Jahresarchiv 19. April 2017

Häusliches Arbeitszimmer eines Selbständigen

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 26/17, Pressemitteilung vom 19.04.2017, Urteil vom 22.02.2017, Aktenzeichen III R 9/16

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes besteht ein Abzugsverbot für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer; dieses gilt allerdings dann nicht, „wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht“ (Satz 2). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 22. Februar 2017 III R 9/16 entschieden, dass bei einem Selbständigen nicht jeder Schreibtischarbeitsplatz in seinen Betriebsräumen zwangsläufig einen solchen zumutbaren „anderen Arbeitsplatz“ darstellt.

Im Urteilsfall war der als Logopäde selbständig tätige Kläger in zwei Praxen in angemieteten Räumen tätig, die weit über­wie­gend von seinen vier Angestellten genutzt wurden. Für Ver­wal­tungs­arbeiten nutzte er ein häusliches Arbeitszimmer. Das Finanzgericht (FG) gelangte aufgrund einer Würdigung der konkreten Umstände zu der Auffassung, dass eine Erledigung der Büroarbeiten in den Praxisräumen – auch außerhalb der Öff­nungs­zeiten – nicht zumutbar sei, so dass die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer begrenzt (Höchstbetrag: 1.250 €) abzugsfähig seien.

Dem folgte der BFH. Soweit die Nutzung des Arbeitsplatzes in einer Weise eingeschränkt ist, dass der Steuerpflichtige in seinem häuslichen Arbeitszimmer einen nicht unerheblichen Teil seiner beruflichen oder betrieblichen Tätigkeit verrichten muss, kommt das Abzugsverbot nach seinem Sinn und Zweck nicht zum Tragen. Auch der selbständig Tätige kann daher auf ein (zusätzliches) häusliches Arbeitszimmer angewiesen sein. Ob dies der Fall ist, muss die Tatsacheninstanz (das FG) anhand objektiver Umstände des Einzelfalls klären. Anhaltspunkte können sich sowohl aus der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes (Größe, Lage, Ausstattung) als auch aus den Rahmen­be­din­gun­gen seiner Nutzung (Umfang der Nutzungsmöglichkeit, Zugang zum Gebäude, zumutbare Möglichkeit der Einrichtung eines außerhäuslichen Arbeitszimmers) ergeben. Im Streitfall ergab sich aus den tatsächlichen Gegebenheiten (Nutzung der Räume durch die Angestellten, Tätigkeit des Klägers außerhalb der Praxis, die Größe, die Ausstattung, die konkrete Nutzung der Praxisräume durch die vier Angestellten, Vertraulichkeit der für die Bürotätigkeit erforderlichen Unterlagen und den Umfang der Büro- und Verwaltungstätigkeiten) eine Unzumutbarkeit der Nutzung der Praxisräume als außerhäusliches Arbeitszimmer.

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Sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis im Anschluss an ein Heimarbeitsverhältnis

Ein Arbeitsvertrag kann auch dann ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren kalendermäßig befristet werden, wenn zwischen den Parteien zuvor ein Heimarbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Klägerin war für die Beklagte in der Zeit vom 15. Juni 2009 bis zum 31. August 2010 als Heimarbeiterin tätig. Ab dem 1. September 2010 wurde sie im Rahmen eines Arbeits­ver­hält­nisses bei der Beklagten beschäftigt. Der zunächst für die Dauer von einem Jahr befristete Arbeitsvertrag wurde durch Ergän­zungs­vertrag vom 12. Mai 2011 bis zum 31. August 2012 verlängert. Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf Grund der Befristung am 31. August 2012 geendet hat.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist wirksam. Der Arbeitsvertrag konnte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die Dauer von zwei Jahren ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds befristet werden. Eine sachgrundlose Befristung ist zwar nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Ein Heimarbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 HAG ist jedoch kein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 14 Abs. 2 TzBfG.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 43/16 vom 24.08.2016
Urteil vom 24. August 2016 – 7 AZR 342/14 –

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Kosten für die Bebauung eines Grundstücks als Gegenstand der Grunderwerbsteuer

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 22/17, Pressemitteilung vom 12.04.2017, Urteil vom 25.1.2017, Aktenzeichen II R 19/15

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 25. Januar 2017 II R 19/15 eine weitere Entscheidung zu dem Themen­komplex des einheitlichen Erwerbs­ge­gen­stands im Grunderwerbsteuerrecht ge­trof­fen. Danach kann für den Fall, dass ein Bauerrichtungs­vertrag zeitlich nach dem Grundstückskaufvertrag und nach der Festsetzung der Grunderwerbsteuer geschlossen wird, die Finanzbehörde berechtigt sein, im Wege der Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung die Bauerrichtungskosten zusätzlich zu den Kosten des Grundstückserwerbs mit Grunderwerbsteuer zu belasten.

Im Urteilsfall erwarb der Kläger von einer Stadt ein Grundstück, welches mit einem Reihenhaus bebaut werden sollte. Im Grundstückskaufvertrag, der sowohl von der Stadt (Verkäuferin) als auch von dem zu beauftragenden Bauunternehmen unter­zeichnet wurde, war u.a. festgelegt, nach welchen archi­tek­to­ni­schen Plänen das Haus errichtet werden sollte. Das Finanzamt (FA) setzte kurze Zeit später die Grunderwerbsteuer fest und bezog lediglich die Kosten für den Grundstückskauf in die Be­mes­sungsgrundlage für die Steuer ein. Nach der Steuer­fest­setzung schloss der Kläger einen Bauerrichtungsvertrag mit dem Bauunternehmen. Daraufhin änderte das FA die ursprüngliche Steuerfestsetzung und bezog die sich aus diesem Vertrag ergebenden Baukosten mit ein. Dagegen wehrte sich der Kläger mit Erfolg vor dem Finanzgericht.

Der BFH hingegen entschied, dass das FA die Baukosten nach­träglich in die Bemessungsgrundlage für die Steuer mitein­be­zie­hen durfte. Ist der Erwerber eines Grundstücks beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Bebauung gebunden, wird das erworbene Grundstück erst dann in bebautem Zustand erworben, wenn auch der Bauerrich­tungs­vertrag geschlossen ist. Mit dieser Entscheidung stellt der BFH im Rahmen einer weiteren Fallgruppe aus dem Bereich des einheitlichen Erwerbsgegenstands klar, dass der Abschluss des Bauerrichtungsvertrags das zunächst unbebaute Grundstück rückwirkend auf den Zeitpunkt des Grundstückskaufvertrags zu einem bebauten werden lässt und die Baukosten nachträglich im Rahmen der Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung zusätzlich zu den Kosten für den Grundstückskauf bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer zu berücksichtigen sind.

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Bundesfinanzhof akzeptiert Gestaltungen betreffend gewerblicher Verluste durch Ankauf physischen Goldes Pressemitteilung

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 24/17, Pressemitteilung vom 12.04.2017, Urteil vom 19.1.2017, Aktenzeichen IV R 10/14, Urteil vom 19.1.2017, Aktenzeichen IV R 50/14

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteilen vom 19. Januar 2017 IV R 10/14 und IV R 50/14 zwei –auch als „Goldfinger-Modelle“ beschriebene– Gestaltungen akzeptiert, bei denen Personengesellschaften durch den Ankauf physischen Goldes Verluste aus Ge­werbebetrieb erzielt haben. Diese Gestal­tun­gen führen bei den Gesellschaftern zu Steuervorteilen, wenn kein sog. Steuerstundungsmodell vorliegt.

Bei der inlandsbezogenen Gestaltung (inländische Personen­gesellschaft – „Inlandsfall“ [BFH IV R 10/14]) tritt typischer­weise ein „Steuerstundungseffekt“ ein. Dieser Effekt entsteht dadurch, dass die Anschaffungskosten für das Gold als sofort abziehbare Betriebsausgaben zu einem gewerblichen Verlust führen, der mit bzw. von anderen positiven Einkünften der Gesellschafter ausgeglichen bzw. abgezogen werden kann. Bei der auslandsbezogenen Gestaltung (ausländische Personen­ge­sell­schaft – „Auslandsfall“ [BFH IV R 50/14]) kommt es ty­pi­scherweise zu einer endgültigen Reduzierung der Einkom­men­steuerbelastung. Dies ist eine Folge des durch die ausländischen Verluste ggf. bis auf Null reduzierten Steuersatzes (sog. nega­ti­ver Progressionsvorbehalt), dem durch den Verkauf des Goldes in einem späteren Jahr regelmäßig keine oder nur eine geringe Steuersatzsteigerung gegenübersteht.

Die Gestaltungen basieren (verkürzt dargestellt) darauf, dass die Personen­gesellschaften durch den An- und Verkauf physischen Goldes eine gewerbliche Tätigkeit ausüben, sie ihren Gewinn durch eine Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln dürfen und sie dabei die Anschaffungskosten für das als Umlaufvermögen zu qualifizierende Gold sofort als Betriebsausgaben geltend machen können.

Der BFH bestätigte in beiden Fällen die Urteile der Vorinstanzen, wonach im Inlandsfall u.a. entsprechende Verluste (negative Einkünfte) aus Gewerbebetrieb und im Auslandsfall entspre­chende negative Progressionseinkünfte festzustellen sind. Er entschied im Inlandsfall, dass eine gewerblich geprägte Per­so­nen­gesellschaft i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommen­steuer­gesetzes (EStG), die nur kraft Fiktion gewerbliche Einkünfte erzielt, Umlaufvermögen haben kann. Im Auslandsfall entschied er, dass auf den An- und Verkauf von physischem Gold die Grundsätze des Wertpapierhandels nicht übertragbar sind; er bejahte aufgrund der Besonderheiten des Goldhandels einen Gewerbetrieb i.S. des § 15 Abs. 2 EStG. Zu beiden Fällen führte er aus, dass die Aufwendungen im Rahmen der Einnahmen-Überschussrechnung für die Anschaffung der Goldbarren nicht nach § 4 Abs. 3 Satz 4 Varianten 1 oder 3 EStG vom sofortigen Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen sind.

Allerdings ist der Gesetzgeber zwischenzeitlich gegen derartige Gestaltungen vorgegangen. Er hat für Inlandsfälle dem § 15b EStG einen Absatz 3a angefügt. Danach liegt unter den dort näher genannten Voraussetzungen ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b EStG vor. Verluste hieraus können nicht mehr mit bzw. von anderen positiven Einkünften ausgeglichen bzw. abge­zo­gen werden, sondern sind nur noch mit künftigen Gewinnen aus derselben Einkunftsquelle verrechenbar (erstmals anwendbar auf Modelle, bei denen Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens nach dem 28. November 2013 angeschafft, hergestellt oder in das Betriebsvermögen eingelegt wurden). Für Auslandsfälle hat er zum einen die Vorschrift des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe c EStG eingefügt, die bei Ermittlung des anzuwen­den­den Einkommensteuersatzes einen sofortigen Betriebs­aus­ga­ben­abzug verhindert (erstmals anwendbar auf Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens, die nach dem 28. Februar 2013 angeschafft, hergestellt oder in das Betriebsvermögen eingelegt wurden). Zum anderen hat er § 32b Abs. 1 Satz 3 EStG um die –in allen offenen Fällen anwendbare– Regelung ergänzt, dass § 15b EStG sinngemäß anzuwenden ist.

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Verlustausgleich bei abgeltend besteuerten negativen Einkünften aus Kapitalvermögen im Wege der Günstigerprüfung

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 25/17, Pressemitteilung vom 12.04.2017, Urteil vom 30.11.2016,

Aktenzeichen VIII R 11/14

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 30. November 2016 VIII R 11/14 entschieden, dass negative Einkünfte aus solchem Kapitalvermögen, das eigentlich dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG– („Abgeltungsteuer“) unterliegt, mit positiven Einkünften aus solchem Kapital­ver­mögen, das nach dem progressiven Regeltarif zu besteuern ist, verrechnet werden können. Hierzu ist allerdings erforderlich, dass vom Steuerpflichtigen die sog. Günstigerprüfung beantragt wird.

Nach Einführung der Abgeltungsteuer fallen Kapitaleinkünfte grundsätzlich unter den gesonderten Steuertarif in Höhe von 25 % (§ 32d Abs. 1 EStG). Verluste aus Kapitalvermögen dürfen nicht mit anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden (§ 20 Abs. 6 EStG). Nach dem BFH-Urteil steht diese Vorschrift aber einer Verrechnung negativer Kapitaleinkünfte, die unter die Abgeltungsteuer fallen, mit solchen positiven Kapitaleinkünften, die gemäß § 32d Abs. 2 EStG dem Regeltarif des § 32a EStG unterliegen, nicht entgegen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Steuerpflichtige einen Antrag auf Günstigerprüfung (§ 32d Abs. 6 EStG) stellt. Dieser hat zur Folge, dass die der Abgeltungsteuer unterliegenden negativen Kapitaleinkünfte der tariflichen Ein­kom­mensteuer unterworfen werden, so dass eine Verlust­ver­rechnung möglich wird. Der Abzug des Sparer-Pauschbetrags (§ 20 Abs. 9 EStG: 801 €) ist in diesem Fall jedoch ausgeschlos­sen – denn bei regelbesteuerten Einkünften aus Kapitalvermögen können nur die tatsächlich angefallenen und nicht fiktive Werbungskosten in Höhe des Pauschbetrags abgezogen werden (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG).

Im Streitfall hatte der Kläger unter anderem Zinsen aus einem privaten Darlehen erzielt. Dieses ordnete das Finanzamt (FA) als „Darlehen zwischen nahestehenden Personen“ ein, so dass die Zinsen nach dem progressiven Regeltarif zu besteuern waren (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG). Daneben erzielte der Kläger negative Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterlagen. Er beantragte im Wege der Günstigerprüfung die Verrechnung dieser Kapi­tal­einkünfte. FA und Finanzgericht (FG) lehnten diese Verrech­nung ab.

Der BFH gab dem Kläger insoweit Recht, als er eine Saldierung der Kapitaleinkünfte aufgrund des Antrags auf Günstigerprüfung für zulässig erachtete. Den von dem Kläger geltend gemachten Abzug des Sparer-Pauschbetrags von den regelbesteuerten positiven Einkünften aus Kapitalvermögen lehnte er jedoch ab. Da auf der Grundlage der Feststellungen des FG fraglich war, ob die abgeltend zu besteuernden negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen und die positiven regelbesteuerten Einkünfte aus Kapitalvermögen dem Grunde und der Höhe zutreffend ermittelt wurden, hat der BFH den Streitfall an das FG zurück­verwiesen.

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BFH bestätigt Übergangsregelung in Bauträgerfällen

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 20/17 , Pressemitteilung vom 05.04.2017, Urteil vom 23.2.2017, Aktenzeichen V R 16, 24/16

Eine Umsatzsteuerfestsetzung kann nach § 27 Abs. 19 Satz 1 des Umsatzsteuer­gesetzes (UStG) gegenüber dem leistenden Unternehmer nur dann (zu seinem Nachteil) geändert werden, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht. So entschied der Bun­des­finanzhof (BFH) durch Urteil vom 23. Februar 2017 (V R 16, 24/16) in einem klassischen Bauträgerfall.

Umsatzbesteuerung bei Bauleistungen ist diffizil; für vom Bauhandwerker an einen Bauträger erbrachte Bauleistungen kann kraft Sonderregelung der leistungsempfangende Bauträger Umsatzsteuerschuldner sein, was den fiskalischen Erfolg der Umsatzbesteuerung jedenfalls erhöht. Allerdings hatte der BFH eine solche (damals durch Verwaltungsvorschrift konkretisierte) Übertragung der Steuerschuldnerschaft eingeengt (Urteil vom 22. August 2013 V R 37/10). Der Gesetzgeber besserte für die Zukunft nach und schuf eine Übergangsregelung für Altfälle (Stichtag: 15. Februar 2014), um bei Rückerstattung der gezahlten Steuern an den nur vermeintlichen Steuerschuldner (Bauträger) den eigentlichen Steuerschuldner (Bauhandwerker) nachträglich belasten zu können. So ist nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuer­fest­setzung zu ändern, wenn der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert und beide davon ausgegangen waren, dass der Leistungsempfänger die Steuer auf die vom Leistenden erbrachte Leistung schuldet; darüber hinaus wird die Erfüllungswirkung der Abtretung des Zahlungsanspruchs des Leistenden gegen den Leistungsempfänger an das Finanzamt (FA) geregelt (§ 27 Abs. 19 Sätze 2 ff. UStG).

Und so lag auch der Streitfall: Die Klägerin (eine GmbH) er­brach­te Mauerarbeiten gegenüber einer Bauträger-GmbH. Jene wurde vom FA – entsprechend der allgemeinen Verwal­tungs­vorschrift – als steuerpflichtige Leistungsempfängerin in Anspruch genommen. Nach der einengenden BFH-Entscheidung beantragte die Bauträger-GmbH beim FA die Erstattung der Umsatzsteuer, die sie in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldnerin zu sein. Das FA setzte daraufhin die Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin fest. Hiergegen berief sich die Klägerin auf den Schutz ihres Vertrauens in die von der Finanzverwaltung praktizierte Rechtslage. Das Finanzgericht billigte die Umsatz­steu­er­fest­setzung, verpflichtete aber das FA dazu, das Angebot der Klägerin auf Abtretung ihres Anspruchs gegen die Bauträger-GmbH auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer anzunehmen.

Der BFH bestätigte die Vorinstanz im Ergebnis. Die gesetzliche Übergangsregelung (§ 27 Abs. 19 UStG) schließt den all­ge­mei­nen Vertrauensschutz gegenüber einer belastenden Änderung (§ 176 Abs. 2 der Abgabenordnung) aus. Die Rechtslage ent­spricht nach der Entscheidung des BFH aber nur dann den unions­rechtlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechts­sicherheit und der Neutralität, wenn die Befugnis des FA zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegen den Leistenden voraussetzt, dass diesem ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Lei­stungs­empfänger tatsächlich zusteht. Der Bauhandwerker wird auf diese Weise vollständig von der Umsatzsteuer auf seine Lei­stungen entlastet; er steht dann so, wie er stünde, wenn alles von vornherein richtig beurteilt worden wäre.

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Anwendung des gesonderten Tarifs gemäß § 32d Abs. 1 EStG bei mittelbarer Beteiligung

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 21/17, Pressemitteilung vom 05.04.2017, Urteil vom 20.10.2016, Aktenzeichen VIII R 27/15

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 20. Oktober 2016 VIII R 27/15 entschieden, dass Zinsen aus dem Darlehen eines mittelbaren Gesellschafters an eine Kapital­ge­sell­schaft dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG– (25 %) unterliegen können.

Im Urteilsfall hatten die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann an eine Kapitalgesellschaft, an der sie nicht unmittelbar beteiligt waren (Enkelgesellschaft), ein Grundstück veräußert und die Kaufpreisforderung in ein verzinsliches Darlehen umgewandelt. An dieser Gesellschaft war zu 94 % eine weitere Kapital­ge­sell­schaft (Muttergesellschaft) beteiligt, an der im Streitjahr 2011 die Klägerin zunächst Anteile in Höhe von 10,86 % und später dann in Höhe von 22,80 % des Stammkapitals hielt. Das Finanzgericht hat die von der Enkelgesellschaft an die Klägerin gezahlten Darlehenszinsen in den gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG einbezogen.

Das Finanzamt (FA) machte mit der Revision geltend, die Zinsen seien wie Zinsen auf ein Darlehen eines unmittelbaren Ge­sell­schafters aus dem gesonderten Tarif für die Einkünfte aus Ka­pi­tal­vermögen ausgeschlossen und dem progressiven Regeltarif (§ 32a EStG) zu unterwerfen.

Dem folgte der VIII. Senat des BFH nicht und wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Er entschied, die Ausnah­me­regelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG, die Zinsen aus Darlehen eines unmittelbaren Gesellschafters aus dem gesonderten Tarif ausschließt, finde weder nach ihrem Wort­laut für Darlehen eines mittelbaren Gesellschafters Anwendung noch sei nach Sinn und Zweck der Vorschrift die Einbeziehung solcher Darlehen in die Regelung geboten. Auch die An­wen­dung der weiteren Ausnahmeregelung (§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG) komme nicht in Betracht. Diese verlangt, dass der Gesellschafter der Muttergesellschaft als Darlehens­geber im Verhältnis zur Enkelgesellschaft als Darlehensnehmerin eine „nahe stehende Person“ sein muss. Das hierzu erforderliche Nähe- und Abhängigkeitsverhältnis zur Enkelgesellschaft liegt nach dem BFH jedenfalls dann vor, wenn der Darlehensgeber als Gläubiger der Kapitalerträge eine Beteiligung an der Mutter­ge­sell­schaft inne hat, die es ihm ermöglicht, seinen Willen in deren Gesellschafterversammlung durchzusetzen. Zusätzlich muss die Mutter- an der Enkelgesellschaft (Darlehensschuldnerin) zu mindestens 10% beteiligt sein. Da die Klägerin im Streitjahr 2011 zu keinem Zeitpunkt über eine Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft verfügte, war sie im Verhältnis zur Enkelgesellschaft demnach keine nahe stehende Person gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG.

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Witwe hat keinen Anspruch auf das tiefgefrorene Sperma ihres verstorbenen Ehemannes

Das Oberlandesgericht München hat ent­schie­den, dass das Sperma eines Mannes nach dessen Tod nicht mehr verwendet werden darf.

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Ehefrau und der Ehemann, der im Juli 2015 mit 38 Jahren nach einer Herztransplantation verstarb, hatten sich vergeblich Kinder gewünscht und sich deshalb für eine künstliche Be­fruchtung entschieden. Nach dem Tod des Ehemannes möchte nun die Ehefrau das Sperma, das in einer Klinik am Chiemsee lagert, verwenden, um den gemeinsamen Kinderwunsch zu erfüllen. Die Klinik verweigerte die Herausgabe des Spermas unter Berufung auf das Embryonenschutzgesetz. Die Ehefrau sieht hierin einen Verstoß gegen die Verfassung.

Das Oberlandesgericht München sah in der Herausgabe des Spermas einen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz und stützte so die Entscheidung der Klinik. Eine Herausgabe des Spermas würde zur Beihilfe der Klinik zum Verstoß gegen dieses Gesetz führen. Weiterhin würde das Persönlichkeitsrecht des Ehemannes und der Schutz des Samenspenders verletzt werden. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wurde jedoch nicht für notwendig erachtet. Durch die Zulassung der Revision wurde jedoch der Ehefrau die Möglichkeit gegeben, den Bundesgerichtshof in Karlsruhe anzurufen.

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Eine Lasik-Operation kann medizinisch notwendig sein

Bundesgerichtshof: Urteil vom 29.03.2017 – IV ZR 533/15
MB/KK § 1

Eine Krankheit im Sinne der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung kann auch vorliegen, wenn der fragliche Gesundheitszustand des Versicherten in gleicher Weise bei 30-40 % der Menschen entsprechenden Alters auftritt (hier bejaht für Fehlsichtigkeit von -3 und -2,75 Dioptrien).

Erfüllt die Fehlsichtigkeit eines Versicherten die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Krankheit, so kann die medizinische Notwendigkeit einer Lasik-Operation an den Augen nicht allein wegen der Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint werden.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Lehmann und Dr. Götz auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2017
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg – 4. Zivilkammer – vom 18. November 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin unterhält bei dem Beklagten eine private Krankenversicherung. In den dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB), die insoweit den Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) entsprechen, heißt es in § 1 Abs. 2:

2

„Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (…).“
3

Die Klägerin, die unter beidseitiger Kurzsichtigkeit mit Astigmatismus litt, unterzog sich im November 2013 einer Femto -Lasik-Operation an den Augen. Sie begehrt vom Beklagten die Erstattung der hierfür angefallenen Operationskosten in Höhe von 3.490 € nebst Zinsen.

4

Die Parteien streiten darüber, ob die bei der Klägerin vor der Operation vorhandene Fehlsichtigkeit (von -3 und -2,75 Dioptrien) eine bedingungsgemäße Krankheit darstellt und ob die zu deren Beseitigung durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen ist.

5

Das Amtsgericht hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg.

7

I. Das Berufungsgericht hat gestützt auf die Ausführungen des – von ihm ergänzend mündlich angehörten – Sachverständigen angenommen, dass die bei der Klägerin ursprünglich vorhandene leichte Kurzsichtigkeit nach internationalen Standards nicht als eine Krankheit zu beurteilen sei. Vom Vorliegen einer Krankheit im Sinne von § 192 VVG könne bei einer Fehlsichtigkeit nur gesprochen werden, wenn eine Abweichung vom natürlichen körperlichen Zustand der versicherten Person vorliege, die nicht dem normalen Entwicklungs- oder Alterungsprozess entspreche. Dies sei bei der Klägerin nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen zu verneinen. Auch sei ihr das Tragen einer Brille möglich und zumutbar gewesen.

8

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

1. Die bei der Klägerin vor der Lasik-Operation vorhandene Fehlsichtigkeit stellte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine Krankheit dar.

10

a) Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass unter Krankheit im Sinne der Bedingungen nach dem maßgebenden Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler, regelwidriger Körper – oder Geisteszustand zu verstehen ist ( Senatsurteile vom 17. Februar 2016 – IV ZR 353/14 , VersR 2016, 720 Rn. 16; vom 15. September 2010 – IV ZR 187/07 , r+s 2011, 75 Rn. 11; vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04 , BGHZ 164, 122 unter II 1; vom 3. März 2004 – IV ZR 25/03 , BGHZ 158, 166 unter II 2 a; vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 2 a; st. Rspr.). Dabei ergibt sich die Einstufung als „anormal“ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als „regelwidrig“ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes (Senatsurteil vom 17. Februar 2016 aaO).

11

b) Rechtsfehlerhaft ist es jedoch, dass das Berufungsgericht das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit verneint hat, weil es auf einen natürlichen Alterungsprozess abgestellt hat und der weiteren Auffassung des Sachverständigen gefolgt ist, wonach ein bloßer Refraktionsfehler, der zu einer Fehlsichtigkeit führt, wie sie bei 30 -40 % der Menschen im mittleren Alter auftritt, noch keinen Krankheitswert ha be.

12

aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an ( Senatsurteile vom 16. November 2016 – IV ZR 356/15 , VersR 2017, 85 Rn. 12; vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 , BGHZ 123, 83 unter III 1 b; st. Rspr.).

13

Ein solcher Versicherungsnehmer wird zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht etwa eine Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend ist ( Senatsurteil vom 8. Mai 2013 – IV ZR 84/12 , VersR 2013, 995 Rn. 21; Senatsbeschluss vom 25. Mai 2011 – IV ZR 17/10 , VersR 2011, 1179 Rn. 14 m.w.N.).

14

bb) Danach kann es für die Frage, ob im Streitfall eine bedingungsgemäße Krankheit vorliegt, weder auf die von dem Sachverständigen seiner Beurteilung zugrunde gelegte Einschätzung, in Fachkreisen werde von einer pathologischen Myopie nach internationalem medizinischen Standard erst ab -6 Dioptrien gesprochen, ankommen noch auf seine weiteren Ausführungen, ein Refraktionsfehler, der zu einer Fehlsichtigkeit führe, wie sie bei 30-40 % der Menschen im mittleren Alter auftrete, habe noch keinen Krankheitswert.

15

cc) Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird vielmehr davon ausgehen, zum Normalzustand der Sehfähigkeit gehöre ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr; er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit annehmen, wenn bei ihm eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung dieser körperlichen Normalfunktion vorliegt, die ohne Korrektur ei n beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht. Dies folgt schon daraus, dass eine Krankheit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet (Senatsurteil vom 17. Februar 2016 aaO Rn. 17 m.w.N.).

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dd) In dem dargelegten Verständnis wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch durch das weitere Klauselwerk bestätigt. Er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit im Falle einer behandlungsbedürftigen Fehlsichtigkeit auch deshalb annehmen, weil ihm gerade für diesen Fall Leistungen vom Versicherer versprochen werden. Insoweit ist in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Teil III) für den im Streitfall vereinbarten Tarif Classic ausdrücklich vorgesehen, dass Sehhilfen bis 200 € Rechnungsbetrag erstattungsfähig sind. Diese Regelung spricht daher ungeachtet der betragsmäßigen Begrenzung entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht gegen, sondern gerade für ein Verständnis der Fehlsichtigkeit als Krankheit, die einen Versicherungsfall auslösen kann.

17

ee) Nach alledem hätte das Berufungsgericht das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit nicht verneinen dürfen. Die Korrekturbedürftigkeit eines Zustands, der ohne seine Beseitigung oder die Anwendung von Hilfsmitteln wie Brille oder Kontaktlinsen die genannten Einschränkungen im täglichen Leben mit sich bringt, steht aus medizinischer Sicht außer Frage und ergibt sich im konkreten Fall auch aus den weiteren Feststellungen des Sachverständigen. Dieser hat im zusammenfassenden Teil seines schriftlichen Gutachtens die medizinische Indikation für eine Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Kurzsichtigkeit und Stabsichtigkeit ausdrücklich bejaht und lediglich die „absolute“ medizinische Notwendigkeit für einen chirurgischen Eingriff verneint, letzteres aber nur deshalb, weil eine Brillen- oder Kontaktlinsenkorrektur möglich, wenn auch mit erheblichen Beschwerden verbunden sei. Gleichwohl hat er den Eingriff für medizinisch sinnvoll erachtet. Bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Berufungsgericht hat er sowohl die Kurzsichtigkeit als auch den Astigmatismus der Klägerin als Refraktionsfehler eingeordnet.

18

Sowohl die Bezeichnung als „Fehler“ als auch die Bejahung einer Behandlungsindikation aus medizinischer Sicht lassen auf eine korrekturbedürftige und damit das Vorliegen einer den Krankheitsbegriff ausfüllenden Regelwidrigkeit schließen.

19

Ob der Eingriff bei der Klägerin – wie es der Sachverständige bezeichnet hat – nicht „absolut“ notwendig war, ist dagegen keine Frage der Regelwidrigkeit des bestehenden anormalen Zustands und damit des Vorliegens einer Krankheit, sondern allein eine Frage der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung.

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2. Die Leistungspflicht des Beklagten hängt deshalb davon ab, ob die durchgeführte Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellte. Dazu hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt konsequent – keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

21

a) Heilbehandlung – hier die ambulante Operation beider Augen ist dabei jegliche ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her auf Heilung, Besserung oder Linderung der Krankheit abzielt. Darauf, ob die Durchführung dieser Therapie geeignet war, diese Ziele auch zu erreichen, kommt es für das Vorliegen einer Heilbehandlung im Sinne der Klausel nicht an. Dieser Frage kommt Bedeutung vielmehr erst bei der Prüfung zu, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB anzusehen ist; dafür ist ein objektiver Maßstab anzulegen ( Senatsurteil vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 2).

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b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann die medizinische Notwendigkeit der Operation dabei nicht bereits mit Hinweis auf die Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint werden.

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aa) Das Tragen einer Sehhilfe stellt in Bezug auf die Fehlsic htigkeit der Klägerin keine Heilbehandlung dar. Brillen und Kontaktlinsen sind lediglich Hilfsmittel, mit denen körperliche Defekte über einen längeren Zeitraum ausgeglichen werden. Mit der Sehhilfe wird demnach – für den Einsatz von Hilfsmitteln kennzeichnend – unmittelbar eine Ersatzfunktion für ein krankes Organ wahrgenommen, ohne dessen Funktionsfähigkeit wieder herzustellen (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 5 und vom 19. Mai 2004 – IV ZR 176/03 , NJW-RR 2005, 260 […] Rn. 21).

24

bb) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann aus § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB nicht ersehen, dass die Erstattungsfähigkeit der Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung grundsätzlich davon abhängen soll, ob er (dauerhaft) auf ein Hilfsmittel zurückgreifen kann, das den bei ihm bestehenden anormalen Körperzustand auszugleichen oder abzuschwächen geeignet ist, ohne am eigentlichen Leiden etwas zu ändern. Für eine solche generelle Subsidiarität der Heilbehandlung gegenüber dem Hilfsmittel geben die Versicherungsbedingungen nichts her. Ihnen ist auch sonst nicht zu entnehmen, dass außer der medizinischen Notwendigkeit andere (finanzielle) Aspekte bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Heilbehandlung eine Rolle spielen sollen. Denn § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB stellt ausdrücklich auf die „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung ab, wobei sich „medizinisch“ gerade auf „notwendig“ bezieht. Dieser sprachliche Zusammenhang macht bei verständiger Lektüre deutlich, dass die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus (rein) medizinischer Sicht zu beurteilen ist und andere Gesichtspunkte dabei keine Rolle spielen.

25

cc) Auch wenn der Versicherungsnehmer versteht, dass ihm nicht die Kosten für jede beliebige Behandlungsmaßnahme erstattet werden, sondern nur für eine solche, die objektiv geeignet ist, sein Leiden zu heilen, zu bessern oder zu lindern, erschließt sich ihm nicht, dass der Versicherer seine Leistungspflicht darüber hinaus auf die kostengünstigste Behandlungsmethode beschränken oder den Versicherungsnehmer darauf verweisen will, sich auf Dauer eines Hilfsmittels zu bedienen, obwohl eine Behandlungsmethode zur Verfügung stünde, die das zugrunde liegende Leiden zu heilen, zu bessern oder wenigstens zu lindern gee ignet ist. Aus seiner Sicht verliert eine medizinisch anerkannte Heilbehandlung das qualifizierende Merkmal „notwendig“ im Einzelfall insbesondere nicht deshalb, weil ein Hilfsmittel zur Verfügung steht, das eine Ersatzfunktion für das betroffene Organ übernehmen kann.

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dd) Zudem ist für ihn nicht erkennbar, nach welchen Maßstäben sich die Subsidiarität von Heilbehandlungen gegenüber anderen Ma ßnahmen beurteilen soll. Übernimmt der Versicherer – wie hier der Beklagte – die Kosten einer „medizinisch notwendigen“ Heilbehandlung ohne für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Einschränkungen, so kann er ihn schon nicht auf einen billigeren oder den billigsten Anbieter einer Heilbehandlung verweisen, die er für medizinisch gleichwertig hält ( Senatsurteil vom 12. März 2003 – IV ZR 278/01 , BGHZ 154, 154 unter II 2 b bb). Das gilt erst recht, wenn sich der Versicherungsnehmer in Bezug auf das Ausgangsleiden bislang keiner medizinischen Heilbehandlung unterzogen, sondern auf ein Hilfsmittel zurückgegriffen hat, das lediglich geeignet ist, eine Ersatzfunktion wahrzunehmen, ohne den eigentlichen regelwidrigen Körperzustand zu beseitigen.

27

c) Die Klägerin musste demnach ihre Fehlsichtigkeit nicht durch Sehhilfen kompensieren, sondern durfte diese durch eine Operation beheben lassen, sofern diese ihrerseits die Voraussetzungen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung erfüllte.

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aa) Mit dem Begriff „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung wird – auch für den Versicherungsnehmer erkennbar – nicht an den Vertrag zwischen ihm und dem behandelnden Arzt und die danach geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Vielmehr wird zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt de r Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß muss es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar gewesen sein, die Heilbehandlung als notwendig anzusehen (Senatsbeschlüsse vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 , r+s 2015, 142 Rn. 13; vom 30. Oktober 2013 – IV ZR 307/12 , VersR 2013, 1558 Rn. 13; Senatsurteile vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 3 a; vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 4; vom 29. November 1978 – IV ZR 175/77 , VersR 1979, 221 unter III; jeweils m.w.N.).

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bb) Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden (vgl. Senatsurteile vom 8. Februar 2006 – IV ZR 131/05 , VersR 2006, 535 Rn. 21; vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04 , BGHZ 164, 122 unter II 3 a; vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 5).

30

Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung im Sinne der vorstehenden Ausführungen wird daher dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 – IV ZR 307/12 , VersR 2013, 1558 Rn. 14; Senatsurteil vom 17. Dezember 1986 – IVa ZR 78/85 , BGHZ 99, 228 unter II 4). Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, ist grundsätzlich eine Eintrittspflicht des Versicherers gegeben ( Senatsurteile vom 8. Februar 2006 – IV ZR 131/05 , VersR 2006, 535 Rn. 21; vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04 , BGHZ 164, 122 unter II 3 a; vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95 , BGHZ 133, 208 unter II 4).

31

3. Das Berufungsgericht, das das Vorliegen einer Krankheit zu Unrecht verneint hat, wird daher nach diesen Maßstäben zu beurteilen haben, ob die bei der Klägerin durchgeführte Lasik-Operation medizinisch notwendig oder es zumindest nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Es wird dabei berücksichtigen müssen, dass der Sachverständige eine Behandlung als medizinisch indiziert angesehen und die Operation sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seiner mündlichen Anhörung als medizinisch sinnvollen Eingriff, der leitliniengerecht durchgeführt wurde, bezeichnet sowie in der mündlichen Anhörung auch die Erwartbarkeit eines guten Ergebnisses bestätigt hat. Darauf, ob die Fehlsichtigkeit durch die Versorgung mit einer Brille oder Kontaktlinsen ausgeglichen werden kann, kommt es dagegen, wie ausgeführt, grundsätzlich nicht an.

Von Rechts wegen

Vorschriften
§ 192 VVG

Quelle: IWW

Erbschaftsteuer: Geerbter Pflichtteilsanspruch unterliegt der Erbschaftsteuer, auch wenn er nicht geltend gemacht wird

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 18/17,Pressemitteilung vom 29.03.2017, Urteil vom 7.12.2016, Aktenzeichen II R 21/14

Ein vom Erblasser (bisher) nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch gehört zu seinem Nachlass und unterliegt bei seinem Erben der Besteuerung aufgrund Erbanfalls. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 7. Dezember 2016 II R 21/14 entschieden. Damit entsteht die Erbschaftsteuer bereits mit dem Tode des Pflicht­teilsberechtigten, ohne dass es auf die Geltendmachung des Anspruchs durch dessen Erben ankommt.

Im Streitfall war der Kläger Alleinerbe seines im September 2008 verstorbenen Vaters. Dem Vater stand wegen einer Erb­ausschlagung ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 400.000 € zu, den er aber gegenüber dem Verpflichteten nicht geltend gemacht hatte. Nach dem Tod des Vaters beanspruchte jedoch der Kläger als neuer Anspruchsinhaber den geerbten Pflichtteil (im Januar 2009). Das Finanzamt rechnete den Pflicht­teilsanspruch dem erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb des Klägers bereits auf den Todeszeitpunkt seines Vaters hinzu. Der Kläger machte hiergegen geltend, dass ein Pflichtteil immer erst mit seiner Geltendmachung der Besteuerung unterliege. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage ab.

Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des FG. Ein vom Erb­lasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch unterliegt bei seinem Erben der Besteuerung bereits aufgrund des Erbanfalls. Das Vermögen des Erblassers geht im Wege der Gesamt­rechts­nachfolge als Ganzes auf den Erben über. Dazu gehört auch ein dem Erblasser zustehender Pflichtteils­anspruch, weil dieser Anspruch kraft Gesetzes vererblich ist. Für die Besteuerung ist nicht erforderlich, dass der Erbe den geerbten Pflicht­teils­anspruch geltend macht. Dabei besteht nicht die Gefahr einer doppelten Besteuerung beim Erben. Der Erbe eines Pflicht­teilsanspruchs muss nur beim Anfall der Erbschaft Erb­schaft­steuer für den Erwerb des Anspruchs bezahlen. Eine spätere Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch ihn löst keine weitere Erbschaftsteuer aus. Macht der Erbe – anders als im Streitfall – den Anspruch gegenüber dem Verpflichteten (ebenfalls) nicht geltend, bleibt es aber dabei, dass für den Erwerb des Anspruchs dennoch Erbschaftsteuer anfällt.

Demgegenüber unterliegt ein Pflichtteilsanspruch, der in der Person des Pflichtteilsberechtigten entsteht, erst mit der Geltendmachung der Erbschaftsteuer. Der Pflichtteilsberechtigte kann also – anders als sein eigener Erbe – die Erbschaftsteuer dadurch vermeiden, dass er nicht die Erfüllung seines Pflicht­teilsanspruchs verlangt.

Für weitere Fragen und Informationen zu diesem Urteil stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung – sprechen Sie uns einfach darauf an.
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