Kategorien-Archiv Arbeitsrecht

Berücksichtigung der Konfession bei der Einstellung?

Der Beklagte ist ein Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für ihn gilt die Richtlinie des Rates der EKD nach Art. 9 Buchst. b Grundordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes vom 1. Juli 2005. Im November 2012 schrieb der Beklagte eine befristete Referentenstelle für das Projekt „Parallelbericht­erstat­tung zur UN-Antirassismuskonvention“ aus. Die Aus­schrei­bung enthielt ua. folgende Angabe: „Die Mitgliedschaft in einer evan­ge­li­schen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“

Die konfessionslose Klägerin, deren Bewerbung nach einer ersten Bewerbungssichtung des Beklagten noch im Auswahlverfahren verblieben war, wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein­ge­la­den. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von dem Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. mindestens 9.788,65 Euro. Sie ist der Auffassung, sie habe die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht erhalten. Dies sei jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht mit dem Diskrimi­nie­rungs­verbot des AGG vereinbar.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren nach Zahlung einer ange­mes­se­nen Entschädigung weiter.

Im Hinblick auf das grundsätzliche Erfordernis einer unions­rechts­konformen Auslegung des AGG hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unions­rechts vorgelegt:

1. Ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber, wie der Beklagte im vorliegenden Ver­fah­ren, bzw. die Kirche für ihn – verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung an­ge­sichts seines/ihres Ethos darstellt?

2. Sofern die erste Frage verneint wird:
Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts wie hier § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religions­gemein­schaf­ten und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zu­läs­sig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbst­verständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche An­for­de­rung darstellt, in einem Rechtsstreit wie hier unangewendet bleiben?

3. Sofern die erste Frage verneint wird, zudem:
Welche Anforderungen sind an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG zu stellen?

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 15/16 vom 17.03.2016
Beschluss vom 17. März 2016 – 8 AZR 501/14 (A) -21

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Ruhen des Arbeitsverhältnisses bei Bezug einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit

Nach § 33 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) ruht das Arbeitsverhältnis ab dem Monat nach Zustellung des Rentenbescheids, wenn dem Beschäftigten Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit bewilligt wird. Dabei kommt es nicht auf die Höhe der Rente an. Liegt nur eine teilweise Erwerbs­minderung vor, d.h. ist der Beschäftigte unter den üblichen Bedin­gungen des allgemeinen Arbeitsmarkts noch in der Lage, zwischen drei und sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, kann der Be­schäftigte nach § 33 Abs. 3 TVöD zur Vermeidung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses seine Weiterbeschäftigung beantragen. Dies muss schriftlich und innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids erfolgen.

Der Arbeitgeber kann den Antrag ablehnen, wenn dringende betriebliche Gründe der Weiterbeschäftigung entgegenstehen. § 33 TVöD kann aber die gesetzlich garantierten Rechte schwer­behinderter Menschen nicht verkürzen. Dieser Personenkreis kann darum unabhängig von der in § 33 TVöD angeordneten Form und Frist gem. § 81 Abs. 4, Abs. 5 Satz 3 SGB IX eine be­hinderungsgerechte Beschäftigung verlangen. Darüber hinaus kann jeder Beschäftigte auch während des Ruhens des Arbeits­verhältnisses nach § 241 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber die Prü­fung der Möglichkeit der Beschäftigung unter Berücksichtigung seines verbliebenen Leistungsvermögens verlangen. Damit schränkt § 33 TVöD die Möglichkeit des Beschäftigten, der eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht, durch die Fortsetzung des aktiven Arbeitsverhältnisses sein Einkommen zu sichern, nicht so stark ein, dass die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit verletzt ist.

Die Klägerin ist als Schulhausmeisterin bei der beklagten Stadt beschäftigt. Sie war zuletzt in Teilzeit bei einer täglichen Ar­beits­zeit von 4,7 Stunden gegen ein durchschnittliches monat­liches Bruttoentgelt von 1.600,00 Euro tätig. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 11. Juni 2013 eine Rente wegen teilweiser Er­werbsminderung von 364,24 Euro monatlich bewilligt, die bis zum 30. Juni 2015 befristet war. Die Klägerin stellte innerhalb der Frist des § 33 Abs. 3 TVöD keinen schriftlichen Antrag auf Weiterbeschäftigung. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1. Juli 2013 bis 30. Juni 2015 nicht geruht habe.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeits­gerichts keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen fristgerechten Antrag nach § 33 Abs. 3 TVöD gestellt. Eine Weiterbeschäftigung als schwerbehinderter Mensch bzw. nach § 241 Abs. 2 BGB, die das Ruhen des Arbeitsverhältnisses beendet hätte, hat die Klägerin nicht verlangt.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 13/16 vom 17.03.2016
Urteil vom 17. März 2016 – 6 AZR 201/15 –

t.

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Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist durch Klageerhebung

Gilt in einem Arbeitsverhältnis eine tarifliche Aus­schlussfrist, innerhalb derer ein Anspruch ge­gen­über dem Vertragspartner schriftlich geltend gemacht werden muss, reicht es zur Fristwahrung nicht aus, dass das Anspruchsschreiben vor Ablauf der Frist bei Gericht ein­ge­gangen ist und dem Anspruchs­gegner ggf. später zugestellt wird. Entscheidend ist der Zugang beim Anspruchsgegner selbst. § 167 ZPO findet für die Wahrung einer ein­fachen tariflichen Aus­schluss­frist bei der außergerichtlichen Geltend­machung keine Anwen­dung.

Der Kläger begehrt von seinem Arbeitgeber eine Entgeltdifferenz für den Monat Juni 2013. Den Anspruch hat er erstmals mit seiner bei Gericht am 18. Dezember 2013 eingegangenen und dem beklagten Arbeitgeber am 7. Januar 2014 zugestellten Klage geltend gemacht. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden § 37 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) verfallen Ansprüche aus dem Arbeits­verhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten – im konkreten Fall für die klägerische Forderung: bis zum 30. Dezember 2013 – schriftlich geltend gemacht wer­den. Der Kläger hat gemeint, zur Wahrung dieser Aus­schluss­frist habe der fristgerechte Eingang der Klageschrift bei Gericht aus­gereicht. § 167 der Zivilprozessordnung (ZPO), der dies jeden­falls für bestimmte Maßnahmen gegen den Ablauf von Ver­jäh­rungs­fristen ausdrücklich regele, sei auch auf die Einhaltung tariflicher Verfallfristen anzuwenden. Der beklagte Arbeitgeber hat dem entgegengehalten, es komme bei außergerichtlichen Fristen allein auf den tatsächlichen Zugang des Geltend­machungs­schreibens an. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Die hiergegen gerichtete Revision des beklagten Landes hatte Erfolg. Der Vierte Senat hat entschieden, dass § 167 ZPO auf tarifliche Ausschlussfristen, die durch eine bloße schriftliche Geltendmachung gewahrt werden können, nicht anwendbar ist. Er folgt damit der langjährigen Rechtsprechung des Bundes­arbeitsgerichts, nach der der Gläubiger einer Forderung sich den Zeitverlust durch die – in der Sache nicht zwingend erforderliche – Inanspruchnahme des Gerichts selbst zuzurechnen hat. Die Zustellung der Klageschrift am 7. Januar 2014 war danach verspätet und die Klage abzuweisen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 12/16 vom 16.03.2016
Urteil vom 16. März 2016 – 4 AZR 421/15 –

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Beschränkung der Lizenz älterer Piloten wirksam?

Der Kläger war seit 1986 bei der Beklagten als Flugkapitän beschäftigt und daneben auch in der Ausbildung anderer Piloten eingesetzt. Er vollendete im Oktober 2013 das 65. Lebensjahr und schied mit Erreichen der Regelaltersgrenze zum 31. Dezember 2013 aus. In den Monaten November und De­zember 2013 beschäftigte die Beklagte den Kläger nicht. Sie hat sich darauf berufen, der Kläger dürfe nach Vollendung des 65. Lebens­jahres nicht mehr im gewerblichen Luftverkehr tätig sein. Der Kläger fordert für diese beiden Monate Vergütung.

Die Vorinstanzen haben der Klage überwiegend stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, während der Kläger die Stattgabe seines Klageantrags in voller Höhe erstrebt. Für den Senat ist es erheblich, ob FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 vom 3. November 2011, wonach ein Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig sein darf, mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) vereinbar ist. Deshalb hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Gültigkeit und Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

  1. Ist FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in Art. 21 Abs. 1 GRC vereinbar?
  2. Ist FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 mit Art. 15 Abs. 1 GRC, wonach jede Person das Recht hat zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, vereinbar?
  3. Falls die erste und zweite Frage bejaht werden:
    1. Fallen unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ im Sinne der FCL.065 b bzw. der Bestimmung dieses Begriffs in FCL.010 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 auch sog. Leerflüge im Gewerbebetrieb eines Luft­ver­kehrs­unternehmens, bei denen weder Fluggäste, noch Fracht oder Post befördert werden?
    2. Fallen unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ im Sinne der FCL.065 b bzw. der Bestimmung dieses Begriffs in FCL.010 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 die Ausbildung und Abnahme von Prüfungen, bei denen der über 65-jährige Pilot sich als nicht fliegendes Mitglied der Crew im Cockpit des Flugzeugs aufhält?

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 4/16 vom 27.01.2016
Beschluss vom 27. Januar 2016 – 5 AZR 263/15 (A) –

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Arztbesuch während der Arbeitszeit ist nicht selbstverständlich

Auch wenn ein Arztbesuch während der Arbeitszeit üblich ist, ist er nur in Ausnahme­fällen erlaubt. Ein Ausnahmefall liegt ins­be­son­dere dann vor, wenn ein Arbeitnehmer akut erkrankt und dringend auf ärztliche Hilfe angewiesen ist.

Liegt eine akute Erkrankung nicht vor, muss ein Arzttermin wäh­rend der Freizeit des Arbeitnehmers wahrgenommen werden. Ein Arbeitnehmer muss sich hier gegebenenfalls bei mehreren Ärzten um einen Termin bemühen. Ist dies nicht möglich, weil insbesondere Facharzttermine während der Freizeit des Arbeit­nehmers nicht wahrgenommen werden oder weil bestimmte Untersuchungen nur zu einer bestimmten Zeit stattfinden können, hat der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber einen sogenannten Freistellungsanspruch.

Bleibt dem Arbeitnehmer keine andere Möglichkeit als den Arzt­besuch während seiner Arbeitszeit wahrzunehmen, muss die versäumte Arbeitszeit nicht nachgeholt werden. Allerdings muss der Arbeitnehmer über den Grund und die Dauer seiner Ab­we­sen­heit im Vorfeld informieren und, falls dies gefordert wird, den erforderlichen Arztbesuch durch eine Bescheinigung belegen.

Erfolgt der Arztbesuch unberechtigt, verstößt ein Arbeitnehmer gegen die Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag und kann im Wiederholungsfall nach entsprechenden Abmahnungen auch aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt werden.

Unter oben genannten Voraussetzungen dürfen Arbeitnehmer auch ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zum Arzt begleiten und haben dann einen dementsprechenden Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitszeit.

Grundsätzlich empfiehlt es sich den Arbeitgeber im Vorfeld eines Arztbesuches genau mitzuteilen, weshalb der Arzttermin nur während der Arbeitszeit stattfinden kann.

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Hinterbliebenenversorgung – Spätehenklausel – Diskriminierung wegen des Alters

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte ver­pflichtet ist, an die Klägerin eine Hinter­blie­be­nen­versorgung zu zahlen.

Die Klägerin ist die Witwe eines im April 1947 geborenen und im Dezember 2010 verstorbenen ehemaligen Mitarbeiters der Be­klagten. Diesem waren Leistungen der betrieblichen Alters­ver­sor­gung einschließlich einer Witwenversorgung zugesagt worden. Die maßgebliche Pensionsregelung enthält eine „Spätehen­klausel“, nach der zusätzliche Voraussetzung für die Zahlung der Witwen-/Witwerrente ist, dass der versorgungsberechtigte Mitarbeiter die Ehe vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat. Diese Voraussetzung erfüllte der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht; die Ehe war erst am 8. August 2008 geschlossen worden. Die Beklagte weigerte sich aus diesem Grund, an die Klägerin eine Witwenrente zu zahlen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die „Spätehenklausel“ ist gemäß § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam. Der verstorbene Ehemann der Klägerin wurde durch die „Spätehenklausel“ unmittelbar wegen des Alters benachteiligt. Die Benachteiligung kann weder in direkter noch in ent­spre­chen­der Anwendung von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt wer­den. Diese Bestimmung lässt bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Unterscheidungen nach dem Alter unter erleichterten Voraussetzungen zu. Sie erfasst, soweit es um Altersgrenzen als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geht, nur die Alters- und Invaliditätsversorgung und nicht die Hinterbliebenenversorgung und damit auch nicht die Witwen-/Witwerversorgung. Die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung der unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 Sätze 1 und 2 AGG liegen nicht vor. Die „Spätehenklausel“ führt zu einer über­mäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 40/15 vom 04.08.2015
Urteil vom 4. August 2015 – 3 AZR 137/13 –

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Altersdiskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb

Ist bei einer Kündigung gegenüber einer Arbeit­nehmerin aufgrund von ihr vorgetragener Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach § 22 AGG zu vermuten und gelingt es dem Arbeitgeber nicht, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam.

Die am 20. Januar 1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Gemeinschaftspraxis seit dem 16. Dezember 1991 als Arzt­helferin beschäftigt. In der Praxis waren im Jahr 2013 noch vier jüngere Arbeitnehmerinnen tätig. Die Klägerin war zuletzt über­wie­gend im Labor eingesetzt. Die Gesellschafter der Beklagten kündigten ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Mai 2013 zum 31. Dezember 2013 wegen Veränderungen im Labor­bereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei führten sie an, die Klägerin sei „inzwischen pensions­berechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht gekündigt. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine Entschädigung wegen Alters­diskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benach­tei­ligung wegen ihres Alters vermuten. Nach Darstellung der Be­klag­ten sollte die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu er­war­ten­den Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Labor­leistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeits­gerichts Erfolg. Die Kündigung verstößt gegen das Benach­tei­li­gungs­verbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschä­di­gungs­anspruch zusteht, kann noch nicht festgestellt werden. Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 37/15 vom 23.07.2015
Urteil vom 23. Juli 2015 – 6 AZR 457/14 –

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Außerordentliche Kündigung – Nutzung dienstlicher Ressourcen zur Herstellung privater „Raubkopien“

Ein Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann darin liegen, dass ein Arbeitnehmer privat beschaffte Bild- oder Ton­träger während der Arbeitszeit unter Verwendung seines dienst­lichen Computers unbefugt und zum eigenen oder kollegialen Gebrauch auf dienstliche „DVD-“ bzw. „CD-Rohlinge“ kopiert. Das gilt unabhängig davon, ob darin zugleich ein strafbewehrter Ver­stoß gegen das Urheberrechtsgesetz liegt. Über einen solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden.

Der Kläger war seit Februar 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er nahm die Funktion des „IT-Verantwortlichen“ beim Oberlandesgericht N. wahr. Zu seinen Aufgaben gehörte ua. die Verwaltung des „ADV-Depots“. Mit ihr war die Bestellung des für die Datenverarbeitung benötigten Zubehörs – etwa von Datensicherungsbändern, CDs und DVDs – verbunden. Anfang März 2013 räumte der Leiter der Wachtmeisterei in einem Personalgespräch ein, den dienstlichen Farbdrucker seit längerer Zeit zur Herstellung sog. „CD-Cover“ genutzt zu haben. Bei einer Mitte März 2013 erfolgten Geschäftsprüfung wurden auf den Festplatten eines vom Kläger genutzten Rechners mehr als 6.400 E-Book-, Bild-, Audio- und Videodateien vorgefunden. Zudem war ein Programm installiert, das geeignet war, den Kopierschutz der Hersteller zu umgehen. Es stellte sich heraus, dass in der Zeit von Oktober 2010 bis März 2013 über 1.100 DVDs bearbeitet worden waren. Im gleichen Zeitraum waren etwa gleich viele DVD-Rohlinge von Seiten des Gerichts bestellt und geliefert worden. Bei näherer Untersuchung und Aus­wer­tung der vom Kläger benutzten Festplatten wurden Anfang April 2013 weitere (Audio-)Dateien aufgefunden. Der Kläger ließ sich im Verlauf der Ermittlungen dahin ein, alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs sei, habe er „gemacht“. Er habe für andere Mitarbeiter „natürlich auch kopiert“. Die Äußerungen nahm er einige Tage später „ausdrücklich zurück“. Mit Schreiben vom 18. April 2013 erklärte das beklagte Land die außer­ordentliche fristlose, mit Schreiben vom 13. Mai 2013 hilfs­weise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigungen seien schon deshalb unwirksam, weil unklar sei, welchen Tatbeitrag gerade der Kläger zu den in Rede stehenden Kopier- und Brennvorgängen geleistet habe. Zudem habe das beklagte Land durch lediglich eigene Ermittlungen – ohne Ein­schaltung der Strafverfolgungsbehörden – weder eine um­fas­sende, den Kläger möglicherweise entlastende Aufklärung leisten, noch den Beginn der zweiwöchigen Frist für die Er­klä­rung einer außerordentlichen Kündigung hemmen können. Im Übrigen habe es gegenüber den anderen Beteiligten keine ver­gleichbaren Maßnahmen ergriffen und den Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet.

Die Revision des beklagten Landes hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Eine (fristlose) Kündigung kommt auch dann in Betracht, wenn der Kläger nicht alle frag­lichen Handlungen selbst vorgenommen, sondern dabei mit an­deren Bediensteten zusammengewirkt oder das Herstellen von „Raubkopien“ durch diese bewusst ermöglicht hat. Aus dem Um­stand, dass es ihm erlaubt gewesen sein mag, seinen dienst­li­chen Rechner für bestimmte andere private Zwecke zu nutzen, konnte er nicht schließen, ihm seien die behaupteten Kopier- und Brennvorgänge gestattet.

Die fristlose Kündigung ist ebenso wenig deshalb unwirksam, weil das beklagte Land Ermittlungen zunächst selbst angestellt und nicht sofort die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet hat. Ein solches Vorgehen ist dem Arbeitgeber grundsätzlich un­be­nommen. Solange er die Ermittlungen zügig durchführt, wird auch dadurch der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ge­hemmt.

Nicht entscheidend ist, welche Maßnahmen das beklagte Land gegenüber den anderen Bediensteten ergriffen hat. Der Gleich­behandlungsgrundsatz findet im Rahmen verhaltens­bedingter Kündigungen grundsätzlich keine Anwendung. Im Übrigen ist nicht festgestellt, inwieweit sich die Sachverhalte unter Be­rück­sichtigung der Einzelheiten und der Stellung der anderen Be­schäftigten wirklich gleichen.

Da auch die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß erfolgte, hat das Bundesarbeitsgericht das zweitinstanzliche Urteil auf­ge­hoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landes­arbeitsgericht zurückverwiesen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 36/15 vom 16.07.2015
Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 –

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Diskriminierungsschutz bei Scheinbewerbung?

Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dem Gerichtshof der Europäischen Union ua. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?

Der Kläger hat 2001 die Ausbildung zum Volljuristen ab­ge­schlos­sen und ist seither überwiegend als selbständiger Rechts­anwalt tätig. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört, schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus. Dabei stellte sie als Anforderung einen nicht länger als ein Jahr zurück­lie­gen­den oder demnächst erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss und qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Aus­bil­dung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Bei der Fach­rich­tung Jura wurden zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse erwünscht. Der Kläger bewarb sich hierfür. Er betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Füh­rungs­erfahrung verfüge. Derzeit besuche er einen Fach­anwalts­kurs für Arbeitsrecht. Weiter führte er aus, wegen des Todes seines Vaters ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat zu betreuen und daher im Medizinrecht über einen erweiterten Er­fahrungshorizont zu verfügen. Als ehemaliger leitender An­ge­stell­ter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Nach der Ablehnung seiner Bewerbung verlangte der Kläger eine Entschädigung iHv. 14.000,00 Euro. Die nachfolgende Einladung zum Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten lehnte er ab und schlug vor, nach Erfüllung seines Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen.

Aufgrund der Bewerbungsformulierung und des weiteren Ver­hal­tens geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat. Das Bewerbungs­schrei­ben steht einer Einstellung als „Trainee“ entgegen. Die Einla­dung zu einem Personalgespräch hat er ausgeschlagen. Damit ist der Kläger nach nationalem Recht nicht „Bewerber“ und „Be­schäf­tig­ter“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG. Das Unionsrecht nennt jedoch in den einschlägigen Richtlinien nicht den „Bewerber“, sondern schützt den „Zugang zur Beschäftigung oder zu ab­hän­gi­ger und selbständiger Erwerbstätigkeit“. Nicht geklärt ist, ob das Unionsrecht ebenfalls voraussetzt, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht und eine Einstellung bei dem Ar­beit­geber tatsächlich gewollt ist. Ob für das Eingreifen des unions­recht­lichen Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügt, ist eine allein dem Gerichtshof überantwortete Aus­le­gungs­frage.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 34/15 vom 18.06.2015
Beschluss vom 18. Juni 2015 – 8 AZR 848/13 (A) –

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Kürzung des Erholungsurlaubs wegen Elternzeit

Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub wegen Elternzeit nicht mehr kürzen. Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, wonach der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen kann, setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht.

Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat. Die bisherige Rechtsprechung zur Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhte auf der vom Senat vollständig aufgegebenen Surrogatstheorie. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern ein reiner Geldanspruch. Dieser verdankt seine Ent­stehung zwar urlaubsrechtlichen Vorschriften. Ist der Ab­gel­tungs­anspruch entstanden, bildet er jedoch einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers und unterscheidet sich in recht­licher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.

Die Klägerin war ab April 2007 gegen eine monatliche Brutto­vergütung von zuletzt 2.000,00 Euro im Seniorenheim der Beklagten als Ergotherapeutin beschäftigt. Bei einer Fünf­tage­woche standen ihr im Kalenderjahr 36 Urlaubstage zu. Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Sohnes im Dezember 2010 ab Mitte Februar 2011 bis zur Beendigung des Arbeits­verhältnisses mit Ablauf des 15. Mai 2012 in Elternzeit. Mit An­walts­schreiben vom 24. Mai 2012 verlangte sie von der Be­klag­ten ohne Erfolg die Abrechnung und Abgeltung ihrer Ur­laubs­ansprüche aus den Jahren 2010 bis 2012. Im September 2012 erklärte die Beklagte die Kürzung des Erholungsurlaubs der Klägerin wegen der Elternzeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Lande­sarbeits­gericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeits­gerichts abgeändert, die nachträgliche Kürzung des Erholungs­urlaubs der Klägerin für unwirksam erachtet und dieser deshalb Urlaubsabgeltung iHv. 3.822,00 Euro brutto zugesprochen.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte konnte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15. Mai 2012 mit ihrer Kürzungserklärung im September 2012 den Anspruch der Klägerin auf Erholungsurlaub wegen der Elternzeit nicht mehr verringern. Auf die Beantwortung der vom Landesarbeitsgericht bejahten Frage, ob die in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG geregelte Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers mit dem Unionsrecht ver­einbar ist, kam es nicht an.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 31/15 vom 19.05.2015
Beschluss vom 19. Mai 2015 – 9 AZR 725/13 (A) –

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