. Der Senat sieht insoweit gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO von einer Begründung seiner Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

40

C. Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts auf Kosten der Antragstellerin ( § 97 Abs. 1 ZPO ) zurückzuweisen.

Vorschriften
§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO, § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO, § 1048 Abs. 3 ZPO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO, § 574 Abs. 2, § 575 ZPO, § 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 1059 Abs. 2 ZPO, § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a ZPO, § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 2303 BGB, § 1029 Abs. 1 ZPO, § 1029 Abs. 2 ZPO, § 1066 ZPO, §§ 1025 bis 1065 ZPO, § 1031 ZPO, §§ 2231 bis 2252 BGB, § 1030 ZPO, Art. 6 Abs. 1 GG, § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO, § 1032 Abs. 1 ZPO, § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO

Quelle:IWW

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