Monatsarchiv 22. Februar 2017

Keine steuerliche Begünstigung für von Trägervereinen betriebene Freibäder

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 12/17, Pressemitteilung vom 22.02.2017, Urteil vom 9.11.2016, Aktenzeichen I R 56/15

Betreibt eine städtische Gesellschaft ein verlustbringendes Freibad nicht selbst, son­dern verpachtet sie es an einen Träger­verein, liegen die Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung dauerdefizitärer Tätigkeiten der öffentlichen Hand nicht vor. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. November 2016 I R 56/16 sind Verpachtungstätigkeiten nicht begünstigt.

Fast alle größeren Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unterhalten Freibäder und entsprechen damit typischerweise einer Erwartungshaltung ihrer Bürger. Unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas rechnen sich allerdings Freibäder für die Gemeinden betriebswirtschaftlich nicht, es sei denn diese würden hohe Eintrittspreise verlangen. Das wiederum ist sozialpolitisch aus Sicht vieler Menschen nicht akzeptabel. Folglich ist der Freibadbetrieb in Deutschland regelmäßig dauer­defizitär und führt fortlaufend zu erheblichen Verlusten für die Gemeinden. Der Gesetzgeber begünstigt solche dauerdefizitären Tätigkeiten der Gemeinden allerdings aus sozialpolitischen Gründen, indem er die Verluste steuerlich anerkennt und damit ihre Verrechnung mit Gewinnen der Gemeinden aus anderen Tätigkeiten ermöglicht (vgl. § 8 Abs. 7 des Körperschaft­steuer­gesetzes). Hierzu gehören z.B. städtische Gewinne aus Ener­gie­versorgungsunternehmen. Man spricht bei diesem Verrechnungs­modell üblicherweise vom kommunalen Querverbund.

Der BFH hat mit seinem Urteil anerkannt, dass auch der dauer­defizitäre Betrieb eines Freibades dem Grunde nach steuerlich begünstigt ist. Er entnimmt den gesetzlichen Regelungen jedoch die klare Aussage, dass die Begünstigung nur dann gewährt wird, wenn die Gemeinde entweder mit einem eigenen Betrieb (Betrieb gewerblicher Art) die dauerdefizitäre Tätigkeit selbst ausübt oder eine kommunale Eigengesellschaft (Kapital­ge­sell­schaft, deren Anteile sich in der Hand einer Kommune befinden) das Freibad selbst betreibt.

Im Streitfall war hingegen die städtische Eigengesellschaft nicht selbst Betreiberin des Freibades. Sie hatte dieses an einen im Vereinsregister eingetragenen Trägerverein gegen Zusage der Verlustübernahme verpachtet. Dieses Verpachtungsmodell ist nicht steuerlich begünstigt. Mit dieser Entscheidung konnte der BFH zugleich die umstrittene Rechtsfrage offenlassen, ob die gesetzliche Regelung der dauerdefizitären Tätigkeiten mit den unionsrechtlichen Beihilfevorschriften zu vereinbaren ist.

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Häusliches Arbeitszimmer: Personenbezogene Ermittlung

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 13/17, Pressemitteilung vom 22.02.2017, Urteil vom 15.12.2016, Aktenzeichen VI R 53/12  , Urteil vom 15.12.2016, Aktenzeichen VI R 86/13

Nutzen mehrere Steuerpflichtige ein häus­liches Arbeitszimmer gemeinsam, ist die Höchstbetragsgrenze von 1.250 € per­so­nen­bezogen anzuwenden, so dass jeder von ihnen seine Aufwendungen hierfür bis zu dieser Obergrenze einkünftemindernd gel­tend machen kann. Dies hat der Bundes­finanzhof (BFH) mit zwei Urteilen vom 15. Dezember 2016 VI R 53/12 und VI R 86/13 entschieden und dabei seine Recht­spre­chung zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 des Einkom­men­steu­er­gesetzes (EStG) zugunsten der Steuerpflichtigen geändert.

Der BFH ist bislang von einem objektbezogenen Abzug der Auf­wendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ausgegangen. Die abziehbaren Aufwendungen waren hiernach unabhängig von der Zahl der nutzenden Personen auf 1.250 € begrenzt. Nunmehr kann der Höchstbetrag von jedem Steuerpflichtigen in voller Höhe in Anspruch genommen werden, der das Arbeitszimmer nutzt, sofern in seiner Person die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG erfüllt sind.

Im ersten Fall (Az: VI R 53/12) nutzten die Kläger gemeinsam ein häusliches Arbeitszimmer in einem Einfamilienhaus, das ihnen jeweils zur Hälfte gehörte. Finanzamt und Finanzgericht (FG) erkannten die Aufwendungen für das häusliche Arbeits­zimmer von jährlich ca. 2.800 € nur in Höhe von 1.250 € an und ordneten diesen Betrag den Klägern je zur Hälfte zu.

Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben. Der auf den Höchstbetrag von 1.250 € begrenzte Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ist jedem Steuerpflichtigen zu gewähren, dem für seine betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, wenn er in dem Arbeitszimmer über einen Arbeitsplatz verfügt und die geltend gemachten Aufwendungen getragen hat. Der BFH hat zudem klargestellt, dass die Kosten bei Ehegatten jedem Ehepartner grundsätzlich zur Hälfte zuzuordnen sind, wenn sie bei hälftigem Miteigentum ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam nutzen. Im Streitfall hatte das FG jedoch nicht geprüft, ob der Klägerin in dem Arbeitszimmer ein eigener Arbeitsplatz in dem für ihre berufliche Tätigkeit konkret erforderlichen Umfang zur Verfügung stand. Der BFH hat die Sache deshalb an das FG zurückverwiesen.

Im zweiten Fall (Az: VI R 86/13) hat der BFH darüber hinaus betont, dass für den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer feststehen muss, dass dort überhaupt eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit entfaltet wird. Außerdem muss der Umfang dieser Tätigkeit es glaubhaft erscheinen lassen, dass der Steuerpflichtige hierfür ein häusliches Arbeits­zimmer vorhält. Dies hatte das FG nicht aufgeklärt. Der BFH musste die Vorentscheidung daher auch in diesem Verfahren aufheben und die Sache an das FG zurückverweisen.

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Vertrauensschutz bei einvernehmlicher Streitbeilegung vor dem Finanzgericht

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 14/17, Pressemitteilung vom 22.02.2017, Urteil vom 6.7.2016,  Aktenzeichen X R 57/13

Ein Finanzamt (FA) verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn es zunächst aufgrund einer einvernehmlichen Beendigung eines Finanzrechtsstreits den angefochtenen Steuerbescheid zwar aufhebt, im Anschluss daran aber erneut einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlässt. Nach dem Urteil vom 6. Juli 2016 X R 57/13 des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt dann ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) vor.

Im Urteilsfall hatte sich das FA mit der Klägerin in einer einen Feststellungsbescheid (Steuerbescheid) betreffenden Finanz­streitsache nach einem entsprechenden Hinweis des Finanz­gerichts (FG) zunächst dahingehend verständigt, den in Streit stehenden Änderungsbescheid noch während der mündlichen Verhandlung aufzuheben und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Im Gegenzug nahm die Klägerin ihren Einspruch zurück und erklärte den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt. Kurze Zeit später erließ das FA einen in­halts­gleichen Änderungsbescheid, den es nunmehr auf eine andere Rechtsgrundlage stützte. Das von der Klägerin erneut angerufene FG hob den Zweitbescheid auf, weil die rechtlichen Voraussetzungen der vom FA beabsichtigten Korrektur des Steuerbescheids im Urteilsfall nicht gegeben gewesen seien.

Der BFH hat die vorinstanzliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt. Das FA sei aufgrund seines Verhaltens in der ersten mündlichen Verhandlung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert gewesen, im Nachgang einen in­halts­gleichen Steuerbescheid erneut zu erlassen. Entscheidend hierfür sei die zwischen den Beteiligten getroffene verfahrensbeendende Absprache vor dem FG. Indem das FA danach den ersten Än­de­rungs­bescheid mit Zustimmung der Klägerin aufgehoben und den Rechtsstreit ohne jede Einschränkung oder Bedingung für erledigt erklärt habe, sei auf Seiten der Klägerin ein Vertrauens­tat­be­stand geschaffen worden. Dieser habe zu einer wirtschaftlichen Disposition der Klägerin geführt, da die Klägerin durch die Rück­nahme des Einspruchs und die korrespondierende Erledi­gungs­erklärung ihren verfahrensrechtlichen Besitzstand aufgegeben habe. Infolge des zielstrebigen und vorbehaltslosen Hinwirkens des FA auf eine umgehende Beendigung des Finanz­ge­richts­prozesses „ohne Urteil“ habe sie uneingeschränkt darauf ver­trauen dürfen, die Finanzbehörde werde sich dazu auch künftig nicht mehr in Widerspruch setzen.

Mit dieser Entscheidung hat der BFH seine Rechtsprechung zum Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen auf Fälle der Vereinbarung einer einvernehmlichen Streitbeilegung vor dem FG ausgeweitet.

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Mitwirkungspflicht des Versicherungsnehmers bei der Auskunft- und Datenerhebung

Bundesgerichtshof: Urteil vom 22.02.2017 – IV ZR 289/14
VVG § 14 Abs. 1 , § 31 Abs. 1 , § 213 Abs. 1

1. Zu den zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des Versicherers notwendigen Erhebungen im Sinne des § 14 Abs. 1 VVG zählen auch solche, die klären sollen, ob der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss seine vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt hat.

a) Zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers sind auch solche Auskünfte erforderlich im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG , die der Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen dienen. Die den Versicherungsnehmer insoweit treffende Mitwirkungsobliegenheit ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen bereits eine konkrete Verdachtslage für eine Anzeigeobliegenheitsverletzung besteht.

b) Der Versicherungsnehmer hat bei der Erhebung von Daten durch den Versicherer grundsätzlich nur insoweit mitzuwirken, als diese zur Pr üfung des Leistungsfalles relevant sind. Kann der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem Versicherer noch unbekannt ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die Obliegenheit des Versicherungsnehmers zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem Versicherer eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind.

3. § 213 Abs. 1 VVG steht einer Datenerhebung des Versicherers zum Zwecke der Überprüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers nicht entgegen.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2017
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg vom 8. Juli 2014 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 95.000 € festgesetzt.

Tatbestand

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Die unbekannten Erben des während des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägers (im Folgenden weiterhin als Kläger bezeichnet) fordern Leistungen aus einer bei der Beklagten seit April 2009 gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung, welcher „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die BerufsunfähigkeitsPolice I. “ der Beklagten (im Folgenden: AVB) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 22 Welche Mitwirkungspflichten sind zu beachten, wenn Leistungen wegen Berufsunfähigkeit verlangt werden? […] (2) Wir können außerdem, dann allerdings auf unsere Kosten, weitere Untersuchungen durch von uns beauftragte Ärzte und sonstige Sachverständige sowie notwendige Nachweise – auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen – verlangen, insbesondere zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen, auch die des Arbeitgebers über den Beruf im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages. Die versicherte Person hat Ärzte, Krankenhäuser und sonstige Krankenanstalten sowie Pflegeheime, bei denen sie in Behandlung oder Pflege war oder sein wird, sowie Sachverständige, Pflegepersonen, andere Personenversicherer und Behörden sowie wegen des Berufs auch den Arbeitgeber zu ermächtigen, uns auf Verlangen Auskunft zu erteilen. […]“
2

Mit Schreiben vom 18. Mai 2010 zeigte der Kläger, zu diesem Zeitpunkt noch Bezirksleiter einer Bausparkasse, der Beklagten an, dass er aufgrund eines Burnout-Syndroms nicht mehr in der Lage sei, seine berufliche Tätigkeit auszuüben.

3

Im Februar 2011 meldete er bei der Beklagten Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung an. Hierauf bat ihn die Beklagte unter anderem um die Unterzeichnung von Schweigepflichtentbindungserklärungen zur Einholung von Auskünften bei verschiedenen Stellen. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er werde die Erhebung von Auskünften bei der Krankenkasse nur genehmigen, soweit sie sich auf die Berufsunfähigkeit bezögen, wies die Beklagte ihn darauf hin, dass sie auch prüfen wolle, ob der Versicherungsvertrag ordnungsgemäß zustande gekommen sei.

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Zur Abgabe einer Schweigepflichtentbindung zu diesem Zweck war der Kläger im Weiteren nicht bereit. Eine von ihm zuvor noch formulierte und unterzeichnete „Einwilligung und Schweigepflichtentbindungserklärung“ hatte die Beklagte zunächst als unzureichend abgelehnt; als sie diese später dennoch für eine Abfrage der Gesundheitsverhältnisse des Klägers für die Zeit ab Juni 2002 nutzen wollte, widersprach der Kläger dieser Datenerhebung ausdrücklich, soweit sie die Überprüfung „vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzungen“ betreffe. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie stelle die weitere Leistungsprüfung ein, und berief sich darauf, die geltend gemachten Leistungsansprüche des Klägers seien nicht fällig.

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Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente, die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur jährlichen Rentenerhöhung sowie die Freistellung von der Prämienzahlung begehrt.

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Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Kammergericht zurückgewiesen. Die Revision des Klägers verfolgt die erhobenen Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

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I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2014, 1191 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Leistungsanspruch des Kl ägers sei derzeit jedenfalls nicht fällig, da die Beklagte ihre Leistungsprüfung nicht abschließen könne. Es fehle die erforderliche Einwilligung des Klägers, die es der Beklagten ermögliche, Gesundheitsdaten aus der Zeit vor dem Vertragsschluss zu erheben. Infolgedessen habe die Beklagte nicht prüfen können, ob die behauptete Berufsunfähigkeit bereits vor Vertragsbeginn eingetreten sei und ob ihr eventuell wegen einer Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten des Klägers ein Anfechtungs- oder Rücktrittsrecht zustehe.

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Zur Feststellung des Versicherungsfalles gehöre auch die Prüfung, ob der Versicherungsvertrag wirksam zustande gekommen sei und sich das versicherte Risiko erst nach Beginn des Versicherungsschutzes verwirklicht habe. Die hierfür benötigten Daten dürfe der Versicherer im Rahmen der Leistungsprüfung erheben. Dem stehe weder § 213 VVG noch das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung entgegen.

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Der Versicherer sei nicht verpflichtet, die Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten ausschließlich vor Vertragsschluss zu prüfen. Die Erhebung vorvertraglicher Gesundheitsdaten sei weder auf Umstände beschränkt, die Einfluss auf den Versicherungsfall gehabt haben könnten, noch auf Fälle, in denen bereits ein konkreter Anfangsverdacht für eine vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzung vorliege. Im Streitfall habe aber ohnehin ein ausreichender Prüfungsanlass wegen der zeitlichen Nähe der Vertragserklärung des Klägers zu der vorgetragenen Diagnose bestanden.

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Die Beklagte habe im Laufe des Rechtsstreits auch nicht auf die Datenerhebung verzichtet.

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II. Das hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

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Ein Leistungsanspruch des Klägers ist derzeit jedenfalls noch nicht fällig, weil die Beklagte notwendige Erhebungen zur Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen des Klägers aufgrund dessen unzureichender Mitwirkung nicht hat abschließen können.

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1. Die Fälligkeit des Leistungsanspruchs hängt nach § 14 Abs. 1 VVG auch vom Abschluss der Ermittlungen des Versicherers zur Frage einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers ab.

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a) Gemäß § 14 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen des Versicherers mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Leistungsumfangs notwendigen Erhebungen fällig. Hierzu zählen entgegen der Auffassung der Revision auch solche Nachforschungen, die klären sollen, ob der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss seine vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG ordnungsgemäß erfüllt hat (OLG Hamburg VersR 2010, 749, 750 [OLG Hamburg 02.03.2010 – 9 U 186/09] ; OLG Hamm VersR 2015, 1497, 1498; OLG Köln VersR 2015, 305; HK-VVG/Muschner, 3. Aufl. § 14 Rn. 16, 25; MünchKomm-VVG/Fausten, 2. Aufl. § 14 Rn. 22; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 14 Rn. 8; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 14 Rn. 6; Marlow/ Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1460; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 84; Britz, VersR 2015, 410, 411; Fricke, VersR 2009, 297, 300; Höra, r+s 2008, 89, 93; Rixecker, ZfS 2007, 556; a.A. Egger, VersR 2015, 1209, 1211).

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b) Anders als die Revision meint, steht dem nicht entgegen , dass vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzungen weder den Eintritt des Versicherungsfalles betreffen, noch Auswirkungen auf die Bemessung der Versicherungsleistung haben, da sie lediglich rechtsvernichtende Gestaltungsrechte (Rücktritt nach § 19 Abs. 2 VVG und Arglistanfechtung nach § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB ) begründen können (so aber Egger, VersR 2015, 1209, 1210 f.; ders., VersR 2014, 1304, 1306).

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aa) Soweit der Wortlaut des § 14 Abs. 1 VVG die Fälligkeit der Geldleistungen des Versicherers von der Beendigung der „zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des Versicherers notwendigen Erhebungen“ abhängig macht, wird davon auch die Prüfung der Vertragswirksamkeit erfasst. Sowohl der Versicherungsfall als auch der Umfang einer auf diesen gestützten Versicherungsleistung setzen einen wirksamen Versicherungsvertrag voraus.

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bb) Für dieses weite Verständnis des § 14 Abs. 1 VVG sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift, die dem Versicherer angesichts häufig schwieriger rechtlicher und tatsächlicher Fragen Zeit zur Prüfung einräumen will, ob und in welcher Höhe er zur Leistung verpflichtet ist (Johannsen in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 14 VVG Rn. 3). Dies erstreckt sich auch auf Fragen nach der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages, welche die grundlegende Voraussetzung für die Leistungsverpflichtung des Versicherers bildet. Denn es widerspräche dem Zweck des § 14 Abs. 1 VVG , die Fälligkeit der Versicherungsleistung ungeachtet des Vorliegens von Umständen eintreten zu lassen, welche die Vertragswirksamkeit infrage stellen.

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cc) Eine Unterscheidung danach, ob tatsächliche Umstände die Leistungspflicht des Versicherers unmittelbar entfallen lassen oder ihm lediglich ein Gestaltungsrecht verschaffen, den Versicherungsvertrag durch eine Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung zu Fall zu bringen, ist insoweit nicht geboten. Denn das von § 14 Abs. 1 VVG letztlich geschützte Interesse des Versicherers und der Versichertengemeinschaft, Leistungen nicht ohne Grund oder auf Grundlage einer unzureichenden Prüfung erbringen zu müssen, ist in beiden Fällen gleichermaßen berührt.

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2. Die Erhebungen der Beklagten zur Frage vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen des Klägers sind in Anbetracht seiner Weigerung, in jeglicher Weise an der Beschaffung der insoweit relevanten Gesundheitsdaten bei seinen Krankenkassen sowie dem ihn behandelnden Arzt mitzuwirken, nicht als beendet im Sinne des § 14 Abs. 1 VVG anzusehen.

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a) Ob das auch dann gälte, wenn der Versicherungsnehmer aus keinem rechtlichen Grund zur Mitwirkung bei einer solchen Datenerhebung des Versicherers gehalten wäre (Spuhl, VuR 2009, 1, 4; Looschelders, JR 2010, 530, 532), kann dahinstehen, denn im Streitfall traf den Kläger eine entsprechende Obliegenheit. Diese ergibt sich allerdings nicht aus § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB, der infolge unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers gemäß § 307 BGB unwirksam ist (hierzu aa)), sondern aus § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AVB i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG (hierzu bb)).

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aa) § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB hält der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht stand. Die Klausel bestimmt, dass die versicherte Person im Rahmen der Leistungsprüfung bestimmte Auskunftspersonen zu ermächtigen hat, auf Verlangen des Versicherers Auskunft zu erteilen. Das benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen, weil das Recht des Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG missachtet wird. Damit widerspricht die Klausel zugleich dem Grundgedanken des § 213 VVG .

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(1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrec hts die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (grundlegend: BVerfGE 65, 1, 43 [BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83] ). Als Grundrecht entfaltet es im Privatrecht seine Wirkkraft über die Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen (sog. mittelbare Drittwirkung; hierzu grundlegend: BVerfGE 7, 198, 205 [BVerfG 15.01.1958 – 1 BvR 400/51] ), und ist insbesondere bei der Auslegung von Generalklauseln (BVerfG aaO 205 f.), wie hier von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB , zu beachten.

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(2) Demgemäß sind Bestimmungen in allgemeinen Versicherungsbedingungen als unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers anzusehen, die einen informationellen Selbstschutz vereiteln oder unzumutbar werden lassen ( Senatsurteil vom 13. Juli 2016 – IV ZR 292/14 , VersR 2016, 1173 Rn. 29 m.w.N.). Nach Auslegung von § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB ist das hier der Fall.

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(a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an ( Senatsurteile vom 17. Februar 2016 – IV ZR 353/14 , VersR 2016, 720 Rn. 15; vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 , BGHZ 123, 83, 85 ; st. Rspr.).

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(b) Ein solcher Versicherungsnehmer entnimmt § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB, dass der Versicherte im Fall der Geltendmachung von Leistungsansprüchen die dort genannten Auskunftspersonen uneingeschränkt zu ermächtigen hat, dem Versicherer auf dessen Verlangen hin unmittelbar Auskunft zu erteilen. Eine inhaltliche Begrenzung dieser Verpflichtung auf Auskünfte etwa nur zu bestimmten Themen oder Zeiträumen lässt sich für ihn nicht ersehen.

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In dieser Auslegung nimmt die Klausel dem Versicherten die Möglichkeit, die Sachdienlichkeit der Informationserhebung zu überprüfen und die Preisgabe – auch sensibler – Daten selbst zu steuern (vgl. Höra in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 213 Rn. 68; MünchKomm-VVG/Wandt, 2. Aufl. § 31 Rn. 68; Benkel/Hirschberg, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Aufl. § 4 BUZ 2008 Rn. 6; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 7; ders./Kloth, NJOZ 2 009, 1370, 1393; Rixecker, ZfS 2007, 37).

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(c) Zugleich steht § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB damit in Widerspruch zu dem Grundgedanken des § 213 VVG . Dieser regelt zwar nach seinem Wortlaut lediglich die Voraussetzungen, unter denen der Versicherer berechtigt ist, personenbezogene Daten bei Dritten zu erheben, und nicht die Frage, inwiefern der Versicherte vertraglich angehalten werden kann, für den Versicherer diese Voraussetzungen zu schaffen. Die Vorschrift soll aber nach dem Willen des Gesetzgebers gerade auch die Grundsätze aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2006 (VersR 2006, 1669 [BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02] ) umsetzen und den verfassungsrechtlich geforderten wirkungsvollen Selbstschutz gewährleisten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 28. Juni 2007, BT-Drucks. 16/5862 S. 100; Höra, r+s 2008, 89, 93). Dem widerspräche es, die Ausübung der dazu geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten des Versicherten, die nach Abs. 1 erforderliche Einwilligung zu verweigern oder trotz erteilter Einwilligung der Datenerhebung nach Abs. 2 Satz 2 zu widersprechen, regelmäßig als Verstoß gegen vertragliche Mitwirkungsobliegenheiten anzusehen (vgl. MünchKomm-VVG/Eberhardt, § 213 Rn. 75). Denn die Wahrnehmung verfassungsrechtlich gebotener Rechte kann grundsätzlich nicht als Obliegenheitsverletzung gewertet werden (Höra in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 213 VVG Rn. 68; Britz, Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch Versicherungs unternehmen bei Dritten gemäß § 213 VVG unter Berücksichtigung des Gendiagnostikgesetzes, 2011 S. 211; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1473).

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bb) Den Kläger trifft indes eine Obliegenheit zur Mitwirkung bei der Datenerhebung der Beklagten – auch zur Frage vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen – aus § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AVB i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG .

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(1) Gemäß § 31 Abs. 1 VVG kann der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist (Satz 1), und dass ihm insoweit Belege vorgelegt werden, als deren Beschaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden kann (Satz 2). § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AVB gestaltet die gesetzliche Regelung dahingehend aus, dass der Versicherer auf seine Kosten vom Versicherungsnehmer notwendige Nachweise – auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen – fordern kann, insbesondere zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen, auch die des Arbeitgebers über den Beruf im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

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§ 31 Abs. 1 VVG entspricht § 34 VVG a.F. (BT-Drucks. 16/3945 S. 70) und beruht auf dem Gedanken einer kooperativen Regulierung des Versicherungsfalles auf der Basis eines strukturierten, von Treu und Glauben beherrschten Informations- und Kommunikationsprozesses, der die zwischen den Vertragsparteien bestehende Informationsasymmetrie ausgleichen und dem Versicherer damit die Prüfung seiner eventuellen Leistungspflicht ermöglichen soll (vgl. Brömmelmeyer in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 31 VVG Rn. 2 m.w.N.). Die nach dem Gesetz zwar sanktionslose, für den Versicherungsnehmer dennoch verbindliche Obliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG setzt ein Verlangen des Versicherers voraus (vgl. zur Erforderlichkeit einer Aufforderung des Versicherers im Fall der Auskunftsobliegenheit des Versicherungsnehmers: Senatsurteil vom 16. November 2005 – IV ZR 307/04 , VersR 2006, 258 Rn. 16 m.w.N.). Danach muss der Versicherungsnehmer dem Versicherer, der sich ein klares Bild von seiner Leistungspflicht machen will, erst auf entsprechende Aufforderung hin weitere Kenntnisse verschaffen und Beweise erbringen (Möller in Bruck/Möller, 8. Aufl. § 34 VVG Anm. 3 f.).

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Dabei kommt dem Versicherer grundsätzlich ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich die geforderten Angaben nach dem Ergebnis der Prüfung tatsächlich als wesentlich erweisen, da die Frage der Erforderlichkeit ex ante zu beurteilen ist (zum Vorstehenden: Senatsurteile vom 13. Juli 2016 – IV ZR 292/14 , VersR 2016, 1173 Rn. 34; vom 22. Oktober 2014 – IV ZR 242/13 , VersR 2015, 45 Rn. 18; vom 16. November 2005 – IV ZR 307/04 , VersR 2006, 258 Rn. 14; jeweils m.w.N.).

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(2) Umstritten ist aber, ob der Versicherer auch nach Umständen fragen und die Vorlage von Belegen verlangen darf, die es ihm erlauben, die Verletzung von vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten durch den Versicherungsnehmer zu beurteilen, insbesondere wie das Tatbestandsmerkmal des § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG „zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich“ auszulegen ist.

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Älterer obergerichtlicher Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums zufolge soll eine eng am Wortlaut orientierte Auslegung geboten sein, nach der die Aufklärungsobliegenheit über die Abwicklung des konkreten Versicherungsfalles nicht hinausgeht und sich damit nicht auf Umstände erstreckt, die ausschließlich Anfechtungs- und Rücktrittsgründe zu begründen vermögen (noch zu § 34 VVG a.F.: OLG Hamm VersR 1978, 1060, 1061; OLG Köln r+s 1993, 72, 74; Möller in Bruck/ Möller, 8. Aufl. § 34 VVG Anm. 12; zu § 31 VVG n.F.: MünchKomm-VVG/ Wandt, 2. Aufl. § 31 Rn. 39; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 31 VVG Rn. 10; ders. in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 46 Rn. 210; Egger, VersR 2015, 1209, 1210; ders., VersR 2014, 1304, 1306; ders., VersR 2012, 810, 812).

35

Gegenstimmen in der Literatur sehen demgegenüber – wie die herrschende Meinung zu § 14 Abs. 1 VVG – auch die Aufklärung solcher Umstände als erforderlich im Sinne des § 31 Abs. 1 VVG an, die dazu dienen, eine Anzeigeobliegenheitsverletzung oder arglistige Täuschung des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss aufzudecken (HK-VVG/ Muschner, 3. Aufl. § 31 VVG Rn. 5; Reichel in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 21 Rn. 32; Marlow/ Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1460; Britz, VersR 2015, 410, 411; Fricke, VersR 2009, 297, 300; Neuhaus/Kloth, N JOZ 2009, 1370, 1394).

36

(3) Die letztgenannte Ansicht überzeugt. Für sie streiten im Wesentlichen die gleichen Argumente, die schon für die weite Auslegung des nahezu wortgleichen § 14 Abs. 1 VVG ausschlaggebend sind (siehe hierzu die Ausführungen unter 1 b):

37

Der Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG kann dahin verstanden werden, dass die Prüfung der Vertragswirksamkeit mitumfasst werden soll. Dafür sprechen – ähnlich wie bei § 14 Abs. 1 VVG – Sinn und Zweck der Vorschrift: Zielt § 14 Abs. 1 VVG darauf ab, dem Versicherer die erforderliche Zeit zur Prüfung zu verschaffen, ob und in welcher Höhe er zur Leistung verpflichtet ist (hierzu 1 b bb), soll § 31 Abs. 1 VVG ihn dazu befähigen, die hierzu erforderliche Tatsachengrundlage zu ermitteln. Beide Regelungen bezwecken damit im Kern, dem Versicherer eine sachgerechte Prüfung seiner Leistungspflicht zu ermöglichen (vgl. Senatsurteil vom 22. Oktober 2014 – IV ZR 242/13 , VersR 2015, 45 Rn. 19 zu § 34 VVG a.F.). Hierzu zählt die Prüfung der Vertragswirksamkeit. Insoweit ist auch hier ohne Belang, ob es bei der Prüfung des Versicherers um tatsächliche Umstände geht, welche seine Leistungspflicht unmittelbar entfallen lassen, oder solche, die ihm lediglich ein Gestaltungsrecht verschaffen, mit dessen Hilfe er den Vertrag nachträglich zu Fall bringen kann.

38

(4) Das Bestehen der entsprechenden Obliegenheit ist entgegen der Auffassung der Revision nicht davon abhängig, dass dem Versicherer Anhaltspunkte für eine vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers vorliegen. Zwar findet die Obliegenheit – wie die Wirksamkeit von § 22 Abs. 2 Satz 2 der AVB – ihre Grenze im Recht des Versicherungsnehmers auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht begrenzt indes nur den Umfang der Obliegenheit, ohne an ihr Eingreifen erhöhte Anforderungen zu stellen.

39

(a) Die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, bei der Beschaffung seiner persönlichen Daten durch den Versicherer mitzuwirken, berührt sein grundrechtlich geschütztes Interesse an informationellem Selbstschutz. Denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, unabhängig davon, ob die Daten bei einem Dritten (vgl. BVerfG VersR 2006, 1669 Rn. 43 [BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02] ; VersR 2013, 1425, 1427 [BVerfG 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08] [[…] Rn. 22]) oder beim Grundrechtsträger selbst (vgl. BVerfGE 65, 1, 45 [BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83] ) erhoben werden.

40

Das bedeutet allerdings nicht, dass jede Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Mitwirkung bei der Datenerhebung des Versicherers sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzte. Vielmehr steht dem Interesse des Versicherungsnehmers an informationeller Selbstbestimmung das ebenfalls erhebliche Offenbarungsinteresse des Versicherers gegenüber, das in der Vertragsfreiheit wurzelt und damit durch Art. 12 GG ebenfalls grundrechtlichen Schutz genießt ( Senatsurteil vom 13. Juli 2016 – IV ZR 292/14 , VersR 2016, 1173 Rn. 31; BVerfG VersR 2006, 1669 Rn. 50 [BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02] ; VersR 2013, 1425, 1427 [BVerfG 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08] [[…] Rn. 21]).

41

Beiden Grundrechten ist bei der Auslegung des § 31 Abs. 1 VVG nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz Geltung zu verschaffen, indem die kollidierenden Grundrechtspositionen so zu begrenzen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst wirksam werden (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007 – IV ZR 74/06 , BGHZ 174, 127 Rn. 143 ; BGH, Urteil vom 2. April 2015 – I ZR 59/13 , BGHZ 205, 22 Rn. 43 ).

42

(b) Dabei ist einerseits dem berechtigten Interesse des Versicherungsnehmers Geltung zu verschaffen, dass keine Daten erhoben werden, die dem Versicherer über das erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang sensible Informationen über den Versicherungsnehmer gewähren (vgl. Senatsurteil vom 13. Juli 2016 – IV ZR 292/14 , VersR 2016, 1173 Rn. 32; BVerfG VersR 2013, 1425, 1427 [BVerfG 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08] [[…] Rn. 27]). Das wäre – wie die Revision richtig erkennt – nicht gewährleistet, wenn der Versicherungsnehmer seine Mitwirkung bei der Beschaffung entsprechender Daten durch den Versicherer zwar faktisch verweigern könnte, dadurch aber stets seine Mitwirkungsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG missachtete und die Fälligkeit seines Leistungsanspruchs nach § 14 Abs. 1 VVG gefährdete. Denn damit wäre der Versicherer im Ergebnis bis zu einem eventuellen Einlenken des Versicherungsnehmers faktisch leistungsfrei, obgleich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Versicherte einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden können, um des informationellen Selbstschutzes willen die Leistungsfreiheit des Versicherers hinzunehmen (BVerfG VersR 2006, 1669 Rn. 39 [BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02] ; VersR 2013, 1425, 1427 [BVerfG 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08] [[…] Rn. 25]).

43

Auf der anderen Seite ist das anerkennenswerte Interesse des Versicherers und auch der Gemeinschaft der Versicherten (vgl. OLG Saarbrücken VersR 2009, 1478, 1481 [OLG Saarbrücken 09.09.2009 – 5 U 510/08-93] ) zu wahren, zur Vermeidung ungerechtfertigter Versicherungsleistungen alle Tatsachen – auch Hilfstatsachen – zu erfahren, die unmittelbar oder auch erst nach der Ausübung von Gestaltungsrechten zu seiner Leistungsfreiheit führen können (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 32). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es im Zeitpunkt der Datenerhebung oft noch nicht möglich ist, sicher zu beurteilen, auf welche Tatsachen es bei der Beurteilung der Leistungspflicht am Ende ankommt (vgl. BVerfG VersR 2013, 1425, 1427 [BVerfG 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08] [[…] Rn. 22]; HK-VVG/Muschner, 3. Aufl. § 213 Rn. 22; Fricke, VersR 2009, 297, 300).

44

(c) Die Abwägung der vorstehenden Belange führt nicht dazu, die den Versicherungsnehmer treffende Mitwirkungsobliegenheit auf Fälle zu beschränken, in denen bereits eine konkrete Verdachtslage für eine Anzeigeobliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers besteht (so aber Büchner, Neue Entwicklungen und alte Probleme in der Berufsunf ähigkeitsversicherung nach der VVG-Reform 2015 S. 236; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1461; ähnlich: Egger, VersR 2012, 810, 813), welche – wie die Revision meint – sogar die subjektiven Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers umfassen müsste. Denn der dem Versicherer zuzubilligende Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Angaben er zur Sachverhaltsermittlung für erforderlich hält, wäre zu weitgehend eingeschränkt, müsste er zur Rechtfertigung seiner Erhebungen zunächst jeweils im Einzelnen darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Fallumstände den konkreten Verdacht einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit durch den Versicherungsnehmer begründeten.

45

Vielmehr ist der Ausgleich der insoweit widerstreitenden Interessen dadurch herzustellen, dass der Versicherungsnehmer bei der Erhebung von Daten durch den Versicherer grundsätzlich nur insoweit mitzuwirken hat, als diese zur Prüfung des Leistungsfalles relevant sind. Kann der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem Versicherer noch unbekannt ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die Obliegenheit des Versicherungsnehmers zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem Versicherer eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind (vgl. BVerfG VersR 2013, 1425, 1428 [BVerfG 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08] [[…] Rn. 29]).

46

Dies kann im Fall eines geringen Kenntnisstandes des Versicherers eine gestufte, einem Dialog vergleichbare (vgl. dazu BVerfG aaO 1427 f. [[…] Rn. 22, 28]) Datenerhebung erforderlich werden lassen, in deren Rahmen zunächst Vorinformationen allgemeiner Art erhoben werden, auf deren Grundlage der Versicherer sodann einzelne, spezifischere Anfragen zu stellen vermag, deren Beantwortung unter Umständen wiederum zur Grundlage noch weiter ins Detail gehender Erkundigungen werden kann.

47

Nach allem ist der Versicherungsnehmer aufgrund der ih n treffenden Aufklärungsobliegenheit weder gehalten, dem Versicherer bei der Datenerhebung – selbst wenn sich diese auf eine oder wenige Auskunftspersonen beschränken sollte – völlig freie Hand zu lassen, noch muss er seinerseits vorformulierte Entwürfe des Versicherers für weit gefasste Schweigepflichtentbindungserklärungen oder ähnliche Ermächtigungen des Versicherers in der Weise modifizieren, dass sie über das genannte Maß nicht hinausgehen (vgl. BVerfG aaO). Vielmehr werden sich die Erhebungen des Versicherers zunächst auf solche Informationen zu beschränken haben, die ihm einen Überblick über die zur Beurteilung des Versicherungsfalles einschließlich des vorvertraglichen Anzeigeverhaltens des Versicherungsnehmers relevanten Umstände ermöglichen.

48

Dies kann etwa auf einer ersten Stufe der Erhebungen die Frage betreffen, wann in dem für die Anzeigeobliegenheit maßgeblichen Zeitraum ärztliche Behandlungen oder Untersuchungen stattgefunden haben, was beispielsweise durch eine Auskunft des Krankenversicherers beantwortet werden könnte, den der Versicherungsnehmer zunächst nur insoweit von seiner Schweigepflicht entbinden müsste. Besonders sensible Gesundheitsdaten (etwa Diagnosen, Behandlungsweisen oder Verordnungen betreffend) blieben von der Auskunftsobliegenheit des Versicherungsnehmers so lange nicht umfasst, bis der Versicherer aufgrund seiner Prüfung der Vorinformationen sein Auskunftsverlangen weiter konkretisiert. Erst dann wäre der Versicherungsnehmer gehalten, dieser Konkretisierung entsprechende Schweigepflichtentbindungen zu erteilen.

49

Allerdings bleibt es ihm unbenommen, zur Beschleunigung der Leistungsprüfung stattdessen sogleich umfassende Auskünfte zu erteilen und auch eine unbeschränkte Schweigepflichtentbindung zu erklären. Denn als Träger des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung steht es ihm frei, Daten anderen gegenüber zu offenbaren (vgl. BVerfG VersR 2006, 1669 Rn. 34 [BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02] ). Hierüber und über die andernfalls nach den vorgenannten Maßstäben schrittweise zu erfüllende Obliegenheit, Schweigepflichtentbindungen zu erteilen, hat der Versicherer den Versicherungsnehmer eingangs seiner Erhebungen zu informieren.

50

(5) Gegen die Annahme einer derart begrenzten Mitwirkungsobliegenheit des Versicherungsnehmers aus § 31 Abs. 1 VVG greifen die von der Revision und Teilen der Literatur erhobenen Einwände nicht durch.

51

(a) Soweit der Senat im Urteil vom 28. Oktober 2009 (IV ZR 140/08 , VersR 2010, 97 Rn. 23) das Interesse des Versicherungsnehmers als hoch eingestuft hat, Informationen über ihn betreffende Erkrankungen geheim zu halten und den Umgang damit zu kontrollieren, hat er zugleich hervorgehoben, dass das Recht des Versicherungsnehmers auf informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis der Vertragspartner einer Berufsunfähigkeitsversicherung dadurch modifiziert ist, dass es dem Versicherungsnehmer von Gesetzes wegen obliegt, dem Versicherer relevante Informationen über seinen Gesundheitszustand auch im Leistungsfall zugänglich zu machen, soweit dies zur Prüfung der Leis tungspflicht erforderlich ist, um dem legitimen Interesse des Versicherers an der Kenntnis und Verwendung dieser Informationen Rechnung zu tragen (Senat aaO Rn. 24).

52

(b) Anderes ergibt sich auch nicht aus § 213 Abs. 1 VVG .

53

Dessen Tatbestand ist von seinem Wortlaut her weiter als der des § 31 Abs. 1 VVG , weil er die Erhebung personenbezogener Daten für zulässig erklärt, deren Kenntnis „für die Beurteilung des zu versichernden Risikos oder der Leistungspflicht“ erforderlich ist. Ferner wird der wirkungsvolle informationelle Selbstschutz, den die Regelung bezwecken soll, durch die Begrenzung des Obliegenheitsumfangs (s. oben 2 a bb (4) (c)) gewährleistet. Das gilt insbesondere auch für das achtens- und schützenswerte Interesse redlicher Versicherungsnehmer an der Geheimhaltung sensibler Gesundheitsdaten. Der Einwand der Revision, die vom Versicherer erhobenen Daten könnten inhaltlich falsch sein und begründeten für den redlichen Versicherungsnehmer das Risiko, mit tatsächlich nicht gegebenen Gestaltungsrechten konfrontiert und deshalb in einen langwierigen Rechtsstreit verwickelt zu werden, greift nicht durch. Die jeder Ermittlung anhaftende Möglichkeit eines falschen Ermittlungsergebnisses kann die Zulässigkeit der Ermittlung als solche nicht infrage stellen.

54

Dementsprechend geht auch die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur zu Recht davon aus, § 213 VVG stehe einer Datenerhebung zum Zwecke der Überprüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers nicht entgegen (OLG Saarbrücken VersR 2013, 1157, 1161 [OLG Saarbrücken 10.10.2012 – 5 U 408/11; 5 U 408/11 – 57] ; Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 5. Aufl. § 213 VVG Rn. 46; HK-VVG/Muschner, 3. Aufl. § 213 VVG Rn. 22; Eichelberg in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 213 VVG Rn. 7; Wolf in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 213 VVG Rn. 8; Voit in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 213 Rn. 30; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 213 Rn. 13; Britz, Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch Versicherungsunternehmen bei Dritten gemäß § 213 VVG unter Berücksichtigung des Gendiagnostikgesetzes, 2011 S. 135 f.; Reichel in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 21 Rn. 32; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 33; Britz, VersR 2015, 410, 412; Fricke, VersR 2009, 297, 299 f.; Höra, r+s 2008, 89, 93; Rixecker, ZfS 2007, 556; jedenfalls soweit konkreter Anfangsverdacht vorliegt: Höra in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 213 VVG Rn. 36; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1460 f.; a.A. Egger, VersR 2012, 810, 813; ders., VersR 2014, 553, 554; ders., VersR 2014, 1304, 1306; ders., VersR 2015, 1209, 1211).

55

Zwar wird in der Literatur vereinzelt gefordert, zwischen der als Versicherungsfall geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigung und dem Informationsbegehren des Versicherers müsse eine kausale Verbindung bestehen (Egger, VersR 2012, 810, 813; ders., VersR 2014, 1304, 1307; Neuhaus/Kloth, NJOZ 2009, 1370, 1375 f.). Dem kann aber schon deshalb nicht gefolgt werden, weil eine solche Einschränkung der Datenerhebung im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze findet und jedenfalls das Recht des Versicherers, den Versicherungsvertrag im Fall einer arglistigen Täuschung des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss nach § 123 BGB anzufechten, eine solche Kausalität nicht voraussetzt.

56

(c) Soweit die Revision darauf verweist, der Versicherer könne dann, wenn ihm konkrete, greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Anzeigeobliegenheitsverletzung vorlägen, ohnehin von „seinem Recht Gebrauch machen und den Vertrag anfechten bzw. den Rücktritt erklären“, so dass er keiner weiteren Auskünfte mehr bedürfe, überzeu gt dies bereits deshalb nicht, weil es den Interessen beider Parteien des Versicherungsvertrages widerspräche, dem Versicherer eine fundierte Überprüfung des Sachverhalts im Wege der Datenerhebung zu verwehren und ihn auf diese Weise zu einem Rücktritt oder einer Arglistanfechtung aufgrund eines bloßen Verdachts zu drängen.

57

(d) Ein die Datenerhebung rechtfertigendes schutzwürdiges Interesse des Versicherers lässt sich auch nicht mit der Erwägung verneinen, er könne durch Gestaltung der Antragsfragen und Umorganisation seines Vertriebs bereits die vorvertragliche Beschaffung der für ihn risikorelevanten Informationen mitgestalten. Eine Pflicht des Versicherers, die Richtigkeit sämtlicher bei der Vertragsanbahnung erteilten Auskünfte des Versicherungsnehmers – so sie nicht ersichtlich unklar oder unvollständig sind (vgl. hierzu Senatsurteil vom 5. März 2008 – IV ZR 119/06 , VersR 2008, 668 Rn. 10 m.w.N.) – bereits vor Vertragsschluss zu überprüfen, sieht das Gesetz nicht vor.

58

(e) Der so verstandenen Mitwirkungsobliegenheit des Versicherungsnehmers aus § 31 Abs. 1 VVG steht auch nicht der allgemeine prozessuale Grundsatz entgegen, dass derjenige, der aus einer Rechtsnorm für sich günstige Rechtsfolgen herleiten möchte, deren Voraussetzungen darlegen und beweisen muss (a.A. Egger, VersR 2012, 810, 818 f.; ders., VersR 2015, 1209, 1218). Diese Regel ist hier nicht einschlägig.

59

Denn im Unterschied zum Zivilprozess wird das außergerichtliche Leistungsprüfungsverfahren des Versicherers vom Gedanken der kooperativen Regulierung des Versicherungsfalles getragen (vgl. Brömmelmeyer in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 31 VVG Rn. 2 m.w.N.), der unter anderem in der gesetzlichen Informationsobliegenheit des Versicherungsnehmers seine Ausprägung findet und seine Grundlage darin hat, dass sich das Versicherungsverhältnis in besonderem Maß auf das wechselseitige Vertrauen beider Vertragspartner gründet (vgl. Senatsurteil vom 13. März 2013 – IV ZR 110/11 , VersR 2013, 609 Rn. 26).

60

(f) Schließlich greifen auch die in Teilen der Literatur erhobenen Bedenken nicht durch, wonach es dem Versicherungsnehmer nicht zuzumuten sei, am Entzug seiner Ansprüche und Rechtsposition mitzuwirken (so: Egger, VersR 2015, 1209, 1217). Der im Strafprozessrecht bedeutsame Grundsatz, dass niemand sich selbst bezichtigen muss, kann grundsätzlich nicht auf das Versicherungsvertragsrecht übertragen werden (vgl. Looschelders in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 31 Rn. 15). Der Versicherungsnehmer hat auf entsprechendes Verlangen des Versicherers ihm bekannte Tatsachen selbst dann wahrheitsgemäß und vollständig zu offenbaren, wenn das seinen eigenen Interessen widerstreitet, weil diese Tatsachen es dem Versicherer erst ermöglichen, seine Leistungspflicht sachgerecht zu prüfen und sich gegebenenfalls auf Leistungsfreiheit zu berufen ( Senatsurteile vom 13. Dezember 2006 – IV ZR 252/05 , VersR 2007, 389 Rn. 14; vom 16. November 2005 – IV ZR 307/04 , VersR 2006, 258 Rn. 13 m.w.N.).

61

b) Seiner nach all dem bestehenden Mitwirkungsobliegenheit hat der Kläger nicht genügt, weil er sich weigerte, der Beklagten die Beschaffung der zur Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen erforderlichen Gesundheitsdaten zu ermöglichen. Dies war nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Beklagte mehr verlangt hätte, als dem Kläger nach Maßgabe von § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 der AVB i.V.m. § 31 Abs. 1 VVG tatsächlich oblag.

62

aa) Entgegen der Auffassung der Revision ist es im Streitfall ausnahmsweise ohne Belang, dass die Einholung aller bei den Krankenkassen des Klägers gespeicherten Behandlungsdaten, die bis in den Juni 2002 zurückreichen, erheblichen Bedenken begegnet. Nachdem sich der Kläger ernsthaft und endgültig geweigert hatte, bei jedweder Erhebung von Gesundheitsdaten mitzuwirken, die nicht der Klärung des Versicherungsfalles, sondern der Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen dient, erschien ein gesondertes, enger gefasstes Mitwirkungsverlangen der Beklagten, die in der vorgerichtlichen Korrespondenz mit dem Kläger die Bereitschaft gezeigt hatte, über den Umfang der erforderlichen Schweigepflichtentbindung eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, letztlich aussichtslos. Insofern kommt es hier ausnahmsweise auch nicht darauf an, dass die Beklagte den Kläger nicht auf die Möglichkeit der schrittweisen Schweigepflichtentbindung hinwies (vgl. oben II 2 a bb (4) (c)), weil der Kläger durch sein Verhalten unzweifelhaft zum Ausdruck brachte, dass er eine Datenerhebung zur Aufklärung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen grundsätzlich zurückweise.

63

bb) Gleiches gilt in Bezug auf die Frage, ob die geforderte Mitwirkungshandlung dem Kläger im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht zumutbar war, weil die Beklagte ihm kein Verfahren ermöglicht hat, in dessen Rahmen er die begehrten Informationen selbst hätte beschaffen und an die Beklagte weiterleiten können (vgl. hierzu: BVerfG VersR 2006, 1669 Rn. 60 [BVerfG 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02] ). Auch insoweit war eine Aufforderung zur wahlweisen Mitwirkung des Klägers entbehrlich, weil er jegliche Datenerhebung zum Zwecke der Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen ernsthaft und endgültig abgelehnt hatte.

64

c) Anderes ergibt sich schließlich weder aus den „Verhaltensregeln für den Umgang mit personenbezogenen Daten durch die deutsche Versicherungswirtschaft“, die vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) aufgestellt wurden, noch infolge einer von der Beklagten während des Rechtsstreits in erster Instanz versandten „Kundeninformation zur Erhebung und Verwendung von Gesundheitsdaten sowie zur Schweigepflichtentbindung“.

65

Die Datenschutzregeln des GDV sind für den Streitfall bereits deshalb ohne Belang, weil sie erst im Revisionsverfahren vorgelegt worden sind und es daher an entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts zu ihrem Inhalt fehlt ( § 559 ZPO ). Bei der von der Beklagten versandten Kundeninformation handelt es sich nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts um eine allgemein gehaltene Information ohne Bezug zur konkreten Leistungsprüfung. Ein Verzicht der Beklagten auf die hier beabsichtigte Datenerhebung ergibt sich daraus nicht.

Vorschriften
§ 213 VVG, § 14 Abs. 1 VVG, § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG, § 19 Abs. 2 VVG, § 22 VVG, § 123 BGB, § 307 BGB, § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG, § 31 Abs. 1 VVG, § 34 VVG, § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG, § 31 VVG, Art. 12 GG, § 213 Abs. 1 VVG, § 559 ZPO

Quelle:IWW

Wer ist bei mehreren Witwen die Bezugsberechtigte bei einer Lebensversicherung?

Der BGH hat mit Datum vom 22.07.2015, Aktenzeichen IV ZR 437/14, entschieden, dass für die Bezugsberechtigung einer Lebens­ver­si­che­rung im Falle des Todes des Versicherungsnehmers, auch im Falle einer späteren Scheidung der Ehe und Wiederheirat des Versicherungsnehmers, regelmäßig eine Auslegung dahingehend vorzunehmen ist bei der Formulierung der Bezugsberechtigung „der verwitwete Ehegatte“, dass der mit dem Versicherungs­nehmer zum Zeitpunkt der Bezugsrechtserklärung verheiratete Ehegatte bezugsberechtigt sein soll.

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Erblasser war mit der Klägerin in zweiter Ehe verheiratet. Nach dem Tod des Ehemannes forderte sie den Versicherer auf, die Versicherungsleistung aus einer von ihrem Ehemann bei der Versicherung gehaltenen Lebensversicherung auszuzahlen. Der Erblasser war in erster Ehe mit der jetzigen Streithelferin der Versicherung verheiratet gewesen. Der Arbeitgeber des Erb­lassers hatte diesem als seinem Arbeitnehmer die Lebens­ver­si­che­rung übertragen. Die Versicherung übersandte dem Erblasser einen Vordruck, um einen Begünstigten zu benennen. Der Erb­lasser kreuzte an, dass der verwitwete Ehegatte bezugs­be­rech­tigt sein solle. Zu diesem Zeitpunkt war er noch mit der Ehefrau aus erster Ehe verheiratet. Später wurde diese Ehe geschieden. Danach heiratete der Erblasser die Ehefrau, die jetzige Klägerin. Auf Frage des Erblassers teilte der Versicherer ihm mit, dass seine verwitwete Ehegattin begünstigt sein werde. Die Be­gün­sti­gung gelte für den Todesfall.

Nach dem Tod des Erblassers zahlte der Versicherer die Ver­si­che­rungssumme an die Ehefrau aus erster Ehe aus. Diese wiederum lehnte es ab, den Betrag an die Ehefrau aus zweiter Ehe aus­zu­zahlen. Daraufhin erhob diese Klage vor dem Landgericht auf Zahlung, welcher stattgegeben wurde. Das OLG hat die Be­ru­fung zurückgewiesen. Die Revision führte nun dazu, dass die Klage abgewiesen wurde.

Der BGH führt in den Entscheidungsgründen hierzu aus, dass es sich bei der Bestimmung eines Bezugsberechtigten durch den Versicherungsnehmer um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, die erst Wirksamkeit erlangt, wenn sie der Versicherung zugeht. Die Formulierung „der verwitwete Ehegatte“ als Bezugsberechtigte im Todesfall muss ausgelegt werden. Diese Auslegung hat sich jedoch auf den Zeitpunkt zu beziehen, zu dem der Versicherungsnehmer seine Erklärung abgibt. Es wird hier also maßgeblich darauf abgestellt, dass der bei der Festlegung des Bezugsrechtes vorhandene und dem Versicherer gegenüber ausgedrückte Wille des Versiche­rungs­nehmers deutlich wird. Spätere hinzutretende Umstände sind unerheblich. Nachträgliche Überlegungen oder Absichts­er­klä­rungen des Versicherungsnehmers bleiben außer Betracht, wenn Sie dem Versicherer nicht mitgeteilt worden sind, so dass dieser nach objektivem Empfängerhorizont den Inhalt seiner etwaigen Bezugsrechtsänderung erkennen kann.

Der BGH führt ebenfalls aus, dass ein Versicherungsnehmer sich bei dem Wort „Ehegatte“ vorstellt, dass damit der Ehegatte gemeint ist, mit dem er zum Zeitpunkt der Erklärung verheiratet ist, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen. Dies ändert sich auch nicht durch das Wort „verwitwet“. Es ist auf das Verständnis des Versicherungsnehmers und Ehemannes zu dem Zeitpunkt abzustellen, als er die Erklärung abgab, welche sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont des Versicherers richtet. Danach ist aus Sicht des Versicherungsnehmers übli­cher­weise die zu diesem Zeitpunkt mit ihm verheiratete Frau im Versicherungsfall der verwitwete Ehegatte schon allein daraus, weil das Bezugsrecht nach der Regelung nur im Todesfall greifen soll. Auch die Scheidung ändert hieran nichts. Hinzu müssen besondere Umstände treten, zumal die Bezugsberechtigung nicht durch eine Scheidung der Ehe vor Eintritt des Versicherungsfalles bedingt ist. Der Begriff „Ehegatte“ impliziert nicht, dass das Bezugsrecht nur für den Fall eingeräumt werden soll, dass die Ehe zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles noch besteht. Hier ändert sich auch nichts dadurch, dass es sich um eine Direkt­versicherung der betrieblichen Altersvorsorge gehandelt hat. Der Erblasser war frei in seiner Entscheidung über das Bezugsrecht, nachdem die Versicherung auf ihn übergegangen war. Schluss­endlich weist der BGH noch darauf hin, dass eine Änderung des Bezugsrechtes nach § 13 Abs. 4 ALB 1986 eine schriftliche Anzeige an den Versicherer voraussetzt. Diese hat jedoch nicht stattgefunden.

Quintessenz aus diesem Urteil ist, dass die bezugsberechtigte Person einer Versicherung immer namentlich benannt werden sollte.

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Firmenwagenbesteuerung: Zuzahlungen des Arbeitnehmers mindern geldwerten Vorteil

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 11/17, Pressemitteilung vom 15.02.2017, Urteil vom 30.11.2016, Aktenzeichen VI R 2/15  , Urteil vom 30.11.2016, Aktenzeichen VI R 49/14

Nutzungsentgelte und andere Zuzahlungen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung eines be­trieb­lichen Kfz mindern den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit zwei Urteilen vom 30. November 2016 (VI R 2/15 und VI R 49/14) zur Kfz-Nutzung für private Fahrten und für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte entschieden. Der BFH hat dabei seine Rechtsprechung zugunsten der Steuerpflichtigen insoweit modifiziert, als nunmehr nicht nur ein pauschales Nutzungsentgelt, sondern auch einzelne (indi­vi­du­elle) Kosten des Arbeitnehmers –entgegen der Auffassung der Finanzbehörden– bei Anwendung der sog. 1 %-Regelung steu­er­lich zu berücksichtigen sind.

Im ersten Fall (Az: VI R 2/15) hatten sich der Kläger und sein Arbeitgeber die Kosten des Dienstwagens, den der Kläger auch für private Zwecke nutzen durfte, geteilt. Der Kläger trug sämtliche Kraftstoffkosten (ca. 5.600 €). Die übrigen PKW-Kosten übernahm der Arbeitgeber. Der geldwerte Vorteil aus der Kfz-Überlassung wurde nach der 1 %-Regelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) berechnet und betrug ca. 6.300 €. Der Kläger begehrte, die von ihm im Streitjahr getragenen Kraftstoffkosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte den Vorteil aus der Privatnutzung lediglich in Höhe von 700 € fest.

Der BFH hat die Vorinstanz im Ergebnis bestätigt. Leistet der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung eines Dienstwagens ein Nutzungsentgelt, mindert dies den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung. Ebenso ist es, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen der privaten Nutzung einzelne (individuelle) Kosten (hier: Kraftstoffkosten) des betrieblichen PKW trägt. Der Umstand, dass der geldwerte Vorteil aus der Kfz-Überlassung nach der 1 %-Regelung ermittelt worden ist, steht dem nach dem jetzt veröffentlichten Urteil nicht mehr entgegen. Der BFH war demgegenüber bislang davon ausgegangen, dass vom Arbeitnehmer selbst getragene Kfz-Kosten nicht steuerlich berücksichtigt werden können, wenn der Nutzungsvorteil pauschal nach der sog. 1 %-Regelung (anstelle der sog. Fahrtenbuchmethode) bemessen wird.

Allerdings kann der Wert des geldwerten Vorteils aus der Dienstwagenüberlassung durch Zuzahlungen des Arbeitnehmers lediglich bis zu einem Betrag von 0 € gemindert werden. Ein geldwerter Nachteil kann aus der Überlassung eines Dienst­wagens zur Privatnutzung nicht entstehen, und zwar auch dann nicht, wenn die Eigenleistungen des Arbeitnehmers den Wert der privaten Dienstwagennutzung und der Nutzung des Fahrzeugs zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte übersteigen. Ein verbleibender „Restbetrag“ bleibt daher ohne steuerliche Aus­wir­kungen. Er kann insbesondere nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden.

Deshalb hat der BFH die Revision des Klägers im zweiten Fall (Az: VI R 49/14) zurückgewiesen. Der Arbeitnehmer hatte für die Privatnutzung des Dienstwagens an seinen Arbeitgeber ein Nutzungsentgelt von ca. 6.000 € geleistet, das höher als der nach der Fahrtenbuchmethode ermittelte geldwerte Vorteil (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) von ca. 4.500 € war und in seiner Einkommensteuererklärung den überschießenden Betrag bei seinen Arbeitnehmereinkünften steuermindernd geltend gemacht. Dem sind Finanzamt und FG entgegengetreten. Der BFH hat dies bestätigt.

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Deutsches Erbrecht diskriminiert nichteheliche Kinder

Der europäische Gerichtshof für Menschen­rechte hat am 09.02.2017, Beschwerde-Nr. 29762/10, ent­schieden, dass nichteheliche Kinder, die vor 1949 geboren worden sind, durch das deutsche Erbrecht diskriminiert werden.

Die deutsche Stichtagsregelung im Gesetz über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder gibt nichtehelichen Kindern, die vor dem 01.07.1949 geboren worden sind und deren Vater vor dem 29.05.2009 verstorben ist, keine Rechte am Erbe des verstorbenen Vaters. Eine Erbberechtigung liegt nur im Erbfall der Mutter vor. Somit handelt es sich um eine teilweise Gleich­stellung von nichtehelichen und ehelichen Kindern.

Diese Regelung war aufgrund einer früheren Verurteilung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 28.05.2009, Beschwerde-Nr. 3545/04, eingeführt worden. Damals war ent­schieden worden, dass die erbrechtliche Benachteiligung von vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kindern für diskriminierend gehalten wurde. In der hier zugrundeliegenden Entscheidung führt der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte aus, dass die Beschränkung auf Erbfälle ab dem 29.05.2009 eine Ungleichbehandlung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern darstelle, die gegen das in Artikel 14 EMRK geregelte Diskriminierungsverbot unter Berücksichtigung des in Artikel 8 EMRK geregelten Rechts auf Achtung des Familienlebens verstoße.

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Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung

Die Beklagte ist Trägerin mehrerer Kranken­häuser und institutionell mit der römisch-katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger war bei ihr seit dem Jahr 2000 als Chefarzt beschäftigt

Den Dienstvertrag schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993). Nach deren Art. 5 Abs. 2 handelte es sich beim Abschluss einer nach dem Glaubens­ver­stän­dnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Die Weiterbeschäftigung war grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von einem leitenden Mitarbeiter begangen wurde (Art. 5 Abs. 3 GrO 1993)*. Zu diesen zählen nach kirchlichem Recht auch Chefärzte.

Der Kläger heiratete nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau im Jahr 2008 ein zweites Mal standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. März 2009 ordentlich zum 30. September 2009. Hiergegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Er hat gemeint, seine erneute Eheschließung vermöge die Kündigung nicht zu rechtfertigen. Bei evangelischen Chefärzten bleibe eine Wieder­heirat nach der GrO 1993 ohne arbeitsrechtliche Folgen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Das die Revision der Beklagten zurückweisende Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 – 2 AZR 543/10 – hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht durch Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom heutigen Tage entschieden, den Gerichtshof der Euro­päischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­behandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16) zu ersuchen. Für den Senat ist erheblich, ob die Kirchen nach dem Unionsrecht bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden dürfen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.**

* Art. 5 der GrO wurde mit Wirkung zum 1. August 2015 neu gefasst.
** Der genaue Wortlaut der Fragen kann unter www.bundesarbeitsgericht.de unter dem Menüpunkt „Sitzungsergebnisse“ eingesehen werden.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 39/16 vom 28.07.2016
Beschluss vom 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 (A) –

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Erbschaft als Betriebseinnahme

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 8/17, Pressemitteilung vom 07.02.2017, Urteil vom 6.12.2016,  Aktenzeichen I R 50/16

Erhält eine GmbH eine Erbschaft, ist der Erwerb für die GmbH nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Dezember 2016 I R 50/16 auch dann körper­schaft­steuerpflichtig, wenn der Erbanfall zugleich der Erbschaftsteuer unterliegt.

Im Streitfall betrieb eine GmbH ein Seniorenpflegeheim. Sie wurde mit notariell beurkundetem Testament von einem ledigen Heimbewohner mit der Auflage zu dessen Alleinerbin eingesetzt, das Erbvermögen ausschließlich für Zwecke des Heimbetriebs zu verwenden. Nach dem Versterben des Heimbewohners setzte das Finanzamt zum einen Erbschaftsteuer in Höhe von 300.510 € fest. Zum anderen erhöhte es den von der GmbH erklärten Gewinn um das ihr nach Abzug der Testaments­voll­streckungs­kosten verbliebene Erbvermögen von 1.041.659,65 € und setzte dementsprechend Körperschaftsteuer fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Der BFH bestätigte die Klageabweisung. Nach seinem Urteil verfügt die GmbH als Kapitalgesellschaft ertragsteuerrechtlich über keine außerbetriebliche Sphäre. Der Bereich ihrer ge­werb­lichen Gewinnerzielung umfasst sämtliche Einkünfte und damit auch Vermögensmehrungen, die nicht unter die Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes (EStG) fallen. Dies gilt auch für Vermögenszugänge aufgrund unentgeltlicher Zuwendungen einschließlich eines Erbanfalls.

Nach dem Urteil des BFH liegt keine verfassungsrechtlich un­zu­lässige Kumulation von Körperschaftsteuer und Erbschaft­steuer vor. Das Verfassungsrecht gebietet nicht, alle Steuern auf­ein­ander abzustimmen und Lücken sowie eine mehrfache Be­steue­rung des nämlichen Sachverhalts zu vermeiden. So ist es bei­spielsweise nicht zu beanstanden, dass der nämliche Gewinn sowohl der Einkommen- oder Körperschaftsteuer sowie zu­sätz­lich der Gewerbesteuer unterworfen wird. Dies gilt auch für eine Kumulation von Ertrag- und Erbschaftsteuer, wie die Mil­de­rungs­regelung des § 35b EStG verdeutlicht.

Der BFH verneint auch einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) im Hinblick auf eine unterschiedliche Behandlung von Erbanfällen bei natürlichen und juristischen Personen. Denn Art. 3 Abs. 1 GG enthält kein allgemeines Verfassungsgebot einer rechtsformneutralen Besteuerung. Es obliegt dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er die progressive Einkommensteuerbelastung gemäß § 32a EStG mit Rücksicht auf die Erbschaftsteuerbelastung der Einkünfte abfedert (§ 35b EStG) und ob sowie in welcher Form er diese Entlastung auf den linearen Körperschaftsteuertarif gemäß § 23 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (im Streitjahr: 15 %) erstreckt.

Schließlich verneint der BFH auch einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Im Streitfall kam dies bereits deshalb nicht in Betracht, da die Klägerin von der Gewerbesteuer befreit (§ 3 Nr. 20 des Gewerbesteuergesetzes) war und der Erbanfall deshalb insgesamt mit Erbschaft- und Körper­schaft­steuer in Höhe von lediglich 45 % belastet war.

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Kostümparty eines gemeinnützigen Karnevalsvereins kein Zweckbetrieb

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 9/17, Pressemitteilung vom 07.02.2017, Urteil vom 30.11.2016, Aktenzeichen V R 53/15

Ein von einem gemeinnützigen Kar­ne­vals­verein in der Karnevalswoche durch­ge­führ­tes Kostümfest ist kein Zweckbetrieb. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. November 2016 V R 53/15 un­ter­liegen die Einkünfte aus der Veranstaltung daher der Kör­per­schaftsteuer und die Umsätze dem Umsatz­steuer­regelsatz.

Kläger war im Streitfall ein eingetragener Verein. Er war mit seinem Satzungszweck „Förderung des Karnevals in seinem historischen Sinne“ als gemeinnützig gemäß § 52 Abs. 2 Nr. 23 der Abgabenordnung (AO) anerkannt. Neben klassischen Karnevalssitzungen veranstaltete der Kläger seit vielen Jahren am Karnevalssamstag die Kostümparty „Nacht der Nächte“. Das Finanzamt (FA) ging davon aus, dass hierin kein Zweckbetrieb gemäß § 65 AO zu sehen sei und unterwarf daher die daraus erzielten Einkünfte der Körperschaftsteuer und die Umsätze dem Regelsteuersatz. Während die Klage zum Finanzgericht (FG) Erfolg hatte, hob der BFH auf die Revision des FA das Urteil des FG auf und wies die Klage ab. Nach dem Urteil des BFH fehlen alle Voraussetzungen für die Annahme eines Zweckbetriebs.

Die „Nacht der Nächte“ habe in ihrer Gesamtrichtung nicht dazu gedient, die satzungsmäßigen Zwecke des Klägers zu ver­wirk­lichen (§ 65 Nr. 1 AO). Dies setze voraus, dass der der Brauch­tums­pflege gewidmete Geschäftsbetrieb der Kulturförderung, nicht aber zur Förderung kommerzieller Ziele diene. Entgegen der Auffassung des FG umfasse das traditionelle Brauchtum in Gestalt des Karnevals nicht jede von einem gemeinnützigen Karnevalsverein in der Karnevalswoche durchgeführte gesellige Veranstaltung, die durch Kostümierung der Teilnehmer, musi­ka­li­sche und tänzerische Darbietungen sowie ausgelassenes Feiern geprägt werde. Erforderlich sei vielmehr, dass die Ver­an­stal­tung selbst durch Elemente des Karnevals in seiner traditionellen Form gekennzeichnet werde. Dies treffe auf die Veranstaltung im Streitfall nicht zu.

Zudem habe es sich bei der „Nacht der Nächte“ nicht um einen für die Vereinszwecke i.S. des § 65 Nr. 2 AO „unentbehrlichen Hilfsbetrieb“ gehandelt. Es sei nicht ersichtlich, weshalb eine Kostümparty, bei der Darbietungen, die nicht im engeren Sinne karnevalistischer Art sind, einen wesentlichen Anteil ausmachen, das unentbehrliche und einzige Mittel zur unmittelbaren För­derung des Karnevals in seiner historischen Form sein soll. Schließlich scheitere die Annahme eines Zweckbetriebs auch an der Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO. Für den BFH war insoweit ausschlaggebend, dass eine Kostümparty während der Karnevalszeit auch von anderen Unternehmern veranstaltet werden kann. Zudem habe das FG selbst festgestellt, dass der Kläger in Wettbewerb mit nicht steuerbegünstigten kommer­ziellen Anbietern vergleichbarer Veranstaltungen getreten sei.

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