Oberlandesgericht München: Beschluss vom 15.01.2019 – 31 Wx 216/17
1. Die Einlegung der Beschwerde von mehreren Beteiligten gegen eine Entscheidung des Nachlassgerichts (hier: Feststellung, dass die Voraussetzungen für den beantragten Erbschein vorliegen) begründet jeweils mehrere selbständige Beschwerdeverfahren (im Anschluss an OLG München Beschl. v. 6.7.2017 – 31 Wx 409/16 = FGPrax 2017, 281 und OLG Köln Beschluss vom 19.7.2018 – 2 Wx 261/18, 2 Wx 266-270/18 = BeckRS 2018, 28413).
2. Dies erfordert sowohl eine gesonderte Kostenentscheidung als auch gesonderte Festsetzung des Geschäftswerts für das jeweilige Beschwerdeverfahren.
Oberlandesgericht München
Az.: 31 Wx 216/17
31 Wx 5/19
1 VI 1821/16 AG Memmingen
In Sachen
xxx
wegen Nachlassbeschwerde
erlässt das Oberlandesgericht München – 31. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Oberlandesgericht xxx und den Richter am Oberlandesgericht xxx am 15.01.2019 folgenden
Beschluss
Die Beschwerde des Beteiligten zu 12 wird verworfen.
Auf Beschwerde der Beteiligten zu 11 wird der Beschluss des Amtsgerichts Memmingen – Nachlassgericht – vom 9.2.2017 aufgehoben.
Die Akten werden dem Amtsgericht Memmingen – Nachlassgericht – zur Abänderung der Erbscheinsanträge zurückgegeben.
Der Beteiligte zu 12 hat die Gerichtskosten des von ihm veranlaßten Beschwerdeverfahrens zu tragen. Von der Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 11 wird abgesehen.
Die Festsetzung des Geschäftswerts für das durch den Beteiligten zu 12 veranlaßten Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.
Gründe:
I.
Es liegen zwei selbständige Beschwerdeverfahren vor, da sich sowohl der Beteiligte zu 12 als auch die Beteiligte zu 11 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts wenden (vgl. OLG Köln BeckRS 2018, 28413 Tz.8). Diese hat der Senat zur gemeinsamen Entscheidung zusammengefasst.
II.
1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 12 (= 31 Wx 5/19) ist unzulässig, da sie nicht fristgemäß im Sinne des § 63 Abs. 1 FamFG binnen 1 Monat nach Zustellung des Beschlusses des Nachlassgerichts eingelegt wurde. Die Zustellung des Beschlusses des Nachlassgerichts vom 9.2.2017 erfolgte am 18.2.2017; die Beschwerde des Beteiligten zu 12 ist am 2.5.2017 beim Nachlassgericht eingegangen und somit verfristet.
2. Der Schriftsatz vom 6.3.2017 ist als Beschwerde der Beteiligten zu 11 (= 31 Wx 216/17) gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 9.2.2017 auszulegen, da sie sich darin dagegen wendet, nach der Ausschlagung ihres Vaters nicht als Erbin in dem Erbscheinsantrag berücksichtigt worden zu sein. Die Beschwerde der Beteiligten zu 11 ist wirksam erhoben. Sie behauptet, Erbin nach dem Erblasser aufgrund des Testaments vom 31.8.2018 geworden zu sein, nachdem ihr Vater das Erbe ausgeschlagen hat. Dies stellt eine sog. doppelrelevante Tatsache dar (vgl. dazu Keidel/Meyer-Holz FamFG 19. Auflage <2017> § 59 Rn. 20, 21), die für das Vorliegen der materiellen Beschwer im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG ausreichend ist. Sie ist fristgemäß im Sinne des § 65 Abs. 1 FamFG erhoben worden, da sie beim Nachlassgericht am 6.3.2017 eingegangen ist. Der Umstand, dass ihr der Beschluss nicht bekanntgemacht worden ist, ist daher unmaßgeblich.
III.
Die von der Beteiligten zu 11 eingelegte Beschwerde hat in der Sache auch Erfolg, da das Nachlassgericht in seinem Beschluss vom 9.2.2017 zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Ausschlagung des Erbes durch den Beteiligten zu 12 zu einer Erbquote der Miterben i.H.v. 1/10 führt. Insoweit hat es nicht berücksichtigt, dass die Beteiligte zu 11 als Abkömmling des Beteiligten zu 12 an dessen Stelle getreten ist.
1. Der Senat teilt die Auffassung des Nachlassgerichts, dass die Anfechtung des Beteiligten zu 12 betreffend seine Ausschlagung des Erbes nicht durchgreift.
a) Es kann dahinstehen, ob der von ihm angebrachte Anfechtungsgrund den Beteiligten zu 12 tatsächlich zu seiner Ausschlagung bewogen hat.
Denn in seiner Anfechtungserklärung werden als Grund hierfür „persönliche Gründe“ angegeben; die Anfechtung der Ausschlagung wird hingegen darauf gestützt, dass er irrtümlich davon ausgegangen sei, dass die Veräußerungsbeschränkung für 10 Jahre bezüglich der vermieteten Nachlassimmobilie bindend sei und er erst im Nachgang am 21.11.2017 erfahren habe, dass bei Einigkeit der Erbengemeinschaft der Grundbesitz dennoch veräußert werden könne.
b) Die Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft durch den Beteiligten zu 12 greift aber deswegen nicht durch, da der hier allein in Frage kommende Anfechtungsgrund des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB nicht gegeben ist.
aa) Eigenschaften einer Person oder Sache im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB sind neben den auf den natürlichen Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsauffassung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit von Bedeutung sind (Palandt/Ellenberger BGB 78. Auflage <2019> § 119 Rn. 24). Dies erfordert eine hinreichend enge Beziehung zur Sache, die zB dann nicht gegeben ist, wenn der Irrtum sich auf die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit einer Sache bezieht (NK-BGB/Feuerborn 3. Auflage <2016> § 119 Rn. 74). In Bezug auf einen Nachlass stellt der Irrtum über eine Überschuldung wie über die Zusammensetzung des Nachlasses sowie des Bestehens von Beschränkungen des Nachlasses wie zB Vermächtnisse und Auflagen eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses dar.
bb) Der angebrachte Vortrag des Beteiligten zu 12 belegt jedoch nicht einen solchen Irrtum. Gemäß seines Vorbringens in der Anfechtungserklärung vom 2.12.2016 betrifft dieser den Umstand, dass er davon ausgegangen sei, dass das sich im Nachlass befindliche Grundstück infolge der von dem Erblasser angeordneten Auflage nicht veräußert werden kann. Erst durch das Telefonat mit seiner Schwester habe er erfahren, dass bei einer Einigkeit aller Erben das Grundstück trotz der Auflage veräußert werden kann. Insofern bezieht sich die Fehlvorstellung des Beteiligten zu 12 nicht auf das Vorhandensein einer Beschränkung in Form einer Auflage, sondern darauf, ob der von der Auflage betroffene Nachlassgegenstand veräußert werden kann, also auf dessen Verwertungsmöglichkeit. Gegenstand seiner Fehlvorstellung ist demgemäß eine Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Abwicklung bzw. Auseinandersetzung des Nachlasses. Dies stellt sich – wie das Nachlassgericht zutreffend herausgestellt hat – als Irrtum über einen Beweggrund zur Abgabe der Ausschlagungserklärung dar, der als Motivirrtum kein Anfechtungsrecht begründet (Palandt/Ellenberger a.a.O. § 119 Rn. 29).
2. Entgegen der Meinung der Beschwerdegegner und des Nachlassgerichts führt die Ausschlagung der Erbschaft durch den Beteiligten zu 12, die zwar dessen Wegfall im Sinne des § 1953 Abs. 1 BGB bedingt, jedoch nicht dazu, dass dessen Erbteil in Abweichung von § 1953 Abs. 2 BGB den übrigen Miterben gemäß § 2094 BGB anwächst und so die Beteiligte zu 11 nicht an dessen Stelle tritt. Denn gemäß § 2099 BGB geht das Recht eines Ersatzerben im Sinne des § 2096 BGB dem Anwachsungsrecht vor. Dieser Grundsatz gilt auch bei Ausschlagung der Erbschaft, da die Ausschlagung einen Wegfall im Sinne des § 2096 BGB darstellt (vgl. BeckOGK/Gierl BGB <Stand: 1.11.2018> § 2096 Rn. 27; Czubayko in: Burandt/Rojahn 3. Auflage <2018> § 2096 Rn. 2).
Insoweit ist die Beteiligte zu 11 nach der Ausschlagung durch ihren Vater, den Beteiligten zu 12, zwar nicht nach § 2069 BGB – da die Vorschrift weder unmittelbar noch analog für den vorliegenden Sachverhalt (Beteiligter zu 12 ist der Neffe des Erblassers) gilt (vgl. dazu Czubayko in: Burandt/Rojahn a.a.O. § 2069 Rn. 15) – jedoch im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung an die Stelle des Beteiligten zu 12 getreten ist.
a) Die Voraussetzungen der ergänzenden Testamentsauslegung (Vorliegen einer Regelungslücke sowie eines entsprechenden im Testament angedeuteter Willen des Erblassers betreffend die Erbeinsetzung) sind vorliegend gegeben:
aa) Eine Regelungslücke liegt insofern vor, als der Erblasser nicht den Fall bedacht hat, dass einer der Miterben die Erbschaft ausschlägt. Dieser Fall ist von dem Erblasser nicht geregelt.
Diese Lücke ist anhand einer Weiterentwicklung des in der Testamentsurkunde andeuteten Willens des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments zu schließen (vgl. dazu OLG München FGPrax 2013, 177; ZEV 2017, 353; BeckRS 2018, 10915; OLG Düsseldorf ZEV 2018, 140). Dass die Beteiligte zu 11 insoweit nicht ausdrücklich bezeichnet worden ist und diese auch nicht eine Nichte des Erblassers ist, ist insoweit unmaßgeblich.
bb) Eine ergänzende Auslegung gemäß dem Rechtsgedanken des § 2069 BGB erfordert, dass sich aus sonstigen letztwilligen Bestimmungen oder auch außerhalb des Testaments liegenden Umständen ergibt, dass die Zuwendung den Bedachten als Ersten ihres jeweiligen Stammes und nicht nur ihnen persönlich gegolten hat (vgl. BGH NJW 1973, 240/ 242; BayObLGZ NJOZ 2005, 1070; OLG München ZEV 2017, 353; OLG Düsseldorf ZEV 2018, 140). Ein starkes Indiz dafür, dass weniger die Personen als solche als vielmehr die jeweiligen Stämme bedacht werden sollten, kann darin liegen, wenn die Verwandten – wie bei der gesetzlichen Erbfolge – gleichmäßig bedacht werden, der Erblasser sich also mehr vom formalen Kriterium der Gleichbehandlung leiten lässt (OLG München FamRZ 2011, 1692/1693; NJW-RR 2007, 1162/1164). Maßgebend für die Feststellung dieser Willensrichtung ist allein der Zeitpunkt der Testamentserrichtung (OLG München BeckRS 2018, 10915).
cc) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt sich für den Senat aus den von dem Erblasser getroffenen Anordnungen der Schluss, dass er den Beteiligten zu 12 als Repräsentant seines Stammes als Erben eingesetzt hat.
Der Erblasser hat seinen Nachlass unter den Stämmen seiner Geschwister aufgeteilt und diesen innerhalb des jeweiligen Stammes jeweils gleichmäßig auf die entsprechenden Abkömmlinge seiner Geschwister verteilt. Dies entspricht dem Gedanken des § 2069 BGB. Demgemäß deutet diese Auf/Verteilung seines Nachlasses darauf hin, dass für ihn in Bezug auf die Erbeinsetzung „Stammesgesichtspunkte“ maßgeblich waren und die Zuwendung nicht vorrangig personenbezogen war. Eine solche Auslegung findet zudem eine Stütze darin, dass der Erblasser gerade nicht die individuellen Namen der Bedachten angeführt hat, sondern seinen Nachlass diesen unter dem generalisierenden Oberbegriff „Neffen“ und „Nichten“ zugewendet hat.
3. Demgemäß liegen die Voraussetzungen für die Erteilung des von den Beteiligten zu 1-10 beantragten Erbscheins nicht vor, da insoweit die Erbenstellung der Beteiligten zu 11 nicht ausgewiesen ist. Demgemäß wäre der Antrag der Beteiligten grundsätzlich zurückzuweisen. Dies hätte aber zur Folge, dass die Beteiligten erneut einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins stellen müssten, der die tatsächliche Erbrechtslage abbildet. Insofern träfe sie eine doppelte Kostentragungslast betreffend die Erteilung eines Erbscheins. Insofern hält es der Senat als sachgerecht, mit Aufhebung der Entscheidung das Verfahren an das Nachlassgericht zurückzugeben, damit den Beteiligten die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Erbscheinsantrag dahingehend abzuändern, dass dieser die tatsächliche Rechtslage abbildet.
Diesbezüglich wird das Nachlassgericht aber auch zu prüfen bzw. zu berücksichtigen zu haben, ob/dass an die Stelle des ebenfalls die Erbschaft ausschlagenden Beteiligten „……………………..“ dessen vorhandene Abkömmlinge getreten sind.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG
1. Da das Rechtsmittel der Beteiligten zu 11 (= 31 Wx 216/17) erfolgreich ist, ist insoweit eine Kostenentscheidung betreffend die Gerichtskosten nicht veranlasst (vgl. § 25 GNotKG).
Die Beschwerde des Beteiligten zu 12 (= 31 Wx 5/19) blieb erfolglos. Insoweit hat dieser die Gerichtsgebühren des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat, soweit es dasjenige betrifft, das infolge seiner Beschwerdeeinlegung veranlasst wurde. Dabei handelt es sich im Verhältnis zu der Beschwerde der Beteiligten zu 11 um ein eigenständiges Verfahren (vgl. OLG Köln BeckRS 2018,28413).
2. Die Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 11 und 12 ist nicht veranlasst. Die Beschwerde des Beteiligten zu 12 blieb erfolglos, so dass für eine Kostenerstattung seiner außergerichtlichen Kosten kein Raum ist. Eine Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 11 durch die Beteiligten zu 1-10 hält der Senat für nicht geboten. Die in § 81 Abs. 2 benannten Regelbeispiele für die Anordnung der Kostenpflicht liegen nicht vor. Das Obsiegen bzw. Unterliegen kann zwar ein Kriterium für eine Anordnung sein kann, ist aber kein allein maßgebendes. Vielmehr sind sämtliche Umstände des Einzelfalls heranzuziehen.
Vorliegend handelt es sich um eine Streitfrage der Erbfolge innerhalb der Verwandtschaft des Erblassers. Die von den Beteiligten zu 1-10 vertretene Rechtsposition ist zudem Ergebnis der von dem Nachlassgericht selbst vertretenen (vgl. Schreiben vom 29.,12.2016 und Beschluss vom 9.2.2017). Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat nicht als angemessen, dass die Beteiligten zu 1-10 die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 11 zu erstatten haben.
V.
1. Die Höhe des Geschäftswerts betreffend das von dem Beteiligten zu 12 veranlaßten Beschwerdeverfahren (= 31 Wx 5/19) bestimmt sich nach dem von diesem verfolgten wirtschaftlichen Interesse am Erfolg seines Rechtsmittels (= Erbenstellung i.H.v. 1/11). Bezugsgröße ist insofern der nach § 40 Abs. 1 GNotKG zu bestimmende Wert des Nachlasses. Dieser ist derzeit durch das Nachlassgericht noch nicht abschließend festgestellt.
Demgemäß bleibt die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren vorbehalten.
2. Hinsichtlich des von der Beteiligten zu 11 veranlaßten Beschwerdeverfahren ist die Festsetzung des Geschäftswerts nicht geboten (vgl. Ziffer IV. 1).
VI.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Rechtsgebiet
FamFG; GNotKG
Vorschriften
FamFG §§ 58 ff., §§ 81 ff.; GNotKG § 36
Quelle: IWW-Abrufnummer 206797
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