Schlagwort-Archiv Dr. Reinhard Popp

Sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis im Anschluss an ein Heimarbeitsverhältnis

Ein Arbeitsvertrag kann auch dann ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren kalendermäßig befristet werden, wenn zwischen den Parteien zuvor ein Heimarbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Klägerin war für die Beklagte in der Zeit vom 15. Juni 2009 bis zum 31. August 2010 als Heimarbeiterin tätig. Ab dem 1. September 2010 wurde sie im Rahmen eines Arbeits­ver­hält­nisses bei der Beklagten beschäftigt. Der zunächst für die Dauer von einem Jahr befristete Arbeitsvertrag wurde durch Ergän­zungs­vertrag vom 12. Mai 2011 bis zum 31. August 2012 verlängert. Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf Grund der Befristung am 31. August 2012 geendet hat.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist wirksam. Der Arbeitsvertrag konnte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die Dauer von zwei Jahren ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds befristet werden. Eine sachgrundlose Befristung ist zwar nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Ein Heimarbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 HAG ist jedoch kein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 14 Abs. 2 TzBfG.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 43/16 vom 24.08.2016
Urteil vom 24. August 2016 – 7 AZR 342/14 –

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Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG – Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung

Die beklagte Stadt schrieb Mitte 2013 die Stelle eines „Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ des von ihr unterhaltenen Komplexes „Palmengarten“ aus. In der Stellen­aus­schreibung heißt es ua.: „Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/ Sanitär-/ Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; …“.

Der mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger, der ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich „Alternative Energien“ ist, bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle. Er fügte seinem Bewerbungsschreiben einen ausführlichen Lebenslauf bei. Die beklagte Stadt lud den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein und entschied sich für einen anderen Bewerber.

Der Kläger hat von der beklagten Stadt die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die beklagte Stadt habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Sie sei ihrer Verpflichtung nach § 82 SGB IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht nachgekommen. Bereits dieser Umstand begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Die beklagte Stadt hat sich darauf berufen, sie habe den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen, da dieser für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet sei. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die beklagte Stadt verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung iHv. drei Brutto­monatsverdiensten zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der beklagten Stadt teilweise abgeändert und die Entschädigungssumme auf einen Brutto­monatsverdienst reduziert. Hiergegen wendet sich die beklagte Stadt mit ihrer Revision.

Die Revision hatte vor dem Achten Senat des Bundes­ar­beits­gerichts keinen Erfolg. Die beklagte Stadt hatte dadurch, dass sie den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, die Vermutung begründet, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden und dadurch benachteiligt wurde. Sie war von ihrer Verpflichtung, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch nicht nach § 82 Satz 3 SGB IX befreit. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers in seiner Bewerbung durfte sie nicht davon ausgehen, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 42/16 vom 11.08.2016
Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 –

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Bonusanspruch – Leistungsbestimmung durch das Gericht

Behält sich der Arbeitgeber vertraglich vor, über die Höhe eines Bonusanspruchs nach billigem Ermessen zu entscheiden, unterliegt diese Entscheidung der vollen gerichtlichen Überprüfung. Entspricht die Entscheidung nicht billigem Ermessen, ist sie gemäß § 315 Abs. 3 BGB* unverbindlich und die Höhe des Bonus durch das Gericht auf Grundlage des Vortrags der Parteien festzusetzen.

Der Kläger war vom 1. Januar 2010 bis zum 30. September 2012 bei der deutschen Niederlassung der Beklagten, einer internationalen Großbank, als Managing Director beschäftigt. Vertraglich war vereinbart, dass der Kläger am jeweils gültigen Bonussystem und/oder am Deferral Plan teilnimmt. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarung erhielt er für das Geschäftsjahr 2009 eine garantierte Leistung iHv. 200.000,00 Euro, für das Geschäftsjahr 2010 eine Leistung iHv. 9.920,00 Euro. Für das Jahr 2011 erhielt der Kläger keinen Bonus oder Deferral Award. Andere Mitarbeiter erhielten Leistungen, die sich der Höhe nach überwiegend zwischen einem Viertel und der Hälfte der jeweiligen Vorjahresleistung bewegten.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung eines Bonus für das Geschäftsjahr 2011, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 52.480,00 Euro. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung eines Bonus iHv. 78.720,00 Euro verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen, die eine gerichtliche Festsetzung der Bonushöhe ermöglichten.

Die vom Senat zugelassene Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Kläger hat nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien einen Anspruch auf einen Bonus und/oder Deferral Award, der nach billigem Ermessen festzusetzen war. Mangels hinreichender Darlegungen der Beklagten zur Berechtigung der Festsetzung auf Null für das Jahr 2011 ist diese Festsetzung unverbindlich. Die Leistungsbestimmung hat in einem solchen Fall gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch das Gericht zu erfolgen. Grundlage ist dafür der Sachvortrag der Parteien; eine Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Sinn gibt es nicht. Äußert sich der bestimmungsberechtigte Arbeitgeber zu bestimmten Faktoren nicht, geht dies nicht zu Lasten des Arbeitnehmers. Von diesem kann kein Vortrag zu Umständen verlangt werden, wie zB der Höhe eines Bonustopfes, die außerhalb seines Kenntnisbereichs liegen. Auf die Erhebung einer Auskunftsklage kann er regel­mäßig nicht verwiesen werden. Vielmehr ist die Leistung durch das Gericht aufgrund der aktenkundig gewordenen Umstände (zB Höhe der Leistung in den Vorjahren, wirtschaftliche Kennzahlen, Ergebnis einer Leistungsbeurteilung) festzusetzen. Eine ge­richt­liche Leistungsfestsetzung scheidet nur dann ausnahmsweise aus, wenn jegliche Anhaltspunkte hierfür fehlen. Dies war hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall. Da die gerichtliche Bestimmung der Leistung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB regelmäßig Sache der Tatsacheninstanzen ist, hat der Senat den Rechtsstreit zur Festsetzung der Bonushöhe für das Geschäftsjahr 2011 an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 41/16 vom 03.08.2016
Urteil vom 3. August 2016 – 10 AZR 710/14 –

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Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung

Die Beklagte ist Trägerin mehrerer Kranken­häuser und institutionell mit der römisch-katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger war bei ihr seit dem Jahr 2000 als Chefarzt beschäftigt

Den Dienstvertrag schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993). Nach deren Art. 5 Abs. 2 handelte es sich beim Abschluss einer nach dem Glaubens­ver­stän­dnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Die Weiterbeschäftigung war grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von einem leitenden Mitarbeiter begangen wurde (Art. 5 Abs. 3 GrO 1993)*. Zu diesen zählen nach kirchlichem Recht auch Chefärzte.

Der Kläger heiratete nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau im Jahr 2008 ein zweites Mal standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. März 2009 ordentlich zum 30. September 2009. Hiergegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Er hat gemeint, seine erneute Eheschließung vermöge die Kündigung nicht zu rechtfertigen. Bei evangelischen Chefärzten bleibe eine Wieder­heirat nach der GrO 1993 ohne arbeitsrechtliche Folgen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Das die Revision der Beklagten zurückweisende Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 – 2 AZR 543/10 – hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht durch Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom heutigen Tage entschieden, den Gerichtshof der Euro­päischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­behandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16) zu ersuchen. Für den Senat ist erheblich, ob die Kirchen nach dem Unionsrecht bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden dürfen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.**

* Art. 5 der GrO wurde mit Wirkung zum 1. August 2015 neu gefasst.
** Der genaue Wortlaut der Fragen kann unter www.bundesarbeitsgericht.de unter dem Menüpunkt „Sitzungsergebnisse“ eingesehen werden.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 39/16 vom 28.07.2016
Beschluss vom 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 (A) –

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Betriebsrente – Gleichbehandlung

Arbeitnehmer, denen bereits einzelvertraglich eine betriebliche Altersversorgung zugesagt wurde, dürfen nur dann vollständig von einem auf einer Betriebsvereinbarung beruhenden kollektiven Versorgungssystem des Arbeitgebers ausgenommen werden, wenn die Betriebsparteien im Rahmen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums davon ausgehen können, dass diese Arbeitnehmer im Versorgungsfall typischerweise eine zumindest annähernd gleichwertige Versorgung erhalten.

Dem Kläger waren 1987 einzelvertraglich Leistungen der be­trieb­lichen Altersversorgung über eine Pensionskasse zugesagt wor­den. Im Folgejahr trat bei der Beklagten eine Betriebs­ver­ein­barung in Kraft, mit der allen ab einem bestimmten Stichtag eingestellten Arbeitnehmern – auch dem Kläger – Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Wege einer Direktzusage versprochen wurden. Die Betriebsvereinbarung wurde in der Folgezeit wiederholt abgelöst, zuletzt im Jahr 2007. Die zuletzt gültige Betriebsvereinbarung sieht in § 2 Abs. 4 vor, dass Arbeitnehmer, die eine einzelvertragliche Zusage erhalten haben, nicht in den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallen.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe eine Altersrente nach der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2007 zu. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Es steht noch nicht fest, ob § 2 Abs. 4 der Betriebsvereinbarung tatsächlich unwirksam ist, weil er zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit einzelvertraglicher Zusage führt. Es ist zu klären, ob die von der Beklagten erteilten einzelvertraglichen Zusagen annähernd gleichwertig sind.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 37/16 vom 19.07.2016
Urteil vom 19. Juli 2016 – 3 AZR 134/15 –

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Keine Diskriminierung wegen einer Schwerbehinderung bei unterlassener Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses

Die mit einem Grad von 50 schwerbehinderte Klägerin war seit dem 1. Oktober 2012 beim be­klag­ten Land als Leiterin der Organisationseinheit Qualitätsmanage­ment/Controlling des Landeskriminalamts (LKA) beschäftigt. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. In einem Personalgespräch am 11. Februar 2013 teilte der Präsident des LKA der Klägerin mit, dass er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Probezeit zu beenden. Mit Schreiben vom 8. März 2013 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2013.

Die Klägerin hat diese Kündigung nicht mit einer Kündi­gungs­schutz­klage angegriffen. Im vorliegenden Verfahren macht sie einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Sie meint, das beklagte Land habe sie dadurch, dass es das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX* nicht durch­ge­führt habe, wegen ihrer Schwerbehinderung diskriminiert. Das Prä­ven­tions­verfahren sei eine besondere Schutzmaßnahme zur Vermeidung von Nachteilen für Schwerbehinderte sowie eine „angemessene Vorkehrung“ iSv. Art. 2 der UN-Behinderten­rechts­konvention (UN-BRK) und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG. Werde eine solche Vorkehrung nicht getroffen, sei dies als Diskriminierung zu werten. Dadurch, dass das beklagte Land das Präventionsverfahren nicht durchgeführt habe, sei ihr die Möglichkeit genommen worden, etwaige behinderungs­bedingte Fehlleistungen zu beheben.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX selbst ist keine „angemessene Vorkehrung“ iSv. Art. 2 UN-BRK und des Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG. Zudem ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG) ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.

* § 84 Prävention
(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 19/16 vom 21.04.2016
Urteil vom 21. April 2016 – 8 AZR 402/14 –

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Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis

Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung des Unionsrechts folgende Fragen vor:
  1. Räumt Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) oder Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen An­spruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeit­nehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub ein, was nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB ausge­schlossen ist?
  2. Falls die Frage zu 1. bejaht wird:
    Gilt dies auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen zwei Privatpersonen bestand?

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres Anfang 2013 verstorbenen Ehemanns, der bis zu seinem Tode bei dem Beklagten beschäftigt war. Sie verlangt vom Beklagten, den ihrem Ehemann vor seinem Tod zustehenden Erholungsurlaub abzugelten.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Nach der Rechtsprechung des Senats können weder Urlaubs- noch Urlaubsabgeltungsansprüche nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben eines Arbeitnehmers über­gehen, wenn dieser während des Arbeitsverhältnisses stirbt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar mit Urteil vom 12. Juni 2014 (- C-118/13 – [Bollacke]) ange­nom­men, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne finanziellen Aus­gleich untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Er hat jedoch nicht die Frage ent­schie­den, ob der Anspruch auf finanziellen Ausgleich auch dann Teil der Erbmasse wird, wenn das nationale Erbrecht dies aus­schließt. Darüber hinaus ist nicht geklärt, ob Art. 7 der Richt­linie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC auch in den Fällen eine erbrechtliche Wirkung zukommt, in denen das Arbeits­verhältnis zwischen Privatpersonen bestand.

Ferner besteht auch noch Klärungsbedarf bezüglich des Unter­gangs des vom Unionsrecht garantierten Mindestjahresurlaubs. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist anerkannt, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub unter­gehen kann, wenn der Urlaub für den Arbeitnehmer keine positive Wirkung als Erholungszeit mehr hat. Letzteres ist nach dem Tod des Arbeitnehmers aber der Fall, weil in der Person des verstorbenen Arbeitnehmers der Erholungszweck nicht mehr verwirklicht werden kann.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 55/16 vom 18.10.2016
Beschluss vom 18. Oktober 2016 – 9 AZR 196/16 (A) –

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat am selben Tag den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit – 9 AZR 45/16 (A) – ersucht, in dem die Erbin eines während des Arbeits­ver­hält­nisses verstorbenen Arbeitnehmers von einer öffentlichen Arbeitgeberin die Abgeltung des ihrem Ehemann vor seinem Tod zustehenden Urlaubs verlangt hat.

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Altersdiskriminierung durch das Konzept „60+“ für Führungskräfte?

Der im Oktober 1952 geborene Kläger war in der Zeit von August 1985 bis Oktober 2012 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Auto­mobil­industrie, seit dem Jahr 1995 als Verkaufsleiter PKW in einer der Niederlassungen der Beklagten beschäftigt. Als Verkaufsleiter gehörte er dem Kreis der leitenden Führungskräfte an. Im Ar­beitsvertrag hatten die Parteien eine Befristung des Arbeits­verhältnisses mit Vollendung des 65. Lebensjahres vereinbart.

Im Jahr 2003 führte die Beklagte das Konzept „60+“ für leitende Führungskräfte ein, das die Möglichkeit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 60. Lebensjahres ua. gegen Zahlung eines Kapitalbetrages vorsah. Im Juli 2003 unterbreitete die Beklagte dem Kläger ein entsprechendes Ange­bot auf Änderung seines Arbeitsvertrages, das der Kläger bis zum 31. Dezember 2005 annehmen konnte. Der Kläger nahm das Angebot im Dezember 2005 an. Im Jahr 2012 trat an die Stelle des Konzepts „60+“ das Konzept „62+“. Alle leitenden Füh­rungs­kräfte, die einen Vertrag auf der Grundlage des Konzepts „60+“ hatten und im Jahr 2012 das 57. Lebensjahr vollendeten, erhielten ab November 2012 ein Angebot, einen Vertrag auf der Grundlage des neuen Konzepts abzuschließen. Der Kläger schied mit Ablauf des 31. Oktober 2012 aus dem Arbeitsverhältnis aus und erhielt einen Kapitalbetrag iHv. 123.120,00 Euro. Die Be­fris­tung seines Arbeitsverhältnisses auf den 31. Oktober 2012 hat der Kläger nicht mit einer Entfristungsklage angegriffen. Der Kläger sieht sich ua. sowohl durch die Vereinbarung der Be­fris­tung seines Arbeitsverhältnisses auf die Vollendung des 60. Le­bens­jahres als auch dadurch wegen des Alters benachteiligt, dass die Beklagte es unterlassen hat, ihm eine Umstellung seines Arbeitsverhältnisses auf das Konzept „62+“ anzubieten und ver­langt die Feststellung, dass die Beklagte ihm nach § 15 Abs. 1 AGG den aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen hat, sowie Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Ansprüche des Klägers scheitern bereits daran, dass dieser durch die Beklagte keine weniger günstige Be­hand­lung erfahren hat, als eine andere Person in vergleichbarer Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 3 Abs. 1 AGG). Dies gilt zunächst, soweit die Beklagte dem Kläger ein Vertragsangebot nach dem Konzept „60+“ unterbreitet hat, das vom Kläger angenommen wurde. Sofern in die Vergleichs­be­trach­tung nur die anderen leitenden Führungskräfte einbezogen werden, wurde der Kläger nicht anders als diese behandelt. Sofern die maßgebliche Vergleichsgruppe die Gruppe der Mitarbeiter unterhalb der Ebene der leitenden Führungskräfte sein sollte, wurde der Kläger nicht ungünstiger als diese behandelt. Ihm wurde durch das Angebot der Beklagten lediglich eine zusätzliche Möglichkeit eröffnet, wobei er frei darüber entscheiden konnte, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollte. Im Hinblick auf die ihm nicht angebotene Umstellung seines Arbeitsvertrages auf das Konzept „62+“ ist der Kläger mit den Arbeitnehmern, die dieses Angebot im November/Dezember 2012 erhalten haben, nicht vergleichbar, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden war.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 14/16 vom 17.03.2016
Urteil vom 17. März 2016 – 8 AZR 677/14 –

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Inanspruchnahme von Elternzeit – Schriftformerfordernis

Wer Elternzeit für den Zeitraum bis zum voll­endeten dritten Lebensjahr des Kindes bean­spruchen will, muss sie nach § 16 Abs. 1 BEEG spätestens sieben Wochen vor Beginn der Elternzeit schriftlich vom Arbeitgeber ver­langen und gleichzeitig erklären, für welche Zeiten innerhalb von zwei Jahren Elternzeit genommen werden soll.

Bei der Inanspruchnahme handelt es sich um eine rechts­ge­stal­tende empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit – vorbehaltlich der Vereinbarung einer Teilzeitbeschäftigung – zum Ruhen gebracht wird. Einer Zustimmung des Arbeitgebers bedarf es nicht. Das Elternzeitverlangen erfordert die strenge Schriftform iSv. § 126 Abs. 1 BGB. Es muss deshalb von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer eigenhändig durch Namensunterschrift oder mit­tels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. Ein Telefax oder eine E-Mail wahrt die von § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG vorgeschriebene Schriftform nicht und führt gemäß § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der Erklärung. Allerdings kann sich ein Arbeitgeber aufgrund der Besonderheiten des konkreten Falls treuwidrig verhalten, indem er sich darauf beruft, das Schrift­formerfordernis des § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG sei nicht gewahrt (§ 242 BGB).

Die Klägerin war als Rechtsanwaltsfachangestellte bei dem beklagten Rechtsanwalt beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. November 2013. Im Kündigungsrechtsstreit machte die Klägerin geltend, sie habe dem Beklagten nach der Geburt ihrer Tochter per Telefax am 10. Juni 2013 mitgeteilt, dass sie Elternzeit für zwei Jahre in Anspruch nehme. Der Beklagte habe deshalb das Arbeits­ver­hält­nis nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht kündigen dürfen. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundearbeitsgerichts Erfolg. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung des Beklagten vom 15. November 2013 aufgelöst worden. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts genoss die Klägerin nicht den Sonderkündigungsschutz des § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Die Klägerin hatte mit ihrem Telefax vom 10. Juni 2013 nicht wirksam Elternzeit verlangt. Besonderheiten, die es dem Beklagten nach Treu und Glauben verwehrten, sich auf den Formverstoß zu berufen, lagen nicht vor.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 23/16 vom 10.05.2016
Urteil vom 10. Mai 2016 – 9 AZR 145/15 –

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Massenentlassung – Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat

Ein Arbeitgeber darf das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG als beendet ansehen, wenn der Betriebsrat keine weitere Ver­hand­lungs­bereitschaft über Maß­nahmen zur Vermeidung oder Ein­schränkung von Massenentlassungen erkennen lässt.

Die Beklagte erbrachte Passagedienstleistungen an Flughäfen. Ihre einzige Auftraggeberin kündigte sämtliche Aufträge zu Ende März 2015. Nach dem Scheitern eines Interessen­aus­gleichs im Dezember 2014 leitete die Beklagte ein Kon­sul­ta­tions­verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ein und entschied Ende Januar 2015, ihren Betrieb zum 31. März 2015 stillzulegen. Nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 KSchG) kündigte sie alle Arbeitsverhältnisse. Die Beklagte entschloss sich, erneut Kündigungen zu erklären, nachdem einige Kündigungsschutzklagen wegen vermeintlicher Mängel im Verfahren nach § 17 KSchG erstinstanzlich erfolg­reich gewesen waren. Sie leitete im Juni 2015 ein weiteres Konsultationsverfahren ein und beriet mit dem Betriebsrat über eine mögliche „Wiedereröffnung“ des Betriebs. Eine solche kam für sie allenfalls bei einer Absenkung der bisherigen Vergü­tun­gen in Betracht. Der Betriebsrat ließ keine Bereitschaft er­ken­nen, an entsprechenden Maßnahmen mitzuwirken. Daraufhin kündigte die Beklagte – nach einer erneuten Massen­ent­las­sungs­anzeige – die verbliebenen Arbeitsverhältnisse vorsorglich ein zweites Mal. Die Klägerin hat sich fristgerecht gegen beide Kündigungen gewandt und hilfsweise einen Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG) verlangt. Das Landes­arbeits­gericht hat beide Kündigungen für unwirksam erachtet.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts nur teilweise Erfolg. Die erste Kündigung ist gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig. Die Beklagte hat in der diesbezüglichen Massen­ent­las­sungs­anzeige den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat nicht korrekt dargelegt. Hingegen ist die zweite Kündigung wirksam. Die Beklagte hat das erforderliche Konsultationsverfahren auch unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben ordnungs­gemäß durchgeführt. Sie hat dem Betriebsrat alle erforderlichen Auskünfte erteilt, um auf ihren Entschluss, an der Betriebs­still­legung festzuhalten, einwirken zu können. Die Beklagte durfte die Verhandlungen als gescheitert ansehen. Da sie seit April 2015 keinen Betrieb mehr unterhielt, hat sie die zweite Massen­entlassungsanzeige zu Recht bei der für den Unternehmenssitz zuständigen Agentur für Arbeit erstattet. Die zweite Kündigung war auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Die Beklagte hat den Betriebsrat ordnungsgemäß über die beabsichtigte Betriebsstilllegung unterrichtet und nach dem Scheitern ihrer Verhandlungen die Einigungsstelle angerufen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 52/16 vom 22.09.2016
Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 276/16 –

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