Kategorien-Archiv Arbeitsrecht

Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit – Verschulden bei langjähriger Alkoholabhängigkeit

Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG*, wenn ein Arbeit­nehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der alkohol­abhängige Herr L., der Mitglied der klagenden Krankenkasse ist, war seit dem Jahr 2007 bis zum 30. Dezember 2011 Arbeit­nehmer der beklagten Arbeitgeberin. Herr L. wurde am 23. Novem­ber 2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Die Klägerin leistete an Herrn L. für die Zeit vom 29. November bis zum 30. Dezember 2011 Krankengeld iHv. 1.303,36 Euro. Die Klägerin macht in dieser Höhe Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) gegenüber der Beklagen geltend. Sie meint, ein Entgelt­fort­zah­lungs­anspruch gegen die Beklagte habe bestanden, da es an einem Verschulden des Herrn L. für seinen Alkoholkonsum am 23. November 2011 fehle. Die Beklagte ist der Ansicht, ein Ver­schulden sei bei einem Rückfall nach mehrfachem sta­tio­nä­rem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage statt­ge­ge­ben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Bei einer Al­ko­hol­ab­hän­gig­keit handelt es sich um eine Krankheit. Wird ein Arbeit­neh­mer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Er­kennt­nisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Ent­gelt­fort­zah­lungs­rechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Al­ko­hol­sucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die un­ter­schied­li­chen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabili­ta­tions­maß­nahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sach­ver­stän­di­gen­gut­achten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lässt sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers. Das im kon­kre­ten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten hat ein Ver­schulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden „Suchtdruck“ ausgeschlossen.

*§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG lautet: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 14/15 vom 18.03.2015
Urteil vom 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 –

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Wirksamkeit einer Klageverzichtsklausel in einem Aufhebungsvertrag

Ein Klageverzicht in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag unterliegt als Nebenabrede einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Wird ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag erklärt, der zur Vermeidung einer vom Ar­beit­geber angedrohten außer­ordent­lichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt dieser Ver­zicht den Arbeitnehmer un­an­ge­mes­sen iSv. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Er­wä­gung ziehen durfte.

Der Kläger war seit 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Am 28. Dezember 2012 schlossen die Parteien einen schriftlichen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung mit dem 28. Dezember 2012 endete. Zuvor hatte die Beklagte dem Kläger mit einer außerordentlichen Kün­di­gung und Strafanzeige gedroht, weil er aus ihrem Lager­bestand zwei Fertigsuppen ohne Bezahlung entnommen und verzehrt habe. Der Vertrag enthielt ua. einen Widerrufs- und Klageverzicht. Der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findende Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2008 beinhaltet in § 11 Abs. 10 bei Auf­he­bungs­ver­trä­gen ein Widerrufsrecht innerhalb von drei Werktagen, auf das allerdings schriftlich verzichtet werden kann. Noch am 28. De­zem­ber 2012 focht der Kläger den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an und begehrt im vorliegenden Rechts­streit die Feststellung, dass das Ar­beits­verhältnis fort­besteht. Die Androhung einer außerordentlichen Kündigung sei angesichts des langjährigen, unbelasteten Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht vertretbar gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landes­ar­beits­gericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Sechste Senat des Bundes­arbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurück­verwiesen. Auf die Wirksamkeit des Verzichts auf die tariflich eröffnete Widerrufsmöglichkeit kam es nicht an, weil der Kläger entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts innerhalb der Widerrufsfrist keinen Widerruf iSv. § 11 Abs. 10 MTV erklärt hat. Jedoch nimmt der im Aufhebungsvertrag vorgesehene Klage­verzicht dem Kläger im Ergebnis die Möglichkeit, den Vertrag rechtlich durchsetzbar anzufechten. Das ist mit dem gesetzlichen Leitbild nur zu vereinbaren, wenn die Drohung mit der außer­ordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich war. Im Ergebnis teilt damit die Klageverzichtsklausel das rechtliche Schicksal des Aufhebungsvertrags. Das Landesarbeitsgericht muss noch auf­klären, ob eine widerrechtliche Drohung vorlag.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 11/15 vom 18.06.2015
Beschluss vom 12. März 2015 – 6 AZR 82/14 –

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Veröffentlichung von Videoaufnahmen eines Arbeitnehmers – Einwilligungserfordernis

Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse von Arbeit­nehmern nur mit ihrer Einwilligung veröffentlicht werden. Diese muss schriftlich erfolgen. Eine ohne Einschränkung erteilte Einwilligung des Arbeitnehmers erlischt nicht automatisch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Sie kann aber widerrufen werden, wenn dafür ein plausibler Grund angegeben wird.

Der Kläger war im Sommer 2007 in die Dienste der Beklagten getreten, die ein Unternehmen für Klima- und Kältetechnik mit etwa 30 Arbeitnehmern betreibt. Im Herbst 2008 erklärte der Kläger schriftlich seine Einwilligung, dass die Beklagte von ihm als Teil der Belegschaft Filmaufnahmen macht und diese für ihre Öffentlichkeitsarbeit verwendet und ausstrahlt. Danach ließ die Beklagte einen Werbefilm herstellen, in dem zweimal die Person des Klägers erkennbar abgebildet wird. Das Video konnte von der Internet-Homepage der Beklagten aus angesteuert und ein­ge­se­hen werden. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete im September 2011. Im November 2011 erklärte der Kläger den Widerruf seiner „möglicherweise“ erteilten Einwilligung und forderte die Beklagte auf, das Video binnen 10 Tagen aus dem Netz zu nehmen. Dem folgte die Beklagte – unter Vorbehalt – Ende Januar 2012. Der Kläger verlangt die Unterlassung wei­te­rer Veröffentlichung und Schmerzensgeld.

Die Klage war vor dem Arbeitsgericht teilweise, vor dem Landes­arbeitsgericht zur Gänze erfolglos geblieben. Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat keinen Erfolg. Unterstellt, die Abbildungen vom Kläger in dem Video bedurften seiner Ein­willigung nach § 22 KUG, so hatte die Beklagte diese erhalten. Auch das Erfordernis einer schriftlichen Ein­willigung, das sich aus dem Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbst­be­stim­mung ergibt, war im Falle des Klägers erfüllt. Seine ohne Ein­schränkungen gegebene schriftliche Zustimmung erlosch nicht automatisch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Ein späterer Widerruf war grundsätzlich möglich, jedoch hat der Kläger für diese gegenläufige Ausübung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung keinen plausiblen Grund angegeben. Er kann daher eine weitere Veröffentlichung nicht untersagen lassen und würde durch diese in seinem Persönlichkeitsrecht nicht verletzt werden.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 8/15 vom 19.02.2015
Urteil vom 10. Februar 2015 – 8 AZR 1011/13 –

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Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung

 Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich unter Wah­rung der Kündigungsfrist und erklärt er im Kün­di­gungs­schreiben, dass der Arbeitnehmer für den Fall der Un­wirk­samkeit der außerordentlichen Kündigung unter An­rech­nung der Urlaubsansprüche von der Ver­pflichtung zur Arbeitsleistung frei­gestellt wird, wird der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub nicht erfüllt, wenn die außerordentliche Kün­di­gung unwirksam ist.

Nach § 1 BUrlG setzt die Erfüllung des Anspruchs auf Er­ho­lungs­urlaub neben der Freistellung von der Verpflichtung zur Ar­beits­leistung auch die Zahlung der Vergütung voraus. Deshalb ge­währt ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 1987 be­schäftigt. Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 kündigte die Be­klag­te das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung und hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2011. Im Kündigungs­schreiben heißt es: „Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstunden­ansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeits­lei­stung freigestellt.“ Im Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sie die wechselseitigen An­sprüche regelten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, mit der der Kläger die Abgeltung von 15,5 Urlaubstagen verlangt. Das Landes­arbeits­gericht hat der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zwar hat die Beklagte mit der Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben den Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub mangels einer vor­behaltlosen Zusage von Urlaubsentgelt nicht erfüllt. Die Klage war jedoch abzuweisen, weil die Parteien in dem vor dem Arbeits­gericht geschlossenen Vergleich ihre Ansprüche ab­schließend regelten.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 2/15 vom 10.02.2015
Urteil vom 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13 –

 

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Leistungsbeurteilung im Zeugnis

Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis unter Verwendung der Zufrieden­heits­skala, die ihm übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit“ erfüllt zu haben, erteilt er in Anlehnung an das Schulnotensystem die Note „befriedigend“. Beansprucht der Arbeitnehmer eine bessere Schlussbeurteilung, muss er im Zeugnisrechtsstreit entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt grund­sätzlich auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden.

Die Klägerin war vom 1. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2011 in der Zahnarztpraxis der Beklagten im Empfangsbereich und als Bürofachkraft beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörten ua. die Praxisorganisation, Betreuung der Patienten, Terminvergabe, Führung und Verwaltung der Patientenkartei, Ausfertigung von Rechnungen und Aufstellung der Dienst- und Urlaubspläne. Darüber hinaus half die Klägerin bei der Erstellung des Praxis­qualitätsmanagements. Die Beklagte erteilte ihr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitszeugnis. Die Parteien streiten noch darüber, ob die Leistungen der Klägerin mit „zur vollen Zufriedenheit“ oder mit „stets zur vollen Zu­frie­denheit“ zu bewerten sind. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und angenommen, die Beklagte habe nicht dar­gelegt, dass die von der Klägerin beanspruchte Beurteilung nicht zutreffend sei.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die vom Landesarbeitsgericht zur Ermittlung einer durchschnittlichen Bewertung herangezogenen Studien, nach denen fast 90 % der untersuchten Zeugnisse die Schlussnoten „gut“ oder „sehr gut“ aufweisen sollen, führen nicht zu einer anderen Verteilung der Darlegungs- und Be­weis­last. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es für die Verteilung der Darlegungs- und Beweis­last nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an. Ansatz­punkt ist die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zu­frie­den­heitsskala. Begehrt der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich der Skala, muss er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist. Im Übrigen lassen sich den Studien Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass neun von zehn Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen erbringen, nicht entnehmen. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO richtet sich auf ein inhaltlich „wahres“ Zeugnis. Das umfasst auch die Schlussnote. Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.

Der Neunte Senat hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird als Tatsacheninstanz zu prüfen haben, ob die von der Klägerin vorgetragenen Leistungen eine Beurteilung im oberen Bereich der Zufriedenheitsskala recht­fertigen und ob die Beklagte hiergegen beachtliche Einwände vorbringt.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 61/14 vom 18.11.2014
Urteil vom 18. November 2014 – 9 AZR 584/13 –

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Islamisches Kopftuch und Annahmeverzug

Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zu­ge­hörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religions­zu­ge­hö­rig­keit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu neutralem Ver­halten nicht vereinbar.

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

Die Klägerin, die dem islamischen Glauben angehört, ist seit 1996 bei der beklagten Krankenanstalt – zuletzt als Kranken­schwester – angestellt. Arbeitsvertraglich sind die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von West­falen geltenden Fassung (BAT-KF) sowie die sonstigen für die Dienstverhältnisse der Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen beschlossenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen in Bezug genommen. Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 27. März 2006 bis zum 28. Januar 2009 in Elternzeit. Danach war sie arbeitsunfähig krank. Im April 2010 bot die Klägerin schriftlich eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung an. Dabei teilte sie der Beklagten mit, dass sie das von ihr aus religiösen Gründen getragene Kopftuch auch während der Arbeitszeit tragen wolle. Die Beklagte nahm dieses Angebot nicht an und zahlte keine Arbeitsvergütung. Mit der Zahlungsklage fordert die Klägerin Arbeitsentgelt wegen An­nahmeverzugs für die Zeit vom 23. August 2010 bis zum 31. Januar 2011.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage ab­ge­wie­sen. Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Be­ru­fungs­urteil auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Zwar kann einer Arbeitnehmerin in einer kirchlichen Einrichtung regelmäßig das Tragen eines islamischen Kopftuchs untersagt werden, es ist aber nicht geklärt, ob die Einrichtung der Beklagten der Evan­ge­li­schen Kirche institutionell zugeordnet ist. Zudem ist offen, ob die Klägerin im Streitzeitraum leistungsfähig war. Das Angebot, die Tätigkeit auf der Grundlage eines vom behandelnden Arzt er­stell­ten Wiedereingliederungsplans aufzunehmen, indiziert die feh­lende Leistungsfähigkeit der Klägerin.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 48/14 vom 24.09.2014
Urteil vom 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 –

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Keine Altersdiskriminierung durch die Staffelung der Kündigungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB

Die vom Arbeitgeber einzuhaltende gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB beträgt vier Wochen zum Fünfzehnten oder Ende eines Kalendermonats und verlängert sich gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB bei längerer Betriebszugehörigkeit in mehreren Stufen. Diese Staffelung der Kündigungsfristen verletzt das Verbot der mittel­baren Alters­diskriminierung nicht.

Die Beklagte betreibt eine Golfsportanlage und beschäftigt nicht mehr als zehn Arbeitnehmer. Das Kündigungsschutzgesetz fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien darum keine Anwendung. Die 1983 geborene Klägerin war seit Juli 2008 als Aushilfe bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Ein­hal­tung der Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB zum 31. Januar 2012. Die Klägerin zieht die prinzipielle Wirksamkeit dieser Kündigung nicht in Zweifel. Sie ist jedoch der Auffassung, die Staffelung der Kündigungsfristen unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit begünstige ältere Arbeitnehmer, weil langjährig beschäftigte Arbeitnehmer naturgemäß älter seien. Jüngere Arbeitnehmer wie sie würden dagegen benachteiligt. Darin liege eine von der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) untersagte mittelbare Dis­kri­mi­nie­rung wegen des Alters. Dies habe zur Folge, dass die in § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB vorgesehene längst mögliche Kün­di­gungs­frist von sieben Monaten zum Ende eines Kalender­monats für alle Arbeitnehmer unabhängig von der tatsächlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit gelten müsse. Darum habe das Arbeitsverhältnis erst mit dem 31. Juli 2012 geendet.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundes­arbeits­gerichts keinen Erfolg. Zwar führt die Differenzierung der Kündigungsfrist nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu einer mittelbaren Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Die Verlängerung der Kündigungsfristen durch § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verfolgt jedoch das rechtmäßige Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern durch längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kün­di­gungs­schutz zu gewähren. Zur Erreichung dieses Ziels ist die Verlängerung auch in ihrer konkreten Staffelung angemessen und erforderlich iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i) RL 2000/78/ EG. Darum liegt keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters vor.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 44/14 vom 18.09.2014
Urteil vom 18. September 2014 – 6 AZR 636/13 –

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Benachteiligung wegen des Geschlechts bei einer Bewerbung

Bei einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts kann die besondere Benachteiligung des einen Geschlechts durch ein dem Anschein nach neutrales Kriterium mit einem Verweis auf statistische Erhebungen dargelegt werden. Die herangezogene Statistik muss aussagekräftig, dh. für die umstrittene Fallkonstellation gültig sein.

18Die Beklagte betreibt einen lokalen Radiosender und suchte im Frühjahr 2012 für eine Vollzeitstelle eine Buchhaltungskraft mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung. Die Klägerin be­warb sich auf diese Stelle im April 2012, im beigefügten Le­bens­lauf wies sie auf ihre Ausbildungen als Verwaltungsfachfrau und zur Bürokauffrau hin. Außerdem gab sie dort an „Familienstand: verheiratet, ein Kind“. Anfang Mai 2012 erhielt die Klägerin eine Absage, auf dem zurückgesandten Lebenslauf war der Angabe zum Familienstand hinzugefügt „7 Jahre alt!“, dies und die von der Klägerin stammende Angabe „ein Kind“ war unterstrichen. Die Klägerin sieht sich als Mutter eines schulpflichtigen Kindes, die eine Vollzeitbeschäftigung anstrebt, benachteiligt. Die Notiz der Beklagten auf ihrem Lebenslauf spreche dafür, dass die Beklagte Vollzeittätigkeit und die Betreuung eines siebenjährigen Kindes nicht oder nur schlecht für vereinbar halte. Die Beklagte hat eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts abgelehnt. Sie hat darauf verwiesen, eine junge verheiratete Frau eingestellt zu haben, die über eine höhere Qualifikation verfüge.

Die Revision der Beklagten, die vom Landesarbeitsgericht wegen mittelbarer Benachteiligung der Klägerin zu einer Entschädigung iHv. 3.000,00 € verurteilt worden war, hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die vom Berufungs­gericht herangezogene Statistik (Mikrozensus) für den Anteil von Ehefrauen mit Kind an der Gesamtzahl der Vollbeschäftigten lässt keine Aussagen für den Fall der Klägerin zu. Das Landes­arbeitsgericht als Tatsachengericht wird aber zu prüfen haben, ob in dem Verhalten der Beklagten nicht eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin als Frau zu sehen ist, was eine Auslegung des Vermerks auf dem zurückgesandten Lebenslauf erfordert.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 46/14 vom 18.09.2014
Urteil vom 18. September 2014 – 8 AZR 753/13 –

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Gesetzlicher Urlaubsanspruch nach unbezahltem Sonderurlaub

Nach § 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr An­spruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Diese Vorschrift ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BUrlG un­ab­dingbar. Die Entstehung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs erfordert nur den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und die einmalige Erfüllung der Wartezeit. Das BUrlG bindet den Ur­laubs­anspruch damit weder an die Erfüllung der Hauptpflichten aus dem Arbeits­verhältnis noch ordnet es die Kürzung des Ur­laubs­anspruchs für den Fall des Ruhens des Arbeits­verhältnisses an.

Allerdings sehen spezialgesetzliche Regelungen für den Arbeit­geber die Möglichkeit der Kürzung des Urlaubs bei Elternzeit (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG) oder Wehrdienst (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ArbPlSchG) vor. Eine Kürzungsregelung beim Ruhen des Ar­beits­verhältnisses während einer Pflegezeit (§§ 3, 4 PflegeZG) findet sich dagegen nicht. Kommt es zum Ruhen des Arbeits­ver­hält­nis­ses aufgrund einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, hindert dies grundsätzlich weder das Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs noch ist der Arbeitgeber zur Kürzung des gesetzlichen Urlaubs berechtigt.

Die Klägerin war bei der beklagten Universitätsklinik seit August 2002 als Krankenschwester beschäftigt. Vom 1. Januar 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30. Sep­tember 2011 hatte sie unbezahlten Sonderurlaub und verlangte danach erfolglos von der Beklagten die Abgeltung von 15 Ur­laubs­tagen aus dem Jahr 2011. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der von den Parteien vereinbarte Sonderurlaub stand dem Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs zu Beginn des Kalenderjahres 2011 nicht entgegen. Er berechtigte die Beklagte auch nicht zur Kürzung des gesetzlichen Urlaubs.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 22/14 vom 06.05.2014
Urteil vom 6. Mai 2014 – 9 AZR 678/12 –

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Anspruch einer Krankenschwester, nicht für Nachtschichten eingeteilt zu werden

Kann eine Krankenschwester aus gesund­heitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeits­vertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Not­wen­dig­keiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechsel­schicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebs­vereinbarung ist eine gleichmäßige Planung ua. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.

Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflege­direktor die Klägerin am 12. Juni 2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Aus­nahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an. Bis zur Ent­schei­dung des Arbeitsgerichts im November 2012 wurde sie nicht beschäftigt. Sie erhielt zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld.

Die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage war beim Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts, ebenso wie in den Vorinstanzen, erfolgreich. Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Die Vergütung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie die Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Beklagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 16/14 vom 09.04.2014
Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13 –

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